Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Friedrich Jacob,

Direktor des Catharincnms in Lübeck, in seinem Leben n"d Wirken. Dar¬
gestellt von I. Classen, ">., Director des Gymnasiums in Frankfurt a. M.
Nebst Mittheilungen aus seinem ungedruckten poetischen und prosaischen Nach¬
laß und seinem Bildniß in Kupferstich. Jena, Fr. Frommann. -I8S3.

Das Leben eines Mannes dargestellt zu sehen, der in dem stillsten Wirken
des Gelehrten und Schulmannes eine tiefe und vielseitige Beschäftigung mit alter
Kunst und Literatur, so wie einen seltenen Drang zu eigner Productivität und
eine höchst originelle tief ethische Auffassung aller menschlichen Verhältnisse be¬
thätigte, ist kein geringer Genuß. Friedrich Jacob gehörte gewiß zu den be¬
deutendsten Menschen seiner Zeit. Eine andre Frage ist es, ob diese Fülle und
Tiefe ursprünglicher Gedanken von andern, als den besten seiner Schüler hat
gefaßt und gewürdigt werden können, ob diese fast allzu reizbare, fein künstlerische
Weltbetrachtung nicht bei vielen ein überzärtliches, unmännliches Verlieren in
subjective Empfindungen genährt haben möge. Jacob selbst meinte etwas
Weibliches in seinem Körperbau zu haben; sein Seelenbau hatte dessen gewiß.
Aber wie auch diese Schatten des edlen Bildes dem sinnigen Leser nicht ent¬
gehen werben, dennoch ist des Lichtes so viel, daß wir davon wie magnetisch an¬
gezogen werden. Er führte wie keiner in einem Verhältniß, welches nur zu
oft der Tummelplatz des widrigsten und kleinlichsten Hasses und Neides ist,
durch sein energisches Beispiel vorangehend, den Grundsatz, der brüderlichen
Liebe und Eintracht durch in der Lehrercollegialität. Zwar gehört die
Anstalt, der er vorstand, zu den nur in einem kleinen Theile Norddeutschlands
häufigeren, an denen die Kollegen nicht einander um das Brot zu beneiden,
durch die Erbärmlichkeit ihrer Besoldungen verführt werden; zwar trug also
hier nicht der Staat und die Gemeinde, durch Zersplitterung der Finanzkräfte,
über eine Masse kleiner und schlecht dotüter Erziehungsanstalten die Mitschuld
an solchen unseligen Schäden; zwar kam ihm gewiß darin manche edlere Natur
unter seinen College" entgegen, und bot überhaupt die bekannte transalbingische
Gutmüthigkeit dazu die Hand: aber das Hauptverdienst war doch sicherlich
seins, des Directors, denn die Erfahrung lehrt, daß, wo eine wahrhaft edle,
beherrschende Natur an der Spitze steht, auch bei recht ungünstigen realen und
Persönlichen Verhältnissen ein guter Geist, und daß, wo etwa nur ein guter
Gelehrter oder ein Schlaukopf oder ein geschickter Lehrer ,an der Spitze steht,
auch bei Gold und Weisheit in Fülle ein recht feindseliger Geist regieren
kann, lind nirgend wol ist dieser verderblicher, als in einem Collegium, dessen
ganzes Geschäft so mystisch verbundener, so fein gemüthlicher Art ist, dessen Bei¬
spiel so allewege musterhaft sein sollte, während in andern, z. B. juristischen


Grenzboten. IV. S7
Friedrich Jacob,

Direktor des Catharincnms in Lübeck, in seinem Leben n»d Wirken. Dar¬
gestellt von I. Classen, »>., Director des Gymnasiums in Frankfurt a. M.
Nebst Mittheilungen aus seinem ungedruckten poetischen und prosaischen Nach¬
laß und seinem Bildniß in Kupferstich. Jena, Fr. Frommann. -I8S3.

Das Leben eines Mannes dargestellt zu sehen, der in dem stillsten Wirken
des Gelehrten und Schulmannes eine tiefe und vielseitige Beschäftigung mit alter
Kunst und Literatur, so wie einen seltenen Drang zu eigner Productivität und
eine höchst originelle tief ethische Auffassung aller menschlichen Verhältnisse be¬
thätigte, ist kein geringer Genuß. Friedrich Jacob gehörte gewiß zu den be¬
deutendsten Menschen seiner Zeit. Eine andre Frage ist es, ob diese Fülle und
Tiefe ursprünglicher Gedanken von andern, als den besten seiner Schüler hat
gefaßt und gewürdigt werden können, ob diese fast allzu reizbare, fein künstlerische
Weltbetrachtung nicht bei vielen ein überzärtliches, unmännliches Verlieren in
subjective Empfindungen genährt haben möge. Jacob selbst meinte etwas
Weibliches in seinem Körperbau zu haben; sein Seelenbau hatte dessen gewiß.
Aber wie auch diese Schatten des edlen Bildes dem sinnigen Leser nicht ent¬
gehen werben, dennoch ist des Lichtes so viel, daß wir davon wie magnetisch an¬
gezogen werden. Er führte wie keiner in einem Verhältniß, welches nur zu
oft der Tummelplatz des widrigsten und kleinlichsten Hasses und Neides ist,
durch sein energisches Beispiel vorangehend, den Grundsatz, der brüderlichen
Liebe und Eintracht durch in der Lehrercollegialität. Zwar gehört die
Anstalt, der er vorstand, zu den nur in einem kleinen Theile Norddeutschlands
häufigeren, an denen die Kollegen nicht einander um das Brot zu beneiden,
durch die Erbärmlichkeit ihrer Besoldungen verführt werden; zwar trug also
hier nicht der Staat und die Gemeinde, durch Zersplitterung der Finanzkräfte,
über eine Masse kleiner und schlecht dotüter Erziehungsanstalten die Mitschuld
an solchen unseligen Schäden; zwar kam ihm gewiß darin manche edlere Natur
unter seinen College» entgegen, und bot überhaupt die bekannte transalbingische
Gutmüthigkeit dazu die Hand: aber das Hauptverdienst war doch sicherlich
seins, des Directors, denn die Erfahrung lehrt, daß, wo eine wahrhaft edle,
beherrschende Natur an der Spitze steht, auch bei recht ungünstigen realen und
Persönlichen Verhältnissen ein guter Geist, und daß, wo etwa nur ein guter
Gelehrter oder ein Schlaukopf oder ein geschickter Lehrer ,an der Spitze steht,
auch bei Gold und Weisheit in Fülle ein recht feindseliger Geist regieren
kann, lind nirgend wol ist dieser verderblicher, als in einem Collegium, dessen
ganzes Geschäft so mystisch verbundener, so fein gemüthlicher Art ist, dessen Bei¬
spiel so allewege musterhaft sein sollte, während in andern, z. B. juristischen


Grenzboten. IV. S7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0457" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100911"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Friedrich Jacob,</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1352"> Direktor des Catharincnms in Lübeck, in seinem Leben n»d Wirken. Dar¬<lb/>
gestellt von I. Classen, »&gt;., Director des Gymnasiums in Frankfurt a. M.<lb/>
Nebst Mittheilungen aus seinem ungedruckten poetischen und prosaischen Nach¬<lb/>
laß und seinem Bildniß in Kupferstich.  Jena, Fr. Frommann. -I8S3.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1353" next="#ID_1354"> Das Leben eines Mannes dargestellt zu sehen, der in dem stillsten Wirken<lb/>
des Gelehrten und Schulmannes eine tiefe und vielseitige Beschäftigung mit alter<lb/>
Kunst und Literatur, so wie einen seltenen Drang zu eigner Productivität und<lb/>
eine höchst originelle tief ethische Auffassung aller menschlichen Verhältnisse be¬<lb/>
thätigte, ist kein geringer Genuß. Friedrich Jacob gehörte gewiß zu den be¬<lb/>
deutendsten Menschen seiner Zeit. Eine andre Frage ist es, ob diese Fülle und<lb/>
Tiefe ursprünglicher Gedanken von andern, als den besten seiner Schüler hat<lb/>
gefaßt und gewürdigt werden können, ob diese fast allzu reizbare, fein künstlerische<lb/>
Weltbetrachtung nicht bei vielen ein überzärtliches, unmännliches Verlieren in<lb/>
subjective Empfindungen genährt haben möge. Jacob selbst meinte etwas<lb/>
Weibliches in seinem Körperbau zu haben; sein Seelenbau hatte dessen gewiß.<lb/>
Aber wie auch diese Schatten des edlen Bildes dem sinnigen Leser nicht ent¬<lb/>
gehen werben, dennoch ist des Lichtes so viel, daß wir davon wie magnetisch an¬<lb/>
gezogen werden. Er führte wie keiner in einem Verhältniß, welches nur zu<lb/>
oft der Tummelplatz des widrigsten und kleinlichsten Hasses und Neides ist,<lb/>
durch sein energisches Beispiel vorangehend, den Grundsatz, der brüderlichen<lb/>
Liebe und Eintracht durch in der Lehrercollegialität. Zwar gehört die<lb/>
Anstalt, der er vorstand, zu den nur in einem kleinen Theile Norddeutschlands<lb/>
häufigeren, an denen die Kollegen nicht einander um das Brot zu beneiden,<lb/>
durch die Erbärmlichkeit ihrer Besoldungen verführt werden; zwar trug also<lb/>
hier nicht der Staat und die Gemeinde, durch Zersplitterung der Finanzkräfte,<lb/>
über eine Masse kleiner und schlecht dotüter Erziehungsanstalten die Mitschuld<lb/>
an solchen unseligen Schäden; zwar kam ihm gewiß darin manche edlere Natur<lb/>
unter seinen College» entgegen, und bot überhaupt die bekannte transalbingische<lb/>
Gutmüthigkeit dazu die Hand: aber das Hauptverdienst war doch sicherlich<lb/>
seins, des Directors, denn die Erfahrung lehrt, daß, wo eine wahrhaft edle,<lb/>
beherrschende Natur an der Spitze steht, auch bei recht ungünstigen realen und<lb/>
Persönlichen Verhältnissen ein guter Geist, und daß, wo etwa nur ein guter<lb/>
Gelehrter oder ein Schlaukopf oder ein geschickter Lehrer ,an der Spitze steht,<lb/>
auch bei Gold und Weisheit in Fülle ein recht feindseliger Geist regieren<lb/>
kann, lind nirgend wol ist dieser verderblicher, als in einem Collegium, dessen<lb/>
ganzes Geschäft so mystisch verbundener, so fein gemüthlicher Art ist, dessen Bei¬<lb/>
spiel so allewege musterhaft sein sollte, während in andern, z. B. juristischen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. IV. S7</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0457] Friedrich Jacob, Direktor des Catharincnms in Lübeck, in seinem Leben n»d Wirken. Dar¬ gestellt von I. Classen, »>., Director des Gymnasiums in Frankfurt a. M. Nebst Mittheilungen aus seinem ungedruckten poetischen und prosaischen Nach¬ laß und seinem Bildniß in Kupferstich. Jena, Fr. Frommann. -I8S3. Das Leben eines Mannes dargestellt zu sehen, der in dem stillsten Wirken des Gelehrten und Schulmannes eine tiefe und vielseitige Beschäftigung mit alter Kunst und Literatur, so wie einen seltenen Drang zu eigner Productivität und eine höchst originelle tief ethische Auffassung aller menschlichen Verhältnisse be¬ thätigte, ist kein geringer Genuß. Friedrich Jacob gehörte gewiß zu den be¬ deutendsten Menschen seiner Zeit. Eine andre Frage ist es, ob diese Fülle und Tiefe ursprünglicher Gedanken von andern, als den besten seiner Schüler hat gefaßt und gewürdigt werden können, ob diese fast allzu reizbare, fein künstlerische Weltbetrachtung nicht bei vielen ein überzärtliches, unmännliches Verlieren in subjective Empfindungen genährt haben möge. Jacob selbst meinte etwas Weibliches in seinem Körperbau zu haben; sein Seelenbau hatte dessen gewiß. Aber wie auch diese Schatten des edlen Bildes dem sinnigen Leser nicht ent¬ gehen werben, dennoch ist des Lichtes so viel, daß wir davon wie magnetisch an¬ gezogen werden. Er führte wie keiner in einem Verhältniß, welches nur zu oft der Tummelplatz des widrigsten und kleinlichsten Hasses und Neides ist, durch sein energisches Beispiel vorangehend, den Grundsatz, der brüderlichen Liebe und Eintracht durch in der Lehrercollegialität. Zwar gehört die Anstalt, der er vorstand, zu den nur in einem kleinen Theile Norddeutschlands häufigeren, an denen die Kollegen nicht einander um das Brot zu beneiden, durch die Erbärmlichkeit ihrer Besoldungen verführt werden; zwar trug also hier nicht der Staat und die Gemeinde, durch Zersplitterung der Finanzkräfte, über eine Masse kleiner und schlecht dotüter Erziehungsanstalten die Mitschuld an solchen unseligen Schäden; zwar kam ihm gewiß darin manche edlere Natur unter seinen College» entgegen, und bot überhaupt die bekannte transalbingische Gutmüthigkeit dazu die Hand: aber das Hauptverdienst war doch sicherlich seins, des Directors, denn die Erfahrung lehrt, daß, wo eine wahrhaft edle, beherrschende Natur an der Spitze steht, auch bei recht ungünstigen realen und Persönlichen Verhältnissen ein guter Geist, und daß, wo etwa nur ein guter Gelehrter oder ein Schlaukopf oder ein geschickter Lehrer ,an der Spitze steht, auch bei Gold und Weisheit in Fülle ein recht feindseliger Geist regieren kann, lind nirgend wol ist dieser verderblicher, als in einem Collegium, dessen ganzes Geschäft so mystisch verbundener, so fein gemüthlicher Art ist, dessen Bei¬ spiel so allewege musterhaft sein sollte, während in andern, z. B. juristischen Grenzboten. IV. S7

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/457
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/457>, abgerufen am 28.04.2024.