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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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ihn im August 1832 auf einem kurzen Ausfluge nach Selisberg in Unterwalden
begleiteten, merkte er sich genau die Oertlichkeiten, trat mit einer verständigen
Unterwaldnerin von Emmaten, die mit uns bis hinaus nach Selisberg ging, so¬
gleich aufs freundlichste ins Gespräch, und fragte eine Menge Dinge über Land
und Leute, Sitten und Bräuche. Als wir von Brunnen nach Luzern zurückführen
und des Regens wegen in die Kajüte flüchten mußten, unterhielt er sich sogleich
mit aus Neapel heimkehrenden Soldaten, die in ihrem Glück, wieder im Vaterlande
zu sein, überaus vergnügt waren. Und als wir bei Stanz-Stad landeten, suchte
er offenbar von dem Orte und der Umgebung ein Bild zu fasse", daß es schien,
es schwebe ihm eine Geschichte vor, die sich in diesem Ländchen begeben habe.
Sonst, sagte er, verlasse er nur ungern als Erzähler seinen heimischen Boden; den
Emmenthaler kenne er, nicht so den kaum eine Tagereise entfernten Oberländer;
und er getraue sich weniger, eine im Simmenthal oder in einer andern jener
Gegenden sich begehende Geschichte zu erzählen. -- Es wurde auch gesagt: er
habe sich zu seinen Erzählungen alles und jegliches zusammentragen lassen. Das
wäre freilich unbegreiflich, wie aus solchen Zusammentraguugen ein Charakter als
aus einem Gusse konnte dargestellt werden. Er aber sagte, habe er einmal ein
Bild in seinen Hauptzügen gefaßt, so ergebe sich das Einzelne im Fortgange der
Ausmalung wie von selbst. Dabei erfordere freilich oft die verkehrte Rede, welch¬
er einer einfältigen Person in den Mund legen sollte, ein einziges dummes Wort
längeres Nachsinnen, als eines Redseligen lange Abhandlung. Er studirte und
arbeitete eben nicht nur in seinem Studirzimmer. Doch war dieses die Wohnstätte
seines stillen Fleißes, seines Friedens, seines Glückes, das er reichlich genoß in
immer reichen Schöpfungen." --

Aus Nord- und Südamerika. Erzählungen von Friedrich Gerstäcker.
Leipzig, H. Hübner. -- Wer die frühern Romane desselben Verfassers, die Regu¬
latoren, die Flußpiraten und Tahiti kennt, wird sich mit Vergnügen an die glän¬
zenden Farben erinnern, die er sür seine Gemälde zu finden weiß. Diese Kraft
und Lebhaftigkeit der Darstellung bewährt sich auch in den vorliegenden Erzählungen
und macht den Hauptreiz derselben aus. -- Die beiden vorliegenden Schriften stehen
im Album' von Kober. --

Die Grafen von Harten. Roman in zwei Bänden von Marie Louise
Vogt. Mannheim, T. Löffler. -- Ein wohlgesinntes Buch, mit großem Fleiß
und nicht ohne Talent ausgearbeitet, doch merkt man bei den Schilderungen des
socialen Lebens heraus, daß die Verfasserin die Gesellschaft und ihre Probleme sich
mehr aus der Lectüre construirt, als der eignen Anschauung entnommen hat. Es
sind hänfig nur kleine Striche, die fehlen und bei denen man sich versucht fühlte,
nachzuhelfen, aber dieser Mangel ist für das Kunstwerk entscheidend.




Herausgegeben von Gustav Areytag und Julian Schmidt.
Als verantworll. Redacteur legitimirt: F. W. Grunow. --- Verlag von V. F. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

ihn im August 1832 auf einem kurzen Ausfluge nach Selisberg in Unterwalden
begleiteten, merkte er sich genau die Oertlichkeiten, trat mit einer verständigen
Unterwaldnerin von Emmaten, die mit uns bis hinaus nach Selisberg ging, so¬
gleich aufs freundlichste ins Gespräch, und fragte eine Menge Dinge über Land
und Leute, Sitten und Bräuche. Als wir von Brunnen nach Luzern zurückführen
und des Regens wegen in die Kajüte flüchten mußten, unterhielt er sich sogleich
mit aus Neapel heimkehrenden Soldaten, die in ihrem Glück, wieder im Vaterlande
zu sein, überaus vergnügt waren. Und als wir bei Stanz-Stad landeten, suchte
er offenbar von dem Orte und der Umgebung ein Bild zu fasse», daß es schien,
es schwebe ihm eine Geschichte vor, die sich in diesem Ländchen begeben habe.
Sonst, sagte er, verlasse er nur ungern als Erzähler seinen heimischen Boden; den
Emmenthaler kenne er, nicht so den kaum eine Tagereise entfernten Oberländer;
und er getraue sich weniger, eine im Simmenthal oder in einer andern jener
Gegenden sich begehende Geschichte zu erzählen. — Es wurde auch gesagt: er
habe sich zu seinen Erzählungen alles und jegliches zusammentragen lassen. Das
wäre freilich unbegreiflich, wie aus solchen Zusammentraguugen ein Charakter als
aus einem Gusse konnte dargestellt werden. Er aber sagte, habe er einmal ein
Bild in seinen Hauptzügen gefaßt, so ergebe sich das Einzelne im Fortgange der
Ausmalung wie von selbst. Dabei erfordere freilich oft die verkehrte Rede, welch¬
er einer einfältigen Person in den Mund legen sollte, ein einziges dummes Wort
längeres Nachsinnen, als eines Redseligen lange Abhandlung. Er studirte und
arbeitete eben nicht nur in seinem Studirzimmer. Doch war dieses die Wohnstätte
seines stillen Fleißes, seines Friedens, seines Glückes, das er reichlich genoß in
immer reichen Schöpfungen." —

Aus Nord- und Südamerika. Erzählungen von Friedrich Gerstäcker.
Leipzig, H. Hübner. — Wer die frühern Romane desselben Verfassers, die Regu¬
latoren, die Flußpiraten und Tahiti kennt, wird sich mit Vergnügen an die glän¬
zenden Farben erinnern, die er sür seine Gemälde zu finden weiß. Diese Kraft
und Lebhaftigkeit der Darstellung bewährt sich auch in den vorliegenden Erzählungen
und macht den Hauptreiz derselben aus. — Die beiden vorliegenden Schriften stehen
im Album' von Kober. —

Die Grafen von Harten. Roman in zwei Bänden von Marie Louise
Vogt. Mannheim, T. Löffler. — Ein wohlgesinntes Buch, mit großem Fleiß
und nicht ohne Talent ausgearbeitet, doch merkt man bei den Schilderungen des
socialen Lebens heraus, daß die Verfasserin die Gesellschaft und ihre Probleme sich
mehr aus der Lectüre construirt, als der eignen Anschauung entnommen hat. Es
sind hänfig nur kleine Striche, die fehlen und bei denen man sich versucht fühlte,
nachzuhelfen, aber dieser Mangel ist für das Kunstwerk entscheidend.




Herausgegeben von Gustav Areytag und Julian Schmidt.
Als verantworll. Redacteur legitimirt: F. W. Grunow. —- Verlag von V. F. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/88>, abgerufen am 11.05.2024.