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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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durch Tirailleurketten, die Napoleon schon in allgemeiner Anwendung in der
republikanischen Taktik vorfand, und durch das Geschützfeuer ersetzt, welches
zur Zeit Napoleons erst eine erweiterte und unfehlbarere Wirksamkeit erhielt;
die in Colonnen formirter Massen hingegen geben durch ihr Vorgehen
und Zurückweichen gewissermaßen nur die Tempos der Schlacht
an."

In den heutigen Schlachten gilt dies letztere durchaus nicht mehr. Man
kann sagen, daß die Entscheidung, welche von den Tirailleurketten nicht ge¬
geben, aber in jeder Hinsicht vorbereitet wurde, wiederum ungeschmälert an die
Colonne zurückgekommen ist. General William Napier durfte in seiner Ge¬
schichte des Halbinselkrieges noch sagen: "Wir berufen uns öffentlich auf die
erfahrensten Offiziere der Armee, welche mitgefochten "haben, wo etwas Tüchtiges
geschehen ist, in Aegypten, in Spanien, bei Waterloo, ob einer von ihnen
jemals ein fechtendes Bajonett gesehen hat; ob sie im Felde oder auf der
Bresche, auf der Ebene oder im Gebirge, jemals einen Kampf Mann gegen
Mann, mit dem Bajonett gesehen haben?" Daß heute ein solcher Ausruf nicht
ohne Erwiederung bleiben würde, darüber wird jeden, der sich die Mühe geben
will, nachzuforschen, der erste beste russische oder französische Bericht belehren;
will er indeß gründlicher gehen, so rede er mit einem betheiligten Militärarzt
und lasse sich sagen, daß in den Aussallgefechten die meisten Verwundungen
vom Bajonett herrührten, aber auch in den Schlachten an der Alma, bei
Jnkerman und jüngst an der Tschernaja die eigentliche Entscheidung mit dieser
Waffe gegeben wurde.

Diesem einen, durchlaufenden Unterschied entspricht es, wenn man neuer¬
dings wiederum die Infanterie mehr zum Gliederfeuer -- im Gegensatz zu den
Tirailleurketten -- entwickelt sieht. Für diese Erscheinung, wie für das Ge¬
langen der Endentscheidung an das Bajonett läßt sich kaum ein anderes Mo¬
tiv entdecken, als die enormen Verbesserungen, welche im Bereich der modernen
Feuerwaffen vor sich gegangen sind. Das Bewußtsein, daß ein langhin¬
gehaltenes Feuergefecht beide Theile letztlich vernichten würde, führt, wie es
scheint, gleich in der Einleitung der Schlacht die Hauptmassen aufeinander.
Früher griff man nicht zum Bajonett, weil diese Kampfart eine viel blutigere
war, als ein stundenlanges Schießen widereinander; heute ist es der Ausweg,
den man begierig aufsucht, um damit der Consequenz der Sicherheit des Ge¬
troffenwerdens zu entgehen.

Es ist sicherlich nicht meine Ansicht allein, daß in dieser ungewissen Lage
die Taktik sich nicht lange wird behaupten können. Die neue Methode ist
keineswegs schon ein System. Aber wie gesagt, fragt es sich, ob letzteres schon
im Laufe dieses Krieges festgestellt werden wird.




durch Tirailleurketten, die Napoleon schon in allgemeiner Anwendung in der
republikanischen Taktik vorfand, und durch das Geschützfeuer ersetzt, welches
zur Zeit Napoleons erst eine erweiterte und unfehlbarere Wirksamkeit erhielt;
die in Colonnen formirter Massen hingegen geben durch ihr Vorgehen
und Zurückweichen gewissermaßen nur die Tempos der Schlacht
an."

In den heutigen Schlachten gilt dies letztere durchaus nicht mehr. Man
kann sagen, daß die Entscheidung, welche von den Tirailleurketten nicht ge¬
geben, aber in jeder Hinsicht vorbereitet wurde, wiederum ungeschmälert an die
Colonne zurückgekommen ist. General William Napier durfte in seiner Ge¬
schichte des Halbinselkrieges noch sagen: „Wir berufen uns öffentlich auf die
erfahrensten Offiziere der Armee, welche mitgefochten «haben, wo etwas Tüchtiges
geschehen ist, in Aegypten, in Spanien, bei Waterloo, ob einer von ihnen
jemals ein fechtendes Bajonett gesehen hat; ob sie im Felde oder auf der
Bresche, auf der Ebene oder im Gebirge, jemals einen Kampf Mann gegen
Mann, mit dem Bajonett gesehen haben?" Daß heute ein solcher Ausruf nicht
ohne Erwiederung bleiben würde, darüber wird jeden, der sich die Mühe geben
will, nachzuforschen, der erste beste russische oder französische Bericht belehren;
will er indeß gründlicher gehen, so rede er mit einem betheiligten Militärarzt
und lasse sich sagen, daß in den Aussallgefechten die meisten Verwundungen
vom Bajonett herrührten, aber auch in den Schlachten an der Alma, bei
Jnkerman und jüngst an der Tschernaja die eigentliche Entscheidung mit dieser
Waffe gegeben wurde.

Diesem einen, durchlaufenden Unterschied entspricht es, wenn man neuer¬
dings wiederum die Infanterie mehr zum Gliederfeuer — im Gegensatz zu den
Tirailleurketten — entwickelt sieht. Für diese Erscheinung, wie für das Ge¬
langen der Endentscheidung an das Bajonett läßt sich kaum ein anderes Mo¬
tiv entdecken, als die enormen Verbesserungen, welche im Bereich der modernen
Feuerwaffen vor sich gegangen sind. Das Bewußtsein, daß ein langhin¬
gehaltenes Feuergefecht beide Theile letztlich vernichten würde, führt, wie es
scheint, gleich in der Einleitung der Schlacht die Hauptmassen aufeinander.
Früher griff man nicht zum Bajonett, weil diese Kampfart eine viel blutigere
war, als ein stundenlanges Schießen widereinander; heute ist es der Ausweg,
den man begierig aufsucht, um damit der Consequenz der Sicherheit des Ge¬
troffenwerdens zu entgehen.

Es ist sicherlich nicht meine Ansicht allein, daß in dieser ungewissen Lage
die Taktik sich nicht lange wird behaupten können. Die neue Methode ist
keineswegs schon ein System. Aber wie gesagt, fragt es sich, ob letzteres schon
im Laufe dieses Krieges festgestellt werden wird.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/77>, abgerufen am 12.05.2024.