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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Nation hatte vergebens der Allianz mit Nußland widerstrebt; der Vertrag vom
2i. März und die Convention vom Is, Juni war ohne ihr Wissen ge¬
schlossen. Die Häupter des Adels, die vornehmsten Mitglieder der übrigen
, Reichsstände hatten energisch gegen das russische Bündniß demonstrirt. Alles
umsonst. Die schwedische Nation war fortan gebunden und die Politik von
18-12 gegründet. Sie hatte zur Folge die Schlacht bei Leipzig und den Einzug
Bernadottes in Paris. Aber diese Politik, welche gegen den Willen der Na¬
tion eingeschlagen wurde, um BernadotteS Dynastie zu befestigen, hat die Macht
und die Unabhängigkeit Schwedens nicht gefördert; sie hat keine verbindliche Kraft
für Bernadottes Sohn und Nachfolger, und das königliche Gespenst, welches,
wie ein schwedischer Dichter sagt, den Marschallstab führt und auf den Felsen
der Ostsee stehend der schwedischen Armee verbietet, Finnland wiederzuerobern
hat heute seinen Zauber verloren.




Korrespondenzen.
Aus Konstantinopel.

-- Der hier seltene Südwind ver¬
setzte uns in den Mittags- und Nachmittagsstunden der letzten Woche in die heißeste
Periode des vergangenen Sonnners zurück. Alle Welt empfand den eingetretenen
Wechsel, von den eleganten Pcrotinnen, die ans dem großen Campo erschienen, bis
herab zum Lastträger (Hauat), der in.Galata und Tophane die dicke Jacke aus¬
zog. -- Nach einem Gerücht hatte am Dienstag (30. Octvb.) eine Stelle im
Bosporus, während die Flut sonst nirgend vom Winde gekräuselt ward, ge¬
kocht. Es darf nicht eben sehr verwundern, wenn nnter solchen Umständen mit
einiger Spannung den Nachrichten aus Brussa entgegengesehen wird, welches
our hier seit dem verhängnißvollen Schlnßtag des Februar als den Herd aller
vulkanischen Erscheinungen dieser Gegend betrachtet. Während ich schreibe lagert
es wie ein dichter Höhenrauch über der Hauptstadt.

Aus der Krim langen nach wie vor bedeutende Transporte von Kranken,
und zwar größerentheils von Verwundeten hier an, die man Sorge trägt, in den
durch zahlreiche Einschiffung von Genesenen nach Frankreich ziemlich leer gewordenen
Barackhospitälern unterzubringen. Mnthmaßlich schreiben fich diese Blessirten von
den Tagen des Bombardements und Sturmes her, is. bis 9. September) und
wurden, einem neuen Arrangement gemäß, bis daß sie in ein gewisses Stadium
der Heilung eingetreten, aus dem Kriegsschauplatz selbst gepflegt. Mit den letzten
Transporten kamen auch zahlreiche Händler, die ans der Rückreise begriffen sind,
hier an; ein Preuße nnter ihnen, der früher in der Artillerie diente, und insofern
wilitärisches Urtheil besitzt, erzählte einem meiner hiesigen Bekannten von den un-
glaublichen Schwierigkeiten, welche nach genommener Besichtigung die Ersteigung
des Malakowwerkes gehabt hat. Hier leisteten, allem was man darüber hört nach
Su urtheilen, die Zuaven wahrhaft Wunder, Wie es scheint führte sie eine "Das-


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Nation hatte vergebens der Allianz mit Nußland widerstrebt; der Vertrag vom
2i. März und die Convention vom Is, Juni war ohne ihr Wissen ge¬
schlossen. Die Häupter des Adels, die vornehmsten Mitglieder der übrigen
, Reichsstände hatten energisch gegen das russische Bündniß demonstrirt. Alles
umsonst. Die schwedische Nation war fortan gebunden und die Politik von
18-12 gegründet. Sie hatte zur Folge die Schlacht bei Leipzig und den Einzug
Bernadottes in Paris. Aber diese Politik, welche gegen den Willen der Na¬
tion eingeschlagen wurde, um BernadotteS Dynastie zu befestigen, hat die Macht
und die Unabhängigkeit Schwedens nicht gefördert; sie hat keine verbindliche Kraft
für Bernadottes Sohn und Nachfolger, und das königliche Gespenst, welches,
wie ein schwedischer Dichter sagt, den Marschallstab führt und auf den Felsen
der Ostsee stehend der schwedischen Armee verbietet, Finnland wiederzuerobern
hat heute seinen Zauber verloren.




Korrespondenzen.
Aus Konstantinopel.

— Der hier seltene Südwind ver¬
setzte uns in den Mittags- und Nachmittagsstunden der letzten Woche in die heißeste
Periode des vergangenen Sonnners zurück. Alle Welt empfand den eingetretenen
Wechsel, von den eleganten Pcrotinnen, die ans dem großen Campo erschienen, bis
herab zum Lastträger (Hauat), der in.Galata und Tophane die dicke Jacke aus¬
zog. — Nach einem Gerücht hatte am Dienstag (30. Octvb.) eine Stelle im
Bosporus, während die Flut sonst nirgend vom Winde gekräuselt ward, ge¬
kocht. Es darf nicht eben sehr verwundern, wenn nnter solchen Umständen mit
einiger Spannung den Nachrichten aus Brussa entgegengesehen wird, welches
our hier seit dem verhängnißvollen Schlnßtag des Februar als den Herd aller
vulkanischen Erscheinungen dieser Gegend betrachtet. Während ich schreibe lagert
es wie ein dichter Höhenrauch über der Hauptstadt.

Aus der Krim langen nach wie vor bedeutende Transporte von Kranken,
und zwar größerentheils von Verwundeten hier an, die man Sorge trägt, in den
durch zahlreiche Einschiffung von Genesenen nach Frankreich ziemlich leer gewordenen
Barackhospitälern unterzubringen. Mnthmaßlich schreiben fich diese Blessirten von
den Tagen des Bombardements und Sturmes her, is. bis 9. September) und
wurden, einem neuen Arrangement gemäß, bis daß sie in ein gewisses Stadium
der Heilung eingetreten, aus dem Kriegsschauplatz selbst gepflegt. Mit den letzten
Transporten kamen auch zahlreiche Händler, die ans der Rückreise begriffen sind,
hier an; ein Preuße nnter ihnen, der früher in der Artillerie diente, und insofern
wilitärisches Urtheil besitzt, erzählte einem meiner hiesigen Bekannten von den un-
glaublichen Schwierigkeiten, welche nach genommener Besichtigung die Ersteigung
des Malakowwerkes gehabt hat. Hier leisteten, allem was man darüber hört nach
Su urtheilen, die Zuaven wahrhaft Wunder, Wie es scheint führte sie eine „Das-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/363>, abgerufen am 28.04.2024.