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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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leidige, erwachte sie mit verstärkter Gewalt. Hohenstein rüstete sich zu blutiger
Fehde. Vergebens strebte Maria, die ein süßes Pfand ihrer Liebe unter dem
Herzen trug, ihn von diesem Kampfe zurückzuhalten, indem ihr eine trübe
Ahnung sagte, er werde nicht lebend aus demselben zurückkehren. Wüthend
schleuderte er die Flehende zurück. Ohnmächtig sank sie an der Pforte hin,
kam bald darauf mit einem todten Knaben nieder und folgte ihrem Kinde noch
an demselben Tage. Da erschien dem im Dickicht unfern der Burg auf seinen
Feind lauernden Ritter eine bleiche Gestalt mit einem Kindlein im Arm.
Hohenstein erkannte seine Gattin und ahnte mit Entsetzen den Zusammenhang
dieser wunderbaren Erscheinung. "Ruhe fliehe dich!" rief ihm klagend die Ge¬
stalt zu. "Rastlos kunde von Burg zu Burg ziehend dein Geist dem Volke
Krieg und Unheil!" so sprach sie und verschwand. Und das Schicksal ging in
Erfüllungi Der Ritter fiel im Gefecht mit seinem Feinde. Seitdem aber zieht
das Geisterheer allnächtig aus von Schnellen nach Rodenstein und zurück, so
oft drohende Ereignisse das Vaterland bedrängen. Die ehemalige kurpfälzische
Negierung hat zu verschiedenen Zeiten Berichte und Zeugenverhöre von dem
Ausziehen des Lindenschmidts aufnehmen lassen, aber nie deren Resultate be¬
kannt gemacht. Der letzte Umzug des Geistes soll im December 1816 geschehen
sein. Wahrscheinlich wird der Lärm durch die in Gebirgsgegenden so oft vor¬
kommenden Windzuge veranlaßt.




Ueber die Taktik im gegenwärtigen Kriege,
im Gegensatz zu der seither Norm gewesenen napoleonischen Kampfmethode.

Wer die Gefechtberichte aus der Krim, die russischen wie die französischen,
mit Aufmerksamkeit gelesen und hier und da Gelegenheit gehabt hat, mit einem
Augenzeugen der dortigen Kämpfe zu sprechen, wird sich schmerlich der Be¬
merkung haben entschlagen können, daß in diesem blutigen Ringen von Masse
gegen Masse nicht mehr die alte Taktik die Leitung in den Händen hält, die
wir mehr aus Gewohnheit, als mit voller Rechtsbegründung die napoleonische
nennen; im Gegentheil, daß die moderne Fechtkunst in einer Umwandlung be¬
griffen ist, -- nicht aus Caprice oder weil ein genialer Kopf neue taktische
Formen entdeckt hat, sondern weil die während des langen Friedens verbesser¬
ten und neu gestatteten Waffen eine neue Verwendung erheischen.

Bevor ich auf eine nähere Begründung dieser Behauptung eingebe, wird
es am Orte sein, hier festzustellen, wie die sogenannte alte Taktik gewesen ist,
um aus dem Vergleich der heutigen mit ihr nicht nur auf den zwischen beiden
bestehenden Unterschied, sondern zugleich auf die Richtung schließen zu können,


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leidige, erwachte sie mit verstärkter Gewalt. Hohenstein rüstete sich zu blutiger
Fehde. Vergebens strebte Maria, die ein süßes Pfand ihrer Liebe unter dem
Herzen trug, ihn von diesem Kampfe zurückzuhalten, indem ihr eine trübe
Ahnung sagte, er werde nicht lebend aus demselben zurückkehren. Wüthend
schleuderte er die Flehende zurück. Ohnmächtig sank sie an der Pforte hin,
kam bald darauf mit einem todten Knaben nieder und folgte ihrem Kinde noch
an demselben Tage. Da erschien dem im Dickicht unfern der Burg auf seinen
Feind lauernden Ritter eine bleiche Gestalt mit einem Kindlein im Arm.
Hohenstein erkannte seine Gattin und ahnte mit Entsetzen den Zusammenhang
dieser wunderbaren Erscheinung. „Ruhe fliehe dich!" rief ihm klagend die Ge¬
stalt zu. „Rastlos kunde von Burg zu Burg ziehend dein Geist dem Volke
Krieg und Unheil!" so sprach sie und verschwand. Und das Schicksal ging in
Erfüllungi Der Ritter fiel im Gefecht mit seinem Feinde. Seitdem aber zieht
das Geisterheer allnächtig aus von Schnellen nach Rodenstein und zurück, so
oft drohende Ereignisse das Vaterland bedrängen. Die ehemalige kurpfälzische
Negierung hat zu verschiedenen Zeiten Berichte und Zeugenverhöre von dem
Ausziehen des Lindenschmidts aufnehmen lassen, aber nie deren Resultate be¬
kannt gemacht. Der letzte Umzug des Geistes soll im December 1816 geschehen
sein. Wahrscheinlich wird der Lärm durch die in Gebirgsgegenden so oft vor¬
kommenden Windzuge veranlaßt.




Ueber die Taktik im gegenwärtigen Kriege,
im Gegensatz zu der seither Norm gewesenen napoleonischen Kampfmethode.

Wer die Gefechtberichte aus der Krim, die russischen wie die französischen,
mit Aufmerksamkeit gelesen und hier und da Gelegenheit gehabt hat, mit einem
Augenzeugen der dortigen Kämpfe zu sprechen, wird sich schmerlich der Be¬
merkung haben entschlagen können, daß in diesem blutigen Ringen von Masse
gegen Masse nicht mehr die alte Taktik die Leitung in den Händen hält, die
wir mehr aus Gewohnheit, als mit voller Rechtsbegründung die napoleonische
nennen; im Gegentheil, daß die moderne Fechtkunst in einer Umwandlung be¬
griffen ist, — nicht aus Caprice oder weil ein genialer Kopf neue taktische
Formen entdeckt hat, sondern weil die während des langen Friedens verbesser¬
ten und neu gestatteten Waffen eine neue Verwendung erheischen.

Bevor ich auf eine nähere Begründung dieser Behauptung eingebe, wird
es am Orte sein, hier festzustellen, wie die sogenannte alte Taktik gewesen ist,
um aus dem Vergleich der heutigen mit ihr nicht nur auf den zwischen beiden
bestehenden Unterschied, sondern zugleich auf die Richtung schließen zu können,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/75>, abgerufen am 28.04.2024.