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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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ganze Tour zu verwenden, genießt aber dafür auch die Annehmlichkeit, Punkte
abseits der Straße in Augenschein nehmen zu können, regelmäßig zu früh¬
stücken, zu Abend zu essen und während der Nacht mindestens sechs Stunden
lang zu schlafen

Ich hatte die letztere Reisemethode vorgezogen und zwar umsomehr, als ich
auf einzelnen Zwischenpunkten zu einem längeren Aufenthalt verpflichtet war.
Die nächste Station war das acht bis zehn Stunden von Rissa entfernte
Mussa Pascha Palanga (aus fast alleil Karten findet man fälschlich statt dessen
den Namen Mufsafa Pascha, was sich daraus erklären läßt, daß man im
Türkischen gemeiniglich Mussafa in Mussa abkürzt, in diesem Falle also Mussa
mit letzterer Abkürzung verwechselt wurde).

Rissa zunächst führt der Weg durch das hier sich ziemlich weit zwischen
den Bergketten ausdehnende Thal der Nissawa, Man hat den kleinen Fluß
zur Linken; darüber hinaus und rechts ragen hohe Bergketten, zum Theil von
ungewöhnlicher Form und an denen allerwärts das charakteristische weiße Ge¬
stein des Balkans, dessen, wie oben erwähnt, Ranke in seinem Geschichtswerke
gedenkt, zu Tage tritt. Die Thalebene ist nur zum Theil angebaut und würde
muthmaßlich im Stande sein, den fünffachen Ertrag abzuwerfen, wenn der
vorhandene Ackerboden vollständig ausgenutzt würde. Man kann hier nicht genug
Werth aus derlei Verhältnisse legen. Mehr oder weniger steht allenthalben
die Cultur im geraden Verhältniß zur Dichtigkeit der Bevölkerung und diese
wiederum findet ihre Grenze da, wo die Möglichkeit ihrer Ernährung aufhört.
Eine Ausnahme von dieser allgemein giltigen Regel macht, nach der einen
Seite hin, streng genommen nur Nordamerika, wo es einer dünn über einen
ungeheuren Raum ausgesäeten Bevölkerung gelungen ist, ein vergleichsweise
außerordentlich hohes Culturniveau zu erreichen; aber man darf dieser That¬
sache gegenüber nicht vergessen, daß die dortigen Verhältnisse durchaus abnor¬
mer Art sind, und im Gegensatz zu den sonstigen anderwärts, schon durch
die beiden Umstände der stetigen Masseneinwanderung aus Culturländern erster
Ordnung und der Uebermacht der dortigen Communicationsmittel, in deren
erster Reihe die großen Ströme stehen, über die Hindernisse der Verbindung,
bedeutend verschoben werden.

Militärisch betrachtet ist die Formation der Berge dieser Gegend im hohen
Maße der Defensive günstig. Nicht in dem Sinne, als ob hier viele unüber-
steigliche Ketten, durch die nur schmale Paßwege hindurchführen, sich dem
Vormarsch entgegenstellten; sondern insofern, als, wie ich schon in früheren
Reisebemerkungen ausführlich erörtert habe, die Plateaubildung mit steilen
Felsrändern die Zahl der vorhandenen Positionen ins Unendliche vermehrt,
und sozusagen für eine Mindermacht allerwärts natürliche Festungen dar¬
bietet. In Verbindung mit diesen Terrainverhältnissen, welche zur höchsten


ganze Tour zu verwenden, genießt aber dafür auch die Annehmlichkeit, Punkte
abseits der Straße in Augenschein nehmen zu können, regelmäßig zu früh¬
stücken, zu Abend zu essen und während der Nacht mindestens sechs Stunden
lang zu schlafen

Ich hatte die letztere Reisemethode vorgezogen und zwar umsomehr, als ich
auf einzelnen Zwischenpunkten zu einem längeren Aufenthalt verpflichtet war.
Die nächste Station war das acht bis zehn Stunden von Rissa entfernte
Mussa Pascha Palanga (aus fast alleil Karten findet man fälschlich statt dessen
den Namen Mufsafa Pascha, was sich daraus erklären läßt, daß man im
Türkischen gemeiniglich Mussafa in Mussa abkürzt, in diesem Falle also Mussa
mit letzterer Abkürzung verwechselt wurde).

Rissa zunächst führt der Weg durch das hier sich ziemlich weit zwischen
den Bergketten ausdehnende Thal der Nissawa, Man hat den kleinen Fluß
zur Linken; darüber hinaus und rechts ragen hohe Bergketten, zum Theil von
ungewöhnlicher Form und an denen allerwärts das charakteristische weiße Ge¬
stein des Balkans, dessen, wie oben erwähnt, Ranke in seinem Geschichtswerke
gedenkt, zu Tage tritt. Die Thalebene ist nur zum Theil angebaut und würde
muthmaßlich im Stande sein, den fünffachen Ertrag abzuwerfen, wenn der
vorhandene Ackerboden vollständig ausgenutzt würde. Man kann hier nicht genug
Werth aus derlei Verhältnisse legen. Mehr oder weniger steht allenthalben
die Cultur im geraden Verhältniß zur Dichtigkeit der Bevölkerung und diese
wiederum findet ihre Grenze da, wo die Möglichkeit ihrer Ernährung aufhört.
Eine Ausnahme von dieser allgemein giltigen Regel macht, nach der einen
Seite hin, streng genommen nur Nordamerika, wo es einer dünn über einen
ungeheuren Raum ausgesäeten Bevölkerung gelungen ist, ein vergleichsweise
außerordentlich hohes Culturniveau zu erreichen; aber man darf dieser That¬
sache gegenüber nicht vergessen, daß die dortigen Verhältnisse durchaus abnor¬
mer Art sind, und im Gegensatz zu den sonstigen anderwärts, schon durch
die beiden Umstände der stetigen Masseneinwanderung aus Culturländern erster
Ordnung und der Uebermacht der dortigen Communicationsmittel, in deren
erster Reihe die großen Ströme stehen, über die Hindernisse der Verbindung,
bedeutend verschoben werden.

Militärisch betrachtet ist die Formation der Berge dieser Gegend im hohen
Maße der Defensive günstig. Nicht in dem Sinne, als ob hier viele unüber-
steigliche Ketten, durch die nur schmale Paßwege hindurchführen, sich dem
Vormarsch entgegenstellten; sondern insofern, als, wie ich schon in früheren
Reisebemerkungen ausführlich erörtert habe, die Plateaubildung mit steilen
Felsrändern die Zahl der vorhandenen Positionen ins Unendliche vermehrt,
und sozusagen für eine Mindermacht allerwärts natürliche Festungen dar¬
bietet. In Verbindung mit diesen Terrainverhältnissen, welche zur höchsten


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[0151] ganze Tour zu verwenden, genießt aber dafür auch die Annehmlichkeit, Punkte abseits der Straße in Augenschein nehmen zu können, regelmäßig zu früh¬ stücken, zu Abend zu essen und während der Nacht mindestens sechs Stunden lang zu schlafen Ich hatte die letztere Reisemethode vorgezogen und zwar umsomehr, als ich auf einzelnen Zwischenpunkten zu einem längeren Aufenthalt verpflichtet war. Die nächste Station war das acht bis zehn Stunden von Rissa entfernte Mussa Pascha Palanga (aus fast alleil Karten findet man fälschlich statt dessen den Namen Mufsafa Pascha, was sich daraus erklären läßt, daß man im Türkischen gemeiniglich Mussafa in Mussa abkürzt, in diesem Falle also Mussa mit letzterer Abkürzung verwechselt wurde). Rissa zunächst führt der Weg durch das hier sich ziemlich weit zwischen den Bergketten ausdehnende Thal der Nissawa, Man hat den kleinen Fluß zur Linken; darüber hinaus und rechts ragen hohe Bergketten, zum Theil von ungewöhnlicher Form und an denen allerwärts das charakteristische weiße Ge¬ stein des Balkans, dessen, wie oben erwähnt, Ranke in seinem Geschichtswerke gedenkt, zu Tage tritt. Die Thalebene ist nur zum Theil angebaut und würde muthmaßlich im Stande sein, den fünffachen Ertrag abzuwerfen, wenn der vorhandene Ackerboden vollständig ausgenutzt würde. Man kann hier nicht genug Werth aus derlei Verhältnisse legen. Mehr oder weniger steht allenthalben die Cultur im geraden Verhältniß zur Dichtigkeit der Bevölkerung und diese wiederum findet ihre Grenze da, wo die Möglichkeit ihrer Ernährung aufhört. Eine Ausnahme von dieser allgemein giltigen Regel macht, nach der einen Seite hin, streng genommen nur Nordamerika, wo es einer dünn über einen ungeheuren Raum ausgesäeten Bevölkerung gelungen ist, ein vergleichsweise außerordentlich hohes Culturniveau zu erreichen; aber man darf dieser That¬ sache gegenüber nicht vergessen, daß die dortigen Verhältnisse durchaus abnor¬ mer Art sind, und im Gegensatz zu den sonstigen anderwärts, schon durch die beiden Umstände der stetigen Masseneinwanderung aus Culturländern erster Ordnung und der Uebermacht der dortigen Communicationsmittel, in deren erster Reihe die großen Ströme stehen, über die Hindernisse der Verbindung, bedeutend verschoben werden. Militärisch betrachtet ist die Formation der Berge dieser Gegend im hohen Maße der Defensive günstig. Nicht in dem Sinne, als ob hier viele unüber- steigliche Ketten, durch die nur schmale Paßwege hindurchführen, sich dem Vormarsch entgegenstellten; sondern insofern, als, wie ich schon in früheren Reisebemerkungen ausführlich erörtert habe, die Plateaubildung mit steilen Felsrändern die Zahl der vorhandenen Positionen ins Unendliche vermehrt, und sozusagen für eine Mindermacht allerwärts natürliche Festungen dar¬ bietet. In Verbindung mit diesen Terrainverhältnissen, welche zur höchsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/151>, abgerufen am 12.05.2024.