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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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das Erzeugniß unsres eignen Geistes zu sein. Zweifelsohne wird die Zeit
kommen, wo es eine amerikanische Schule in der Wissenschaft wie in den
schönen Wissenschaften und Künsten geben wird; jetzt gibt es allerdings noch
keine.....Die deutsche Literatur hat noch einen besondern Reiz; das ist
der religiöse Charakter ihrer Werke. Wir wissen, daß es oft heißt, die Deut¬
schen waren ausschweifend, unsittlich nach allen Richtungen hin, sie wären
NeligionShasser. Aber der religiöse Geist begegnet uns in ihrer Literatur, wo wir
ihn am allerwenigsten erwarten, ohne daß er sich uns aufdrängt .... Der
Fleiß, der alle Oberflächlichkeit meidet, der Muth, der nach den Ursachen der
Dinge forscht und das Verlangen, zu dem zurückzukehren, was allein elemen¬
tarisch und ewig in der Kritik, Philosophie und Religion ist, die religiöse
Ehrfurcht und Demuth, welche sie durchweht, das alles kann auf unsre Jugend
die glücklichste Einwirkung ausüben." --

Wer so schön über die deutsche Literatur zu sprechen weiß, verdient wol
in Deutschland näher gekannt und gewürdigt zu werden, wenn wir auch -->
um mit diesem offenen Bekenntniß zu schließen -- mehr daraus lernen, was
wir mit unsrer Anlage leisten könnten, als was wir wirklich leisten.




Korrespondenzen.
Aus Konstantinopel.

-- Da die Concentrirung bedeu¬
tender französischer Truppenmassen in der nächsten Umgegend dieser Hauptstadt nicht
ermangeln wird, ein lebhaftes Interesse auf sich zu ziehen, so erachtete ich es für
eine Pflicht gegen die Leser Ihrer Blätter, mich neuerdings auf die verschiedenen
Lagerpunkte hinzubegeben, um daselbst mit eignen Augen aus der Größe der ge¬
troffenen Anstalten aus die Stärke der zu versammelnden Streitmacht schließen zu
können. Ich schlug zunächst den Weg uach Kiahat-Hane ein, um das auf der
Höhe des linken Ufers des Baches Barbijses gelegene, wie ich hörte im Aufbau
begriffene Lager für die aus der Krim zurückzunehmende französische Cavalcrie zu
besichtigen. Kaum bin ich jemals in einer ähnlichen Weise, wie bei dieser Ge¬
legenheit getäuscht worden. Ich hatte erwartet, einige hundert Zimmerleute alt dem
Aufrichten langer Reihen von Stallbaracken für mehre tausend Pferde beschäftigt vor¬
zufinden. Statt dessen sah ich ein Dutzend Schuppen, von je acht Schritt Brille
und fünfzehn Schritt Länge, die erst mit Bretern eingedacht waren, und in ihrer
Zustammenstellung ohne Plan und Regel kaum muthmaßen ließen, daß sie der An¬
fang zu etwas Größerem seien. Neben den Schuppen standen acht oder zehn leinene
Zelte, in denen eine französische Jnsanteriecompaguie Quartier genommen hatte,
und dann und wann kam ein Trupp von Eseln an, die mit Bretern und Latten


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das Erzeugniß unsres eignen Geistes zu sein. Zweifelsohne wird die Zeit
kommen, wo es eine amerikanische Schule in der Wissenschaft wie in den
schönen Wissenschaften und Künsten geben wird; jetzt gibt es allerdings noch
keine.....Die deutsche Literatur hat noch einen besondern Reiz; das ist
der religiöse Charakter ihrer Werke. Wir wissen, daß es oft heißt, die Deut¬
schen waren ausschweifend, unsittlich nach allen Richtungen hin, sie wären
NeligionShasser. Aber der religiöse Geist begegnet uns in ihrer Literatur, wo wir
ihn am allerwenigsten erwarten, ohne daß er sich uns aufdrängt .... Der
Fleiß, der alle Oberflächlichkeit meidet, der Muth, der nach den Ursachen der
Dinge forscht und das Verlangen, zu dem zurückzukehren, was allein elemen¬
tarisch und ewig in der Kritik, Philosophie und Religion ist, die religiöse
Ehrfurcht und Demuth, welche sie durchweht, das alles kann auf unsre Jugend
die glücklichste Einwirkung ausüben." —

Wer so schön über die deutsche Literatur zu sprechen weiß, verdient wol
in Deutschland näher gekannt und gewürdigt zu werden, wenn wir auch —>
um mit diesem offenen Bekenntniß zu schließen — mehr daraus lernen, was
wir mit unsrer Anlage leisten könnten, als was wir wirklich leisten.




Korrespondenzen.
Aus Konstantinopel.

— Da die Concentrirung bedeu¬
tender französischer Truppenmassen in der nächsten Umgegend dieser Hauptstadt nicht
ermangeln wird, ein lebhaftes Interesse auf sich zu ziehen, so erachtete ich es für
eine Pflicht gegen die Leser Ihrer Blätter, mich neuerdings auf die verschiedenen
Lagerpunkte hinzubegeben, um daselbst mit eignen Augen aus der Größe der ge¬
troffenen Anstalten aus die Stärke der zu versammelnden Streitmacht schließen zu
können. Ich schlug zunächst den Weg uach Kiahat-Hane ein, um das auf der
Höhe des linken Ufers des Baches Barbijses gelegene, wie ich hörte im Aufbau
begriffene Lager für die aus der Krim zurückzunehmende französische Cavalcrie zu
besichtigen. Kaum bin ich jemals in einer ähnlichen Weise, wie bei dieser Ge¬
legenheit getäuscht worden. Ich hatte erwartet, einige hundert Zimmerleute alt dem
Aufrichten langer Reihen von Stallbaracken für mehre tausend Pferde beschäftigt vor¬
zufinden. Statt dessen sah ich ein Dutzend Schuppen, von je acht Schritt Brille
und fünfzehn Schritt Länge, die erst mit Bretern eingedacht waren, und in ihrer
Zustammenstellung ohne Plan und Regel kaum muthmaßen ließen, daß sie der An¬
fang zu etwas Größerem seien. Neben den Schuppen standen acht oder zehn leinene
Zelte, in denen eine französische Jnsanteriecompaguie Quartier genommen hatte,
und dann und wann kam ein Trupp von Eseln an, die mit Bretern und Latten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/43>, abgerufen am 28.04.2024.