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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Shakespeare in Deutschland.

Shakespeares Werke. Herausgegeben und erklärt von tu-. Nicolau s Delins.
Erster Band, sechstes Stück. Elberfeld, Friderichs. --

Die sechste Lieferung, mit welcher der erste Band geschlossen ist, benutzt
Herr Delius dazu, sich wegen der Ausführung seines Unternehmens gegen
den bedeutendsten seiner Gegner, Herrn Mommsen, zu rechtfertigen. Er gibt
einige von den Ausstellungen des letztern zu, bei andern erklärt er, bei
seinem bisherigen Princip zu beharren. Wir lassen uns hier auf die einzelnen
Streitfragen nicht ein, wir wollen nur einen Punkt hervorheben, der in dem
Streit noch keine Erledigung gesunden hat, nämlich die Frage, was für ein
Publicum der Herausgeber sich bei seinem Werk zu denken habe. Herr Delius
sucht diese Frage zu umgehen, da jedes Werk sich erst ein bestimmtes Publicum
schaffen müsse, indeß läßt sich in diesem Fall doch wenigstens einigermaßen die
Grenze feststellen.

Für den eigentlichen Gelehrten soll das Werk nicht sein; für diesen würde der
kritische Apparat nicht ausreichen, für ihn würde auch manches, was hier geboten
wird, überflüssig sein. Das Werk kann also nur auf dasjenige Publicum Rück¬
sicht nehmen, welches der englischen Sprache mächtig ist, aber nicht soviel
Studien gemacht hat, um Shakespeare ohne Commentar verstehen zu können.
Dies Publicum wünscht 1) hinreichende Worterklärungen, 2) Sacherklärungen
in Beziehung auf die literarischen und andern Anspielungen, auf Theater¬
gebräuche und dergleichen, 3) Mittheilung der Quellen, aus denen Shakespeare
geschöpft hat. Was den kritischen Apparat betrifft, so wäre Vollständigkeit
hier nicht blos überflüssig, sondern störend. Man wünscht nur die Mitthei¬
lung derjenigen Lesarten, die sich auf eine gewichtige Autorität stützen und
ganz kurze Angabe der Gründe, warum Herr Delius sie nicht annimmt. --
Dies werden die leitenden Gesichtspunkte sein müssen. In der Ausführung
wird nun immer der eine noch dies, der andre jenes zu wünschen haben, wie
denn auch Herr Mommsen manche Einwendung gemacht hat, die allgemeine
Billigung finden wird. Die gegenwärtige Ausgabe ist allen bisherigen deut¬
schen Ausgaben Shakespeares so bedeutend überlegen, daß man von jenen
Ausstellungen gern absehen kann.

Aber eine Einwendung müssen wir gelten lassen, weil sie eine ganz prak¬
tische ist. Für das Publicum, welches wir im Auge haben, ist das Werk zu
theuer. Zwar hat der Verleger versprochen, mit dem zweiten Bande eine Preis¬
ermäßigung eintreten zu lassen, aber auch so wird der Preis für die nächsten
sechs Bände doch immer noch ungefähr neunzehn Thaler betragen. Nun wird zwar
allerdings für diesen Preis sehr viel geboten, dem Umfang wie dem Inhalt


Shakespeare in Deutschland.

Shakespeares Werke. Herausgegeben und erklärt von tu-. Nicolau s Delins.
Erster Band, sechstes Stück. Elberfeld, Friderichs. —

Die sechste Lieferung, mit welcher der erste Band geschlossen ist, benutzt
Herr Delius dazu, sich wegen der Ausführung seines Unternehmens gegen
den bedeutendsten seiner Gegner, Herrn Mommsen, zu rechtfertigen. Er gibt
einige von den Ausstellungen des letztern zu, bei andern erklärt er, bei
seinem bisherigen Princip zu beharren. Wir lassen uns hier auf die einzelnen
Streitfragen nicht ein, wir wollen nur einen Punkt hervorheben, der in dem
Streit noch keine Erledigung gesunden hat, nämlich die Frage, was für ein
Publicum der Herausgeber sich bei seinem Werk zu denken habe. Herr Delius
sucht diese Frage zu umgehen, da jedes Werk sich erst ein bestimmtes Publicum
schaffen müsse, indeß läßt sich in diesem Fall doch wenigstens einigermaßen die
Grenze feststellen.

Für den eigentlichen Gelehrten soll das Werk nicht sein; für diesen würde der
kritische Apparat nicht ausreichen, für ihn würde auch manches, was hier geboten
wird, überflüssig sein. Das Werk kann also nur auf dasjenige Publicum Rück¬
sicht nehmen, welches der englischen Sprache mächtig ist, aber nicht soviel
Studien gemacht hat, um Shakespeare ohne Commentar verstehen zu können.
Dies Publicum wünscht 1) hinreichende Worterklärungen, 2) Sacherklärungen
in Beziehung auf die literarischen und andern Anspielungen, auf Theater¬
gebräuche und dergleichen, 3) Mittheilung der Quellen, aus denen Shakespeare
geschöpft hat. Was den kritischen Apparat betrifft, so wäre Vollständigkeit
hier nicht blos überflüssig, sondern störend. Man wünscht nur die Mitthei¬
lung derjenigen Lesarten, die sich auf eine gewichtige Autorität stützen und
ganz kurze Angabe der Gründe, warum Herr Delius sie nicht annimmt. —
Dies werden die leitenden Gesichtspunkte sein müssen. In der Ausführung
wird nun immer der eine noch dies, der andre jenes zu wünschen haben, wie
denn auch Herr Mommsen manche Einwendung gemacht hat, die allgemeine
Billigung finden wird. Die gegenwärtige Ausgabe ist allen bisherigen deut¬
schen Ausgaben Shakespeares so bedeutend überlegen, daß man von jenen
Ausstellungen gern absehen kann.

Aber eine Einwendung müssen wir gelten lassen, weil sie eine ganz prak¬
tische ist. Für das Publicum, welches wir im Auge haben, ist das Werk zu
theuer. Zwar hat der Verleger versprochen, mit dem zweiten Bande eine Preis¬
ermäßigung eintreten zu lassen, aber auch so wird der Preis für die nächsten
sechs Bände doch immer noch ungefähr neunzehn Thaler betragen. Nun wird zwar
allerdings für diesen Preis sehr viel geboten, dem Umfang wie dem Inhalt


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[0078] Shakespeare in Deutschland. Shakespeares Werke. Herausgegeben und erklärt von tu-. Nicolau s Delins. Erster Band, sechstes Stück. Elberfeld, Friderichs. — Die sechste Lieferung, mit welcher der erste Band geschlossen ist, benutzt Herr Delius dazu, sich wegen der Ausführung seines Unternehmens gegen den bedeutendsten seiner Gegner, Herrn Mommsen, zu rechtfertigen. Er gibt einige von den Ausstellungen des letztern zu, bei andern erklärt er, bei seinem bisherigen Princip zu beharren. Wir lassen uns hier auf die einzelnen Streitfragen nicht ein, wir wollen nur einen Punkt hervorheben, der in dem Streit noch keine Erledigung gesunden hat, nämlich die Frage, was für ein Publicum der Herausgeber sich bei seinem Werk zu denken habe. Herr Delius sucht diese Frage zu umgehen, da jedes Werk sich erst ein bestimmtes Publicum schaffen müsse, indeß läßt sich in diesem Fall doch wenigstens einigermaßen die Grenze feststellen. Für den eigentlichen Gelehrten soll das Werk nicht sein; für diesen würde der kritische Apparat nicht ausreichen, für ihn würde auch manches, was hier geboten wird, überflüssig sein. Das Werk kann also nur auf dasjenige Publicum Rück¬ sicht nehmen, welches der englischen Sprache mächtig ist, aber nicht soviel Studien gemacht hat, um Shakespeare ohne Commentar verstehen zu können. Dies Publicum wünscht 1) hinreichende Worterklärungen, 2) Sacherklärungen in Beziehung auf die literarischen und andern Anspielungen, auf Theater¬ gebräuche und dergleichen, 3) Mittheilung der Quellen, aus denen Shakespeare geschöpft hat. Was den kritischen Apparat betrifft, so wäre Vollständigkeit hier nicht blos überflüssig, sondern störend. Man wünscht nur die Mitthei¬ lung derjenigen Lesarten, die sich auf eine gewichtige Autorität stützen und ganz kurze Angabe der Gründe, warum Herr Delius sie nicht annimmt. — Dies werden die leitenden Gesichtspunkte sein müssen. In der Ausführung wird nun immer der eine noch dies, der andre jenes zu wünschen haben, wie denn auch Herr Mommsen manche Einwendung gemacht hat, die allgemeine Billigung finden wird. Die gegenwärtige Ausgabe ist allen bisherigen deut¬ schen Ausgaben Shakespeares so bedeutend überlegen, daß man von jenen Ausstellungen gern absehen kann. Aber eine Einwendung müssen wir gelten lassen, weil sie eine ganz prak¬ tische ist. Für das Publicum, welches wir im Auge haben, ist das Werk zu theuer. Zwar hat der Verleger versprochen, mit dem zweiten Bande eine Preis¬ ermäßigung eintreten zu lassen, aber auch so wird der Preis für die nächsten sechs Bände doch immer noch ungefähr neunzehn Thaler betragen. Nun wird zwar allerdings für diesen Preis sehr viel geboten, dem Umfang wie dem Inhalt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/78>, abgerufen am 28.04.2024.