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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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so schreibt er wie bemerkt des Abends aus, was er am Tage gedichtet, aber eS
geschieht ihm auch, daß er seine neuen Fabeln zu Dutzenden im Kopfe trägt,
ehe er ans Niederschreiben denkt.




Korrespondenzen.
Aus Konstantinopel,

-- Immer noch scheinen die Dinge in
der Krim nicht auf die Linie der Entscheidung vorgerückt zu sein. Was soeben
im Werke ist, reducirt sich diesseits auf die Hinüberschaffung der letzten Ver¬
stärkungsmassen. Generalissimus Canrobert wird nach deren Eintreffen 10 com-
plete Jnsantcriedivisionen unter den Händen haben, die ihm alsdann allerdings
die Mittel verschaffen werden, um große Operationen einzuleiten und durchzuführen.

Ob er aber der rechte Mann dazu ist, eine Armee von nahezu 120,000 Mann
Franzosen zu handhaben? Ob sich in ihm, neben den unerläßlichen Eigenschaften
für die Leitung der Details auch die Fähigkeit des Ueberblicks verbindet? -- Schon
bei einer anderen Gelegenheit sprach ich mich gegen Sie darüber aus, wie ich
hierin Zweifel setze. General Canrobert wird als ein vortrefflicher Divisionar von
allen Seiten gerühmt: zur Führung von 10.000 Mann ist er wie geschaffen; er
hat außerdem in sich etwas von jener Elektricität, die auf den gemeinen Mann
überströmt und den belebenden Funken der That in seine Seele wirst; aber stra¬
tegische Fähigkeiten rühmte ihm noch niemand nach. Er ist weit entfernt, an die
Riesendimcnsioncn der Begabung eines Friedrich II. und Napoleon hinanznreichen
-- das versteht sich von selbst -- aber anch die Klarheit des Geistes der großen,
neueren preußischen Schlachtenordncr, eines Bülow, Scharnhorst, Gneisenau, Uork,
Grolman, mangeln ihm. In seinem Auftreten vor den Truppen tritt ein gewisser
Mangel an jener schlichten Einfachheit zu Tage, welche die Größe zu umkleiden
pflegt. Er gefällt sich ganz außerordentlich in seinem mit Federn verzierten Mar¬
schallshut, und wiewol sein Arm von zwei empfangenen sehr leichten Wunden längst
wiederhergestellt.worden ist, hat er ein Behagen d'aran, denselben sentimental in der
Binde zu tragen und, wenn er zu Pferde steigen will, sich stützen zu lassen.

"Lassen Sie stürmen General!" ist der Zuruf, mit welchem der gemeine Mann
und der subalterne Offizier ihn heute allerwärts begrüßen. Wenn dies Verlangen
stärker wird, und es hat sich schon bei manchen Gelegenheiten laute Ausbrüche e"
laube, so mag es der Frage unterworfen werden: ob es gut sei, ihm länger zu
widerstehen. Allgemein meint man: daß der Generalissimus nicht über die Mitte
dieses Monats mit der Eröffnung der Offensivoperationen warten dürfe.

Sie wissen wol schon, welche neue Confusion bei den jüngsten in England
für die Krim effectuirten Verladungen begangen worden und daß. in Betreff der
Barackhäuscr, von denen hier tausend Stück anlangten, nicht weniger als alle
Schrauben und Nägel vergessen worden siud Man, wird daher eine neue Reihe
von Wochen warten müssen, bevor man die Hütten, aufstellen kann. Gegenwärtig
lagern die Truppen noch unter Zelten, und zwar haben sie umsomehr dabei von
der Witterung zu leiden, als diese leinene Behausung jeden Abend abgebrochen wird
-- um dem Feind bei der Nacht das Zielen nicht zu erleichtern.


so schreibt er wie bemerkt des Abends aus, was er am Tage gedichtet, aber eS
geschieht ihm auch, daß er seine neuen Fabeln zu Dutzenden im Kopfe trägt,
ehe er ans Niederschreiben denkt.




Korrespondenzen.
Aus Konstantinopel,

— Immer noch scheinen die Dinge in
der Krim nicht auf die Linie der Entscheidung vorgerückt zu sein. Was soeben
im Werke ist, reducirt sich diesseits auf die Hinüberschaffung der letzten Ver¬
stärkungsmassen. Generalissimus Canrobert wird nach deren Eintreffen 10 com-
plete Jnsantcriedivisionen unter den Händen haben, die ihm alsdann allerdings
die Mittel verschaffen werden, um große Operationen einzuleiten und durchzuführen.

Ob er aber der rechte Mann dazu ist, eine Armee von nahezu 120,000 Mann
Franzosen zu handhaben? Ob sich in ihm, neben den unerläßlichen Eigenschaften
für die Leitung der Details auch die Fähigkeit des Ueberblicks verbindet? — Schon
bei einer anderen Gelegenheit sprach ich mich gegen Sie darüber aus, wie ich
hierin Zweifel setze. General Canrobert wird als ein vortrefflicher Divisionar von
allen Seiten gerühmt: zur Führung von 10.000 Mann ist er wie geschaffen; er
hat außerdem in sich etwas von jener Elektricität, die auf den gemeinen Mann
überströmt und den belebenden Funken der That in seine Seele wirst; aber stra¬
tegische Fähigkeiten rühmte ihm noch niemand nach. Er ist weit entfernt, an die
Riesendimcnsioncn der Begabung eines Friedrich II. und Napoleon hinanznreichen
— das versteht sich von selbst — aber anch die Klarheit des Geistes der großen,
neueren preußischen Schlachtenordncr, eines Bülow, Scharnhorst, Gneisenau, Uork,
Grolman, mangeln ihm. In seinem Auftreten vor den Truppen tritt ein gewisser
Mangel an jener schlichten Einfachheit zu Tage, welche die Größe zu umkleiden
pflegt. Er gefällt sich ganz außerordentlich in seinem mit Federn verzierten Mar¬
schallshut, und wiewol sein Arm von zwei empfangenen sehr leichten Wunden längst
wiederhergestellt.worden ist, hat er ein Behagen d'aran, denselben sentimental in der
Binde zu tragen und, wenn er zu Pferde steigen will, sich stützen zu lassen.

„Lassen Sie stürmen General!" ist der Zuruf, mit welchem der gemeine Mann
und der subalterne Offizier ihn heute allerwärts begrüßen. Wenn dies Verlangen
stärker wird, und es hat sich schon bei manchen Gelegenheiten laute Ausbrüche e»
laube, so mag es der Frage unterworfen werden: ob es gut sei, ihm länger zu
widerstehen. Allgemein meint man: daß der Generalissimus nicht über die Mitte
dieses Monats mit der Eröffnung der Offensivoperationen warten dürfe.

Sie wissen wol schon, welche neue Confusion bei den jüngsten in England
für die Krim effectuirten Verladungen begangen worden und daß. in Betreff der
Barackhäuscr, von denen hier tausend Stück anlangten, nicht weniger als alle
Schrauben und Nägel vergessen worden siud Man, wird daher eine neue Reihe
von Wochen warten müssen, bevor man die Hütten, aufstellen kann. Gegenwärtig
lagern die Truppen noch unter Zelten, und zwar haben sie umsomehr dabei von
der Witterung zu leiden, als diese leinene Behausung jeden Abend abgebrochen wird
— um dem Feind bei der Nacht das Zielen nicht zu erleichtern.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/204>, abgerufen am 06.05.2024.