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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Droysen, Geschichte der preußischen Politik.

I. G. Droysen, Geschichte der preußischen Politik. Erster Theil. Die Grün¬
dung. Berlin, Veit u. Comp. --

Nicht allen wird es geglückt sein, hinter dem Titel "Geschichte der preu¬
ßischen Politik" ein Werk zu vermuthen, wie dasjenige, mit dem Droysen
unsre Literatur bereichert hat. Wo jetzt von Politik schlechtweg gesprochen
wird, ist man gewohnt, darunter die Maßnahmen zu begreifen, durch welche
das Verhältniß von Staat zu Staat bestimmt wird; und von einer solchen
Politik kann füglich nur bei selbstständigen, souveränen Staaten die Rede
sein. Faßt man das Wort im weitern Sinn als Inbegriff aller derjenigen Be¬
strebungen und Verhältnisse, durch welche das Wachsthum eines Staats be¬
fördert, gehemmt oder geleitet wird, mögen sie nun das Innere des Landes
oder seine auswärtigen Beziehungen betreffen, so liegt es nahe, den Anfang
Preußischer Politik von der Vereinigung des Herzogthums Preußen mit den
Marken zu datiren; und wenn man gleichwol hört, daß der erste Band des
genannten Werkes mit dem Jahre'1440 abschließt, so richtet man seine Ge¬
danken unwillkürlich auf den Hochmeisterstaat, als das einzige Territorium,
welches vor 14i0 Anspruch darauf machen könnte, als Träger einer preußi¬
schen Politik betrachtet zu werden. Um so überraschender ist es, daß der vor¬
liegende Band ausschließlich vom deutschen Reich, von den Marken, von dem
Auftreten der "'ürggrafen von Nürnberg handelt, daß er im Wesentlichen die
Politik der Grafen von Zollern zeichnet, zu einer Zeit, als diese noch nicht
ahnen konnten, daß ihre Politik und die preußische einstmals zusammenfallen
würden.

Droysens Werk bietet also zu unsrer Freude viel mehr als es verspricht.
Nicht eine Seite unsers Staatslebens, sondern die Gesammtheit der Ten-
de-uzen und maßgebenden Ereignisse, die auf Preußens Wachsthum Einfluß
guide haben', soll in ihm dargestellt werden; nicht der durch die Vereinigung
bedeutender Territorien bereits festbegründ ete Staat und sein ferneres Schick¬
sal wird uns vorgeführt: Droysen steigt zu den ersten Anfängen hinab, gibt
uns die viel lehrreichere Geschichte des Wachsens und Werdens, die grade bei
Preußen besonders merkwürdig ist und verglichen mit der Geschichte der Ent-


Grenzboten. IV. 48ö6. S-I
Droysen, Geschichte der preußischen Politik.

I. G. Droysen, Geschichte der preußischen Politik. Erster Theil. Die Grün¬
dung. Berlin, Veit u. Comp. —

Nicht allen wird es geglückt sein, hinter dem Titel „Geschichte der preu¬
ßischen Politik" ein Werk zu vermuthen, wie dasjenige, mit dem Droysen
unsre Literatur bereichert hat. Wo jetzt von Politik schlechtweg gesprochen
wird, ist man gewohnt, darunter die Maßnahmen zu begreifen, durch welche
das Verhältniß von Staat zu Staat bestimmt wird; und von einer solchen
Politik kann füglich nur bei selbstständigen, souveränen Staaten die Rede
sein. Faßt man das Wort im weitern Sinn als Inbegriff aller derjenigen Be¬
strebungen und Verhältnisse, durch welche das Wachsthum eines Staats be¬
fördert, gehemmt oder geleitet wird, mögen sie nun das Innere des Landes
oder seine auswärtigen Beziehungen betreffen, so liegt es nahe, den Anfang
Preußischer Politik von der Vereinigung des Herzogthums Preußen mit den
Marken zu datiren; und wenn man gleichwol hört, daß der erste Band des
genannten Werkes mit dem Jahre'1440 abschließt, so richtet man seine Ge¬
danken unwillkürlich auf den Hochmeisterstaat, als das einzige Territorium,
welches vor 14i0 Anspruch darauf machen könnte, als Träger einer preußi¬
schen Politik betrachtet zu werden. Um so überraschender ist es, daß der vor¬
liegende Band ausschließlich vom deutschen Reich, von den Marken, von dem
Auftreten der "'ürggrafen von Nürnberg handelt, daß er im Wesentlichen die
Politik der Grafen von Zollern zeichnet, zu einer Zeit, als diese noch nicht
ahnen konnten, daß ihre Politik und die preußische einstmals zusammenfallen
würden.

Droysens Werk bietet also zu unsrer Freude viel mehr als es verspricht.
Nicht eine Seite unsers Staatslebens, sondern die Gesammtheit der Ten-
de-uzen und maßgebenden Ereignisse, die auf Preußens Wachsthum Einfluß
guide haben', soll in ihm dargestellt werden; nicht der durch die Vereinigung
bedeutender Territorien bereits festbegründ ete Staat und sein ferneres Schick¬
sal wird uns vorgeführt: Droysen steigt zu den ersten Anfängen hinab, gibt
uns die viel lehrreichere Geschichte des Wachsens und Werdens, die grade bei
Preußen besonders merkwürdig ist und verglichen mit der Geschichte der Ent-


Grenzboten. IV. 48ö6. S-I
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[0409] Droysen, Geschichte der preußischen Politik. I. G. Droysen, Geschichte der preußischen Politik. Erster Theil. Die Grün¬ dung. Berlin, Veit u. Comp. — Nicht allen wird es geglückt sein, hinter dem Titel „Geschichte der preu¬ ßischen Politik" ein Werk zu vermuthen, wie dasjenige, mit dem Droysen unsre Literatur bereichert hat. Wo jetzt von Politik schlechtweg gesprochen wird, ist man gewohnt, darunter die Maßnahmen zu begreifen, durch welche das Verhältniß von Staat zu Staat bestimmt wird; und von einer solchen Politik kann füglich nur bei selbstständigen, souveränen Staaten die Rede sein. Faßt man das Wort im weitern Sinn als Inbegriff aller derjenigen Be¬ strebungen und Verhältnisse, durch welche das Wachsthum eines Staats be¬ fördert, gehemmt oder geleitet wird, mögen sie nun das Innere des Landes oder seine auswärtigen Beziehungen betreffen, so liegt es nahe, den Anfang Preußischer Politik von der Vereinigung des Herzogthums Preußen mit den Marken zu datiren; und wenn man gleichwol hört, daß der erste Band des genannten Werkes mit dem Jahre'1440 abschließt, so richtet man seine Ge¬ danken unwillkürlich auf den Hochmeisterstaat, als das einzige Territorium, welches vor 14i0 Anspruch darauf machen könnte, als Träger einer preußi¬ schen Politik betrachtet zu werden. Um so überraschender ist es, daß der vor¬ liegende Band ausschließlich vom deutschen Reich, von den Marken, von dem Auftreten der "'ürggrafen von Nürnberg handelt, daß er im Wesentlichen die Politik der Grafen von Zollern zeichnet, zu einer Zeit, als diese noch nicht ahnen konnten, daß ihre Politik und die preußische einstmals zusammenfallen würden. Droysens Werk bietet also zu unsrer Freude viel mehr als es verspricht. Nicht eine Seite unsers Staatslebens, sondern die Gesammtheit der Ten- de-uzen und maßgebenden Ereignisse, die auf Preußens Wachsthum Einfluß guide haben', soll in ihm dargestellt werden; nicht der durch die Vereinigung bedeutender Territorien bereits festbegründ ete Staat und sein ferneres Schick¬ sal wird uns vorgeführt: Droysen steigt zu den ersten Anfängen hinab, gibt uns die viel lehrreichere Geschichte des Wachsens und Werdens, die grade bei Preußen besonders merkwürdig ist und verglichen mit der Geschichte der Ent- Grenzboten. IV. 48ö6. S-I

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/409>, abgerufen am 27.04.2024.