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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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geschlecht." -- Man möge die weitere Ausführung dieses wunderbar getroffe¬
nen Porträts, welches seine Originale nicht blos in Amerika hat, in dem Buche
selbst nachsehen.

Derselbe Band enthält eine eingehende und geistvolle Kritik des Lebens Jesu
von Strauß. Was uns aber am meisten interessirt hat, ist die glänzende
Apologie der deutschen Literatur bei Gelegenheit eines Aussatzes über Menzels
Literaturgeschichte.

"Nach unserm Dafürhalten ist die deutsche Literatur die schönste, die
reichste, die ursprünglichste, die frischeste und die religiöseste Literatur der ganzen
neuern Zeit .... Wir hören bisweilen sagen, daß, die Vortrefflichkeit von
zwei oder drei deutschen Autoren zugegeben, ihre Literatur im Vergleich mit
der englischen oberflächlich, beschränkt und arm sei. Sehen wir uns die Sache
näher an und vergleichen wir beide in einigen Punkten. Die classische Bil¬
dung ist lange Zeit der Stolz Englands gewesen. Man findet einen Reich¬
thum von classischen Anspielungen in seinen besten Schriftstellern, der einen
unaussprechlichen Neiz hat und in manchem poetischen Kunstwerke die haupt¬
sächlichste Schönheit bildet. Classische Bildung ist der Stolz ihrer beiden alten
und ehrenwerthen Universitäten und ihr Geist waltet überall auf der Insel.
Der englische Gelehrte ist stolz auf die Menge seines classischen Wissens und
auf die Genauigkeit seiner Citate aus Seneca und Demosthenes. Aber aus
welchem Lande bekommen wir Ausgaben der Classtker, die des Lesens werth
sind, in denen moderne Wissenschaft und Kunst den alten Text wiederhergestellt
haben? Welches Land nährt die Männer, die den Homer, den Herodot, die
Anthologie des Planudes und die dramatischen Dichter erläutern? Wer er¬
klärt uns die Alterthümer Athens und schreibt die bis ins Einzelnste gehenden
Abhandlungen über das Erbrecht, die Kasten, die Stämme und die Sitten und
Gebräuche der Männer von Attika? Wer sammelt alle die nothwendigen
Thatsachen und reproducirt die Ideen, die bewußt oder unbewußt an den
Usern des Curotas, des Nil oder des Alpheus dargelegt worden sind? Nur
die Deutschen.....Wir möchten nicht die Verdienste der werdenden Literatur
unsres eignen Landes verkennen. Es konnte bisher wenig von uns erwartet
werden. Unsre Aufgabe bestand darin, den Wald zu fällen, Wege und Schneide¬
mühlen, Eisenbahnen und Dampfboote zu bauen, den Grund zu einem großen
Volke zu legen und für die Bedürfnisse des Tages zu sorgen. Noch gibt es
keine amerikanische Literatur, die den Grundzügen unsrer Institutionen ent¬
spricht, wie die englische oder französische Literatur den ihrigen. Wir sind viel¬
leicht noch zu jung und roh , um die große amerikanische Idee in der Literatur
oder der Gesellschaft durchzuführen. Gegenwärtig sind beides Nachahmungen
und scheinen vielmehr das Resultat auswärtiger und zufälliger Umstände, als


geschlecht." — Man möge die weitere Ausführung dieses wunderbar getroffe¬
nen Porträts, welches seine Originale nicht blos in Amerika hat, in dem Buche
selbst nachsehen.

Derselbe Band enthält eine eingehende und geistvolle Kritik des Lebens Jesu
von Strauß. Was uns aber am meisten interessirt hat, ist die glänzende
Apologie der deutschen Literatur bei Gelegenheit eines Aussatzes über Menzels
Literaturgeschichte.

„Nach unserm Dafürhalten ist die deutsche Literatur die schönste, die
reichste, die ursprünglichste, die frischeste und die religiöseste Literatur der ganzen
neuern Zeit .... Wir hören bisweilen sagen, daß, die Vortrefflichkeit von
zwei oder drei deutschen Autoren zugegeben, ihre Literatur im Vergleich mit
der englischen oberflächlich, beschränkt und arm sei. Sehen wir uns die Sache
näher an und vergleichen wir beide in einigen Punkten. Die classische Bil¬
dung ist lange Zeit der Stolz Englands gewesen. Man findet einen Reich¬
thum von classischen Anspielungen in seinen besten Schriftstellern, der einen
unaussprechlichen Neiz hat und in manchem poetischen Kunstwerke die haupt¬
sächlichste Schönheit bildet. Classische Bildung ist der Stolz ihrer beiden alten
und ehrenwerthen Universitäten und ihr Geist waltet überall auf der Insel.
Der englische Gelehrte ist stolz auf die Menge seines classischen Wissens und
auf die Genauigkeit seiner Citate aus Seneca und Demosthenes. Aber aus
welchem Lande bekommen wir Ausgaben der Classtker, die des Lesens werth
sind, in denen moderne Wissenschaft und Kunst den alten Text wiederhergestellt
haben? Welches Land nährt die Männer, die den Homer, den Herodot, die
Anthologie des Planudes und die dramatischen Dichter erläutern? Wer er¬
klärt uns die Alterthümer Athens und schreibt die bis ins Einzelnste gehenden
Abhandlungen über das Erbrecht, die Kasten, die Stämme und die Sitten und
Gebräuche der Männer von Attika? Wer sammelt alle die nothwendigen
Thatsachen und reproducirt die Ideen, die bewußt oder unbewußt an den
Usern des Curotas, des Nil oder des Alpheus dargelegt worden sind? Nur
die Deutschen.....Wir möchten nicht die Verdienste der werdenden Literatur
unsres eignen Landes verkennen. Es konnte bisher wenig von uns erwartet
werden. Unsre Aufgabe bestand darin, den Wald zu fällen, Wege und Schneide¬
mühlen, Eisenbahnen und Dampfboote zu bauen, den Grund zu einem großen
Volke zu legen und für die Bedürfnisse des Tages zu sorgen. Noch gibt es
keine amerikanische Literatur, die den Grundzügen unsrer Institutionen ent¬
spricht, wie die englische oder französische Literatur den ihrigen. Wir sind viel¬
leicht noch zu jung und roh , um die große amerikanische Idee in der Literatur
oder der Gesellschaft durchzuführen. Gegenwärtig sind beides Nachahmungen
und scheinen vielmehr das Resultat auswärtiger und zufälliger Umstände, als


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[0042] geschlecht." — Man möge die weitere Ausführung dieses wunderbar getroffe¬ nen Porträts, welches seine Originale nicht blos in Amerika hat, in dem Buche selbst nachsehen. Derselbe Band enthält eine eingehende und geistvolle Kritik des Lebens Jesu von Strauß. Was uns aber am meisten interessirt hat, ist die glänzende Apologie der deutschen Literatur bei Gelegenheit eines Aussatzes über Menzels Literaturgeschichte. „Nach unserm Dafürhalten ist die deutsche Literatur die schönste, die reichste, die ursprünglichste, die frischeste und die religiöseste Literatur der ganzen neuern Zeit .... Wir hören bisweilen sagen, daß, die Vortrefflichkeit von zwei oder drei deutschen Autoren zugegeben, ihre Literatur im Vergleich mit der englischen oberflächlich, beschränkt und arm sei. Sehen wir uns die Sache näher an und vergleichen wir beide in einigen Punkten. Die classische Bil¬ dung ist lange Zeit der Stolz Englands gewesen. Man findet einen Reich¬ thum von classischen Anspielungen in seinen besten Schriftstellern, der einen unaussprechlichen Neiz hat und in manchem poetischen Kunstwerke die haupt¬ sächlichste Schönheit bildet. Classische Bildung ist der Stolz ihrer beiden alten und ehrenwerthen Universitäten und ihr Geist waltet überall auf der Insel. Der englische Gelehrte ist stolz auf die Menge seines classischen Wissens und auf die Genauigkeit seiner Citate aus Seneca und Demosthenes. Aber aus welchem Lande bekommen wir Ausgaben der Classtker, die des Lesens werth sind, in denen moderne Wissenschaft und Kunst den alten Text wiederhergestellt haben? Welches Land nährt die Männer, die den Homer, den Herodot, die Anthologie des Planudes und die dramatischen Dichter erläutern? Wer er¬ klärt uns die Alterthümer Athens und schreibt die bis ins Einzelnste gehenden Abhandlungen über das Erbrecht, die Kasten, die Stämme und die Sitten und Gebräuche der Männer von Attika? Wer sammelt alle die nothwendigen Thatsachen und reproducirt die Ideen, die bewußt oder unbewußt an den Usern des Curotas, des Nil oder des Alpheus dargelegt worden sind? Nur die Deutschen.....Wir möchten nicht die Verdienste der werdenden Literatur unsres eignen Landes verkennen. Es konnte bisher wenig von uns erwartet werden. Unsre Aufgabe bestand darin, den Wald zu fällen, Wege und Schneide¬ mühlen, Eisenbahnen und Dampfboote zu bauen, den Grund zu einem großen Volke zu legen und für die Bedürfnisse des Tages zu sorgen. Noch gibt es keine amerikanische Literatur, die den Grundzügen unsrer Institutionen ent¬ spricht, wie die englische oder französische Literatur den ihrigen. Wir sind viel¬ leicht noch zu jung und roh , um die große amerikanische Idee in der Literatur oder der Gesellschaft durchzuführen. Gegenwärtig sind beides Nachahmungen und scheinen vielmehr das Resultat auswärtiger und zufälliger Umstände, als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/42>, abgerufen am 10.05.2024.