Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Preußens Ostgrenze und der gegenwärtige Krieg.
^

Der Mangel an wahrhaft staatsmännischem Geiste bei den Lenkern der
preußischen Geschicke wird durch nichts so anschaulich gemacht, als wenn man
vergleicht, was einerseits Preußen, andrerseits Nußland gethan hat, um
auf dem Territorium des vordem polnischen Reiches festen Fuß zu fassen und
seine Macht in dieser Region Mitteleuropas zu begründen.

Wenn irgendeine Fronte des preußischen Staates von Friedrich dem
Großen für die weitere Ausdehnung vorbereitet worden ist, so war es die
gegen Osten. Nach Beendigung der schlesischen Kriege befand sich Weichsel¬
polen gleichsam zwischen zwei große preußische Landesflügel, zwischen die von
Oestreich abgerissene Provinz und Ostpreußen, mitten inne genommen. Was
war natürlicher, als diesen Raum zu schließen und die preußische Grenze, bis
zum oberen Stromlauf des Niemen und Bog (Bug) vorzuschieben?

Friedrich II. machte bei der ersten Theilung Polens, die wir hier nicht
vom Standpunkte der Moral aus, sondern als politischen Act zu würdigen
haben, einen guten Anfang, und wol mochte tue Hoffnung in. ihm feststehen,
daß seine Nachfolger dereinst das Werk weiterführen und dem Staate zu dem,
worauf bei einer zwischen drei andre gestellten Großmacht alles ankommt, zu
einer militärischen Grenze verhelfen werde. Auch scheinen noch die Minister
Friedrich Wilhelms II. in diesem Sinne gehandelt zu haben, indem sie nur mit
Widerstreben Gebietstheile in dem Territorium der participirenden Kaiserstaaten
aufgehen sahen, welche der Sieger von Zorndorf und Leuthen als Preußens
dereinstiges Eigenthum betrachtet hatte. In keiner Weise zu entschuldigen ist
aber das von den preußischen Diplomaten auf dem Wiener Kongreß (18-14)
bei Feststellung der ostwärtigen Staatsgrenzen.'inncgehaltene Benehmen. Man
darf ohne Uebertreibung behaupten, paß die höchsten Interessen des Staats bei
dieser Gelegenheit, ob absichtlich oder aus Nachlässigkeit, gilt uns gleich, aus
den Augen gesetzt, und Nußland an der mittleren Weichsel Positionen übergeben
wurden, die für die Zukunft eine ganz andre Bedeutung haben mußten, als etwa
der Elsaß, oder Toul, Metz und Verdün. Das auffallendste dabei ist, daß sich,
damals in keiner Parteischicht eine Stimme gegen solche staatsmännische Pflicht-
Vergessenheit laut werden ließ. Görres zwar machte im Rheinischen Mer¬
kur einige Ausfälle gegen "die spitzen Keile", welche man allerwärts in den
deutschen Staatskörper hineintreibe, aber es verblieb bei diesen, und dermaßen
irrte das Volk selbst sich in Hinsicht auf die Richtung, aus welcher dem Vater¬
lande Gefahr drohte, daß Arndt und Menzel noch ein Jahrzehnt und länger
darauf jauchzende Zustimmung fanden, wenn sie von welschem Trug und von
der Abwehr künftiger westlicher Uebergriffe schrieben.


Grenzboten. I. ->8so. 2
Preußens Ostgrenze und der gegenwärtige Krieg.
^

Der Mangel an wahrhaft staatsmännischem Geiste bei den Lenkern der
preußischen Geschicke wird durch nichts so anschaulich gemacht, als wenn man
vergleicht, was einerseits Preußen, andrerseits Nußland gethan hat, um
auf dem Territorium des vordem polnischen Reiches festen Fuß zu fassen und
seine Macht in dieser Region Mitteleuropas zu begründen.

Wenn irgendeine Fronte des preußischen Staates von Friedrich dem
Großen für die weitere Ausdehnung vorbereitet worden ist, so war es die
gegen Osten. Nach Beendigung der schlesischen Kriege befand sich Weichsel¬
polen gleichsam zwischen zwei große preußische Landesflügel, zwischen die von
Oestreich abgerissene Provinz und Ostpreußen, mitten inne genommen. Was
war natürlicher, als diesen Raum zu schließen und die preußische Grenze, bis
zum oberen Stromlauf des Niemen und Bog (Bug) vorzuschieben?

Friedrich II. machte bei der ersten Theilung Polens, die wir hier nicht
vom Standpunkte der Moral aus, sondern als politischen Act zu würdigen
haben, einen guten Anfang, und wol mochte tue Hoffnung in. ihm feststehen,
daß seine Nachfolger dereinst das Werk weiterführen und dem Staate zu dem,
worauf bei einer zwischen drei andre gestellten Großmacht alles ankommt, zu
einer militärischen Grenze verhelfen werde. Auch scheinen noch die Minister
Friedrich Wilhelms II. in diesem Sinne gehandelt zu haben, indem sie nur mit
Widerstreben Gebietstheile in dem Territorium der participirenden Kaiserstaaten
aufgehen sahen, welche der Sieger von Zorndorf und Leuthen als Preußens
dereinstiges Eigenthum betrachtet hatte. In keiner Weise zu entschuldigen ist
aber das von den preußischen Diplomaten auf dem Wiener Kongreß (18-14)
bei Feststellung der ostwärtigen Staatsgrenzen.'inncgehaltene Benehmen. Man
darf ohne Uebertreibung behaupten, paß die höchsten Interessen des Staats bei
dieser Gelegenheit, ob absichtlich oder aus Nachlässigkeit, gilt uns gleich, aus
den Augen gesetzt, und Nußland an der mittleren Weichsel Positionen übergeben
wurden, die für die Zukunft eine ganz andre Bedeutung haben mußten, als etwa
der Elsaß, oder Toul, Metz und Verdün. Das auffallendste dabei ist, daß sich,
damals in keiner Parteischicht eine Stimme gegen solche staatsmännische Pflicht-
Vergessenheit laut werden ließ. Görres zwar machte im Rheinischen Mer¬
kur einige Ausfälle gegen „die spitzen Keile", welche man allerwärts in den
deutschen Staatskörper hineintreibe, aber es verblieb bei diesen, und dermaßen
irrte das Volk selbst sich in Hinsicht auf die Richtung, aus welcher dem Vater¬
lande Gefahr drohte, daß Arndt und Menzel noch ein Jahrzehnt und länger
darauf jauchzende Zustimmung fanden, wenn sie von welschem Trug und von
der Abwehr künftiger westlicher Uebergriffe schrieben.


Grenzboten. I. ->8so. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98869"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Preußens Ostgrenze und der gegenwärtige Krieg.<lb/>
^</head><lb/>
          <p xml:id="ID_27"> Der Mangel an wahrhaft staatsmännischem Geiste bei den Lenkern der<lb/>
preußischen Geschicke wird durch nichts so anschaulich gemacht, als wenn man<lb/>
vergleicht, was einerseits Preußen, andrerseits Nußland gethan hat, um<lb/>
auf dem Territorium des vordem polnischen Reiches festen Fuß zu fassen und<lb/>
seine Macht in dieser Region Mitteleuropas zu begründen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_28"> Wenn irgendeine Fronte des preußischen Staates von Friedrich dem<lb/>
Großen für die weitere Ausdehnung vorbereitet worden ist, so war es die<lb/>
gegen Osten. Nach Beendigung der schlesischen Kriege befand sich Weichsel¬<lb/>
polen gleichsam zwischen zwei große preußische Landesflügel, zwischen die von<lb/>
Oestreich abgerissene Provinz und Ostpreußen, mitten inne genommen. Was<lb/>
war natürlicher, als diesen Raum zu schließen und die preußische Grenze, bis<lb/>
zum oberen Stromlauf des Niemen und Bog (Bug) vorzuschieben?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_29"> Friedrich II. machte bei der ersten Theilung Polens, die wir hier nicht<lb/>
vom Standpunkte der Moral aus, sondern als politischen Act zu würdigen<lb/>
haben, einen guten Anfang, und wol mochte tue Hoffnung in. ihm feststehen,<lb/>
daß seine Nachfolger dereinst das Werk weiterführen und dem Staate zu dem,<lb/>
worauf bei einer zwischen drei andre gestellten Großmacht alles ankommt, zu<lb/>
einer militärischen Grenze verhelfen werde. Auch scheinen noch die Minister<lb/>
Friedrich Wilhelms II. in diesem Sinne gehandelt zu haben, indem sie nur mit<lb/>
Widerstreben Gebietstheile in dem Territorium der participirenden Kaiserstaaten<lb/>
aufgehen sahen, welche der Sieger von Zorndorf und Leuthen als Preußens<lb/>
dereinstiges Eigenthum betrachtet hatte. In keiner Weise zu entschuldigen ist<lb/>
aber das von den preußischen Diplomaten auf dem Wiener Kongreß (18-14)<lb/>
bei Feststellung der ostwärtigen Staatsgrenzen.'inncgehaltene Benehmen. Man<lb/>
darf ohne Uebertreibung behaupten, paß die höchsten Interessen des Staats bei<lb/>
dieser Gelegenheit, ob absichtlich oder aus Nachlässigkeit, gilt uns gleich, aus<lb/>
den Augen gesetzt, und Nußland an der mittleren Weichsel Positionen übergeben<lb/>
wurden, die für die Zukunft eine ganz andre Bedeutung haben mußten, als etwa<lb/>
der Elsaß, oder Toul, Metz und Verdün. Das auffallendste dabei ist, daß sich,<lb/>
damals in keiner Parteischicht eine Stimme gegen solche staatsmännische Pflicht-<lb/>
Vergessenheit laut werden ließ. Görres zwar machte im Rheinischen Mer¬<lb/>
kur einige Ausfälle gegen &#x201E;die spitzen Keile", welche man allerwärts in den<lb/>
deutschen Staatskörper hineintreibe, aber es verblieb bei diesen, und dermaßen<lb/>
irrte das Volk selbst sich in Hinsicht auf die Richtung, aus welcher dem Vater¬<lb/>
lande Gefahr drohte, daß Arndt und Menzel noch ein Jahrzehnt und länger<lb/>
darauf jauchzende Zustimmung fanden, wenn sie von welschem Trug und von<lb/>
der Abwehr künftiger westlicher Uebergriffe schrieben.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. I. -&gt;8so. 2</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] Preußens Ostgrenze und der gegenwärtige Krieg. ^ Der Mangel an wahrhaft staatsmännischem Geiste bei den Lenkern der preußischen Geschicke wird durch nichts so anschaulich gemacht, als wenn man vergleicht, was einerseits Preußen, andrerseits Nußland gethan hat, um auf dem Territorium des vordem polnischen Reiches festen Fuß zu fassen und seine Macht in dieser Region Mitteleuropas zu begründen. Wenn irgendeine Fronte des preußischen Staates von Friedrich dem Großen für die weitere Ausdehnung vorbereitet worden ist, so war es die gegen Osten. Nach Beendigung der schlesischen Kriege befand sich Weichsel¬ polen gleichsam zwischen zwei große preußische Landesflügel, zwischen die von Oestreich abgerissene Provinz und Ostpreußen, mitten inne genommen. Was war natürlicher, als diesen Raum zu schließen und die preußische Grenze, bis zum oberen Stromlauf des Niemen und Bog (Bug) vorzuschieben? Friedrich II. machte bei der ersten Theilung Polens, die wir hier nicht vom Standpunkte der Moral aus, sondern als politischen Act zu würdigen haben, einen guten Anfang, und wol mochte tue Hoffnung in. ihm feststehen, daß seine Nachfolger dereinst das Werk weiterführen und dem Staate zu dem, worauf bei einer zwischen drei andre gestellten Großmacht alles ankommt, zu einer militärischen Grenze verhelfen werde. Auch scheinen noch die Minister Friedrich Wilhelms II. in diesem Sinne gehandelt zu haben, indem sie nur mit Widerstreben Gebietstheile in dem Territorium der participirenden Kaiserstaaten aufgehen sahen, welche der Sieger von Zorndorf und Leuthen als Preußens dereinstiges Eigenthum betrachtet hatte. In keiner Weise zu entschuldigen ist aber das von den preußischen Diplomaten auf dem Wiener Kongreß (18-14) bei Feststellung der ostwärtigen Staatsgrenzen.'inncgehaltene Benehmen. Man darf ohne Uebertreibung behaupten, paß die höchsten Interessen des Staats bei dieser Gelegenheit, ob absichtlich oder aus Nachlässigkeit, gilt uns gleich, aus den Augen gesetzt, und Nußland an der mittleren Weichsel Positionen übergeben wurden, die für die Zukunft eine ganz andre Bedeutung haben mußten, als etwa der Elsaß, oder Toul, Metz und Verdün. Das auffallendste dabei ist, daß sich, damals in keiner Parteischicht eine Stimme gegen solche staatsmännische Pflicht- Vergessenheit laut werden ließ. Görres zwar machte im Rheinischen Mer¬ kur einige Ausfälle gegen „die spitzen Keile", welche man allerwärts in den deutschen Staatskörper hineintreibe, aber es verblieb bei diesen, und dermaßen irrte das Volk selbst sich in Hinsicht auf die Richtung, aus welcher dem Vater¬ lande Gefahr drohte, daß Arndt und Menzel noch ein Jahrzehnt und länger darauf jauchzende Zustimmung fanden, wenn sie von welschem Trug und von der Abwehr künftiger westlicher Uebergriffe schrieben. Grenzboten. I. ->8so. 2

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/17>, abgerufen am 05.05.2024.