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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Musikalischer Jahresbericht ans Berlin.
3.

An die Symphonieconcerte der k. Kapelle schließt sich eine Nachahmung
derselben an, die seit zwei Jahren von der liebigschen Kapelle mit vielem Glück
unternommen worden ist. Liebigs Name ist in Berlin sehr bekannt. Seit
etwa acht bis zehn Jahren steht er unter den Veranstaltern der Gartenconcerte,
d. h. der öffentlichen Gasthausconcerte, insofern an der Spitze, als er sich auf
diesem Gebiet zum Vertreter der classischen Richtung gemacht hat. Die Leistungen
seines Orchesters waren von Anfang an nicht glänzend, aber solid und frei
von unkünstlerischer Effekthascherei; dadurch wurden seine Concerte, die den
Winter und Sommer hindurch zuerst einmal, später zwei- bis dreimal wöchent¬
lich stattfanden und durch die Billigkeit des Preises auch dem Unbemittelten die
Kenntniß unsrer großen Jnstrumcntalwerke ermöglichten, ein Mittelpunkt für
junge Musiker, Literaten, Studenten, das große bürgerliche Publicum ungerechnet.
Es war interessant, das allmälige Entstehen und Wachsen dieses in seinen
Grundlagen von den Sitten der heutigen Zeit, die selten Jemanden von unten
an sich hinausarbeiten läßt, so abweichenden Orchesters zu beobachten. Liebig
ist ein einfacher Regimentsmusiker, dem gelehrte Kenntnisse und kunstvolle musi¬
kalische Ausbildung fremd sind. , Es ist charakteristisch, daß er meistens ohne
Partitur dirigirt; aber er hört scharf genug, um eine im Ganzen und Großen
correcte Ausführung trotzdem herauszubringen. Als ein fleißiger und regel¬
mäßiger Besucher der Symphoniesoiröen der k. Kapelle achtete er streng auf
die dort gebräuchlichen Tempi und Vortragsnüancen, die er nun genau nach¬
zubilden suchte, nur hin und wieder mit Rücksicht auf die Fähigkeiten seines
Orchesters eine größere Langsamkeit gestattend. Die Theilnahme des Publicums
kam ihm zu Hilfe; indem das Orchester dieselben Symphonien und Ouvertüren
jährlich zu wiederholten Malen auszuführen Gelegenheit erhielt, wurden die Aus¬
führungen immer cracker. Junge Musiker, denen es darum zu thun war, diese
Werke möglichst oft zu hören, schlossen sich enger an ihn an, trugen auch
manches zur Vervollkommnung bei und so wurde er durch die Verhältnisse
immermehr gehoben, bis es ihm endlich gelang, Symphonieconcerte höchsten


Grenzboten. IV. I8ö!i. 11
Musikalischer Jahresbericht ans Berlin.
3.

An die Symphonieconcerte der k. Kapelle schließt sich eine Nachahmung
derselben an, die seit zwei Jahren von der liebigschen Kapelle mit vielem Glück
unternommen worden ist. Liebigs Name ist in Berlin sehr bekannt. Seit
etwa acht bis zehn Jahren steht er unter den Veranstaltern der Gartenconcerte,
d. h. der öffentlichen Gasthausconcerte, insofern an der Spitze, als er sich auf
diesem Gebiet zum Vertreter der classischen Richtung gemacht hat. Die Leistungen
seines Orchesters waren von Anfang an nicht glänzend, aber solid und frei
von unkünstlerischer Effekthascherei; dadurch wurden seine Concerte, die den
Winter und Sommer hindurch zuerst einmal, später zwei- bis dreimal wöchent¬
lich stattfanden und durch die Billigkeit des Preises auch dem Unbemittelten die
Kenntniß unsrer großen Jnstrumcntalwerke ermöglichten, ein Mittelpunkt für
junge Musiker, Literaten, Studenten, das große bürgerliche Publicum ungerechnet.
Es war interessant, das allmälige Entstehen und Wachsen dieses in seinen
Grundlagen von den Sitten der heutigen Zeit, die selten Jemanden von unten
an sich hinausarbeiten läßt, so abweichenden Orchesters zu beobachten. Liebig
ist ein einfacher Regimentsmusiker, dem gelehrte Kenntnisse und kunstvolle musi¬
kalische Ausbildung fremd sind. , Es ist charakteristisch, daß er meistens ohne
Partitur dirigirt; aber er hört scharf genug, um eine im Ganzen und Großen
correcte Ausführung trotzdem herauszubringen. Als ein fleißiger und regel¬
mäßiger Besucher der Symphoniesoiröen der k. Kapelle achtete er streng auf
die dort gebräuchlichen Tempi und Vortragsnüancen, die er nun genau nach¬
zubilden suchte, nur hin und wieder mit Rücksicht auf die Fähigkeiten seines
Orchesters eine größere Langsamkeit gestattend. Die Theilnahme des Publicums
kam ihm zu Hilfe; indem das Orchester dieselben Symphonien und Ouvertüren
jährlich zu wiederholten Malen auszuführen Gelegenheit erhielt, wurden die Aus¬
führungen immer cracker. Junge Musiker, denen es darum zu thun war, diese
Werke möglichst oft zu hören, schlossen sich enger an ihn an, trugen auch
manches zur Vervollkommnung bei und so wurde er durch die Verhältnisse
immermehr gehoben, bis es ihm endlich gelang, Symphonieconcerte höchsten


Grenzboten. IV. I8ö!i. 11
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[0089] Musikalischer Jahresbericht ans Berlin. 3. An die Symphonieconcerte der k. Kapelle schließt sich eine Nachahmung derselben an, die seit zwei Jahren von der liebigschen Kapelle mit vielem Glück unternommen worden ist. Liebigs Name ist in Berlin sehr bekannt. Seit etwa acht bis zehn Jahren steht er unter den Veranstaltern der Gartenconcerte, d. h. der öffentlichen Gasthausconcerte, insofern an der Spitze, als er sich auf diesem Gebiet zum Vertreter der classischen Richtung gemacht hat. Die Leistungen seines Orchesters waren von Anfang an nicht glänzend, aber solid und frei von unkünstlerischer Effekthascherei; dadurch wurden seine Concerte, die den Winter und Sommer hindurch zuerst einmal, später zwei- bis dreimal wöchent¬ lich stattfanden und durch die Billigkeit des Preises auch dem Unbemittelten die Kenntniß unsrer großen Jnstrumcntalwerke ermöglichten, ein Mittelpunkt für junge Musiker, Literaten, Studenten, das große bürgerliche Publicum ungerechnet. Es war interessant, das allmälige Entstehen und Wachsen dieses in seinen Grundlagen von den Sitten der heutigen Zeit, die selten Jemanden von unten an sich hinausarbeiten läßt, so abweichenden Orchesters zu beobachten. Liebig ist ein einfacher Regimentsmusiker, dem gelehrte Kenntnisse und kunstvolle musi¬ kalische Ausbildung fremd sind. , Es ist charakteristisch, daß er meistens ohne Partitur dirigirt; aber er hört scharf genug, um eine im Ganzen und Großen correcte Ausführung trotzdem herauszubringen. Als ein fleißiger und regel¬ mäßiger Besucher der Symphoniesoiröen der k. Kapelle achtete er streng auf die dort gebräuchlichen Tempi und Vortragsnüancen, die er nun genau nach¬ zubilden suchte, nur hin und wieder mit Rücksicht auf die Fähigkeiten seines Orchesters eine größere Langsamkeit gestattend. Die Theilnahme des Publicums kam ihm zu Hilfe; indem das Orchester dieselben Symphonien und Ouvertüren jährlich zu wiederholten Malen auszuführen Gelegenheit erhielt, wurden die Aus¬ führungen immer cracker. Junge Musiker, denen es darum zu thun war, diese Werke möglichst oft zu hören, schlossen sich enger an ihn an, trugen auch manches zur Vervollkommnung bei und so wurde er durch die Verhältnisse immermehr gehoben, bis es ihm endlich gelang, Symphonieconcerte höchsten Grenzboten. IV. I8ö!i. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/89>, abgerufen am 28.04.2024.