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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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vember, als ich aus Rissa aufbrach, um den Weg auf Adrianopel weiter zu
verfolgen. Die Straßen der Stadt waren noch unbelebt, wegen der frühen
Stunde und um eines Sprühregens willen, der auf den Nebel folgte. Rechts
vom ^Thore, durch welches' wir ins Freie passirt waren, hielt einer der
begleitenden Arnauten sein Pferd an und wies auf einen viereckigen Bau
mit der Hand hin, der hinter einem Graben, nicht weit von der Straße auf¬
ragte und mehr als Haushöhe hatte. Ich hielt ihn für einen verfallenen, aus
alter Zeit stammenden Thurm; das Grinsen des Muselmanns überzeugte mich
indeß bald, daß es mit dem Gegenstande eine eigenthümliche Bewandtniß
haben müsse. Auf die Aufforderung: "Sieh nur genauer hin", richtete ich
meinen Operngucker auf den Thurm und machte sofort die Entdeckung, daß es
das bekannte Bauwerk aus Schädeln war, welches ich vor mir hatte, ein Ge¬
genstück zu jenen Pyramiden, die Dschingis-Khan und Zamerlan errichtet haben.
Man gab mir die Anzahl der hier übereinandergeschichteten menschlichen Häup¬
ter in einer ungeheuern Zahl an, die ich vergessen habe. Jedenfalls sind es
viele tausende.


Mussa Pascha Palanga.

Auf der großen Straße von Belgrad über Rissa nach Konstantinopel
gibt es nur vier Hauptpunkte: Rissa selbst, sodann Sofia, Philippopol, welches
die Türken und Griechen Filibe nennen und Adrianopel, welches den Namen
Edrene führt. Annähernd liegen diese vier Hauptstationen ziemlich gleich weit
auseinander, dergestalt, daß der Weg von der Donau zur Hauptstadt durch
sie in fünf der Länge nach wenig voneinander verschiedene Strecken abgetheilt
wird. Entsprechend dieser Eintheilung, und weil beim scharfen Reiten bei
Tag und Nacht, mit nur kurzen Ruhepausen, eine dieser großen Stationen in
je Äierundzwanzig Stunden von der nächsten aus erreicht werden kann, be¬
rechnet man die Dauer der ganzen Reise auf fünf Tage. In der That ge¬
brauchen die Tartaren, wie man hier die Postreiter nennt, selten mehr, neuer¬
dings auch nicht in der schlechten Jahreszeit und in der besseren meistens nur
vier und einen halben Tag; ja von einigen ungarischen Renegaten, die als
Adjutanten Omer Paschas Depeschen nach Stambul zu überbringen hatten, soll
der wenig kürzere Weg von Widdin über Rissa dorthin zu mehren Malen inner¬
halb dreimal vierundzwanzig Stunden gemacht worden sein. Für denjenigen,
der das Couricrreiten nicht zu seinem Beruf gemacht hat, sind, auch wenn man
fünf Tage auf die Strecke von Belgrad nach Konstantinopel verwendet, dennoch
Strapazen mit der Schnelligkeit verbunden, Anstrengungen, die einen eisernen
Körper verlangen, und denen schwächere Constiwtionen unfehlbar erliegen
würden. Will man mit Bequemlichkeit reisen, so theilt man jede der größeren
Stationen, in drei kleinere ab^ und hat dann allerdings fünfzehn Tage auf die


vember, als ich aus Rissa aufbrach, um den Weg auf Adrianopel weiter zu
verfolgen. Die Straßen der Stadt waren noch unbelebt, wegen der frühen
Stunde und um eines Sprühregens willen, der auf den Nebel folgte. Rechts
vom ^Thore, durch welches' wir ins Freie passirt waren, hielt einer der
begleitenden Arnauten sein Pferd an und wies auf einen viereckigen Bau
mit der Hand hin, der hinter einem Graben, nicht weit von der Straße auf¬
ragte und mehr als Haushöhe hatte. Ich hielt ihn für einen verfallenen, aus
alter Zeit stammenden Thurm; das Grinsen des Muselmanns überzeugte mich
indeß bald, daß es mit dem Gegenstande eine eigenthümliche Bewandtniß
haben müsse. Auf die Aufforderung: „Sieh nur genauer hin", richtete ich
meinen Operngucker auf den Thurm und machte sofort die Entdeckung, daß es
das bekannte Bauwerk aus Schädeln war, welches ich vor mir hatte, ein Ge¬
genstück zu jenen Pyramiden, die Dschingis-Khan und Zamerlan errichtet haben.
Man gab mir die Anzahl der hier übereinandergeschichteten menschlichen Häup¬
ter in einer ungeheuern Zahl an, die ich vergessen habe. Jedenfalls sind es
viele tausende.


Mussa Pascha Palanga.

Auf der großen Straße von Belgrad über Rissa nach Konstantinopel
gibt es nur vier Hauptpunkte: Rissa selbst, sodann Sofia, Philippopol, welches
die Türken und Griechen Filibe nennen und Adrianopel, welches den Namen
Edrene führt. Annähernd liegen diese vier Hauptstationen ziemlich gleich weit
auseinander, dergestalt, daß der Weg von der Donau zur Hauptstadt durch
sie in fünf der Länge nach wenig voneinander verschiedene Strecken abgetheilt
wird. Entsprechend dieser Eintheilung, und weil beim scharfen Reiten bei
Tag und Nacht, mit nur kurzen Ruhepausen, eine dieser großen Stationen in
je Äierundzwanzig Stunden von der nächsten aus erreicht werden kann, be¬
rechnet man die Dauer der ganzen Reise auf fünf Tage. In der That ge¬
brauchen die Tartaren, wie man hier die Postreiter nennt, selten mehr, neuer¬
dings auch nicht in der schlechten Jahreszeit und in der besseren meistens nur
vier und einen halben Tag; ja von einigen ungarischen Renegaten, die als
Adjutanten Omer Paschas Depeschen nach Stambul zu überbringen hatten, soll
der wenig kürzere Weg von Widdin über Rissa dorthin zu mehren Malen inner¬
halb dreimal vierundzwanzig Stunden gemacht worden sein. Für denjenigen,
der das Couricrreiten nicht zu seinem Beruf gemacht hat, sind, auch wenn man
fünf Tage auf die Strecke von Belgrad nach Konstantinopel verwendet, dennoch
Strapazen mit der Schnelligkeit verbunden, Anstrengungen, die einen eisernen
Körper verlangen, und denen schwächere Constiwtionen unfehlbar erliegen
würden. Will man mit Bequemlichkeit reisen, so theilt man jede der größeren
Stationen, in drei kleinere ab^ und hat dann allerdings fünfzehn Tage auf die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/150>, abgerufen am 28.04.2024.