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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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land heute noch eine ebenso große Unmöglichkeit ist, als an dem Tage, da der
General Bonin die bekannten Worte aussprach. Eine Neutralität Preußens,
wenn es wirklich zum Krieg zwischen Oestreich und Rußland kommt, ist ebenso
unmöglich. Die Russenfreunde machen immer ein großes Wesen von. dem preu¬
ßischen Ehrgefühl, welches sich angeblich durch die dringenden Anforderungen der
Westmächte verletzt fühlen sollte. Sie vergessen dabei völlig, daß ihr Freund, der
russische Staatskanzler, in der ersten Note an die Höfe von Berlin und Wien
es ausdrücklich erklärte, daß eine zweideutige Neutralität, d. l). eine Neutralität,
die nur den günstigen Augenblick abwartete, um für die eine oder für die andere
Seite Partei zu ergreifen, weder von Rußland noch von den Westmächten ge¬
duldet werden könne. Es ist das kein Uebermuth, sondern es liegt in der Natur
der Sache. Man kann einen Krieg gegen ein fernes Land nicht eher unterneh¬
men, als man sich versichert hat, daß nicht der gerüstete Nachbar etwa einen
feindlichen Einfall ins eigne Land machen wird. Sobald im Laufe dieses
Jahres die Westmächte im Verein mit Oestreich den Krieg gegen Nußland
unternehmen, müssen sie vorher materielle Garantien dafür erlangen, daß
Preußen sich nicht etwa im Lauf der Zeit auf Seite Rußlands stellen wird;
und wenn sie diese nicht erlangen, so wird ihnen Preußen als eine feindliche
Macht gegenüberstehen. Das ist nicht eine Anmaßung, durch welche der ge¬
rechte Stolz Preußens sich verwundet sühlen könnte, sondern es ist die innere
Nothwendigkeit der Kriegführung. Die preußischen Staatsmänner werden wäh¬
len müssen, bevor der Krieg ausbricht, und je rascher und energischer sie sich
entschließen, je größer die Hilfleistung ist, die sie dem Westen in Aussicht-
stellen können, destoweniger Anstand werden die Westmächte nehmen dürfen,
den Ansprüchen Preußens gerecht zu werden. Dann wird jeder Gewinn, den
Oestreich, jeder Gewinn, den Preußen macht, zugleich ein Gewinn für Deutsch¬
land sein, und weit entfernt, in der kläglichen Politik einer eidgenössischen
Neutralität zu versumpfen, wird der deutsche Bund, getragen von Oestreich
und Preußen, sich zu der Höhe einer wahren Großmacht erheben, die eben¬
bürtig Rußland und England an die Seite tritt. Die Macht, die am wenig¬
sten wünschen kann,, daß ein solches Resultat zustandekäme, Frankreich, ist
in diesem Augenblicke durch seine Ehre und seinen Vortheil gebunden; wie¬
lange sie es noch bleiben wird, kann niemand berechnen, und nur solange
bleibt das bescheidenstolze Motto, welches unser Verfasser seiner Schrift gegeben,
in Giltigkeit.




land heute noch eine ebenso große Unmöglichkeit ist, als an dem Tage, da der
General Bonin die bekannten Worte aussprach. Eine Neutralität Preußens,
wenn es wirklich zum Krieg zwischen Oestreich und Rußland kommt, ist ebenso
unmöglich. Die Russenfreunde machen immer ein großes Wesen von. dem preu¬
ßischen Ehrgefühl, welches sich angeblich durch die dringenden Anforderungen der
Westmächte verletzt fühlen sollte. Sie vergessen dabei völlig, daß ihr Freund, der
russische Staatskanzler, in der ersten Note an die Höfe von Berlin und Wien
es ausdrücklich erklärte, daß eine zweideutige Neutralität, d. l). eine Neutralität,
die nur den günstigen Augenblick abwartete, um für die eine oder für die andere
Seite Partei zu ergreifen, weder von Rußland noch von den Westmächten ge¬
duldet werden könne. Es ist das kein Uebermuth, sondern es liegt in der Natur
der Sache. Man kann einen Krieg gegen ein fernes Land nicht eher unterneh¬
men, als man sich versichert hat, daß nicht der gerüstete Nachbar etwa einen
feindlichen Einfall ins eigne Land machen wird. Sobald im Laufe dieses
Jahres die Westmächte im Verein mit Oestreich den Krieg gegen Nußland
unternehmen, müssen sie vorher materielle Garantien dafür erlangen, daß
Preußen sich nicht etwa im Lauf der Zeit auf Seite Rußlands stellen wird;
und wenn sie diese nicht erlangen, so wird ihnen Preußen als eine feindliche
Macht gegenüberstehen. Das ist nicht eine Anmaßung, durch welche der ge¬
rechte Stolz Preußens sich verwundet sühlen könnte, sondern es ist die innere
Nothwendigkeit der Kriegführung. Die preußischen Staatsmänner werden wäh¬
len müssen, bevor der Krieg ausbricht, und je rascher und energischer sie sich
entschließen, je größer die Hilfleistung ist, die sie dem Westen in Aussicht-
stellen können, destoweniger Anstand werden die Westmächte nehmen dürfen,
den Ansprüchen Preußens gerecht zu werden. Dann wird jeder Gewinn, den
Oestreich, jeder Gewinn, den Preußen macht, zugleich ein Gewinn für Deutsch¬
land sein, und weit entfernt, in der kläglichen Politik einer eidgenössischen
Neutralität zu versumpfen, wird der deutsche Bund, getragen von Oestreich
und Preußen, sich zu der Höhe einer wahren Großmacht erheben, die eben¬
bürtig Rußland und England an die Seite tritt. Die Macht, die am wenig¬
sten wünschen kann,, daß ein solches Resultat zustandekäme, Frankreich, ist
in diesem Augenblicke durch seine Ehre und seinen Vortheil gebunden; wie¬
lange sie es noch bleiben wird, kann niemand berechnen, und nur solange
bleibt das bescheidenstolze Motto, welches unser Verfasser seiner Schrift gegeben,
in Giltigkeit.




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[0016] land heute noch eine ebenso große Unmöglichkeit ist, als an dem Tage, da der General Bonin die bekannten Worte aussprach. Eine Neutralität Preußens, wenn es wirklich zum Krieg zwischen Oestreich und Rußland kommt, ist ebenso unmöglich. Die Russenfreunde machen immer ein großes Wesen von. dem preu¬ ßischen Ehrgefühl, welches sich angeblich durch die dringenden Anforderungen der Westmächte verletzt fühlen sollte. Sie vergessen dabei völlig, daß ihr Freund, der russische Staatskanzler, in der ersten Note an die Höfe von Berlin und Wien es ausdrücklich erklärte, daß eine zweideutige Neutralität, d. l). eine Neutralität, die nur den günstigen Augenblick abwartete, um für die eine oder für die andere Seite Partei zu ergreifen, weder von Rußland noch von den Westmächten ge¬ duldet werden könne. Es ist das kein Uebermuth, sondern es liegt in der Natur der Sache. Man kann einen Krieg gegen ein fernes Land nicht eher unterneh¬ men, als man sich versichert hat, daß nicht der gerüstete Nachbar etwa einen feindlichen Einfall ins eigne Land machen wird. Sobald im Laufe dieses Jahres die Westmächte im Verein mit Oestreich den Krieg gegen Nußland unternehmen, müssen sie vorher materielle Garantien dafür erlangen, daß Preußen sich nicht etwa im Lauf der Zeit auf Seite Rußlands stellen wird; und wenn sie diese nicht erlangen, so wird ihnen Preußen als eine feindliche Macht gegenüberstehen. Das ist nicht eine Anmaßung, durch welche der ge¬ rechte Stolz Preußens sich verwundet sühlen könnte, sondern es ist die innere Nothwendigkeit der Kriegführung. Die preußischen Staatsmänner werden wäh¬ len müssen, bevor der Krieg ausbricht, und je rascher und energischer sie sich entschließen, je größer die Hilfleistung ist, die sie dem Westen in Aussicht- stellen können, destoweniger Anstand werden die Westmächte nehmen dürfen, den Ansprüchen Preußens gerecht zu werden. Dann wird jeder Gewinn, den Oestreich, jeder Gewinn, den Preußen macht, zugleich ein Gewinn für Deutsch¬ land sein, und weit entfernt, in der kläglichen Politik einer eidgenössischen Neutralität zu versumpfen, wird der deutsche Bund, getragen von Oestreich und Preußen, sich zu der Höhe einer wahren Großmacht erheben, die eben¬ bürtig Rußland und England an die Seite tritt. Die Macht, die am wenig¬ sten wünschen kann,, daß ein solches Resultat zustandekäme, Frankreich, ist in diesem Augenblicke durch seine Ehre und seinen Vortheil gebunden; wie¬ lange sie es noch bleiben wird, kann niemand berechnen, und nur solange bleibt das bescheidenstolze Motto, welches unser Verfasser seiner Schrift gegeben, in Giltigkeit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/16>, abgerufen am 25.05.2024.