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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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sind. Ein Held, dem ein junger Maler auf die Stube rückt und ihm sagt:
"gib mir deine Frau; sonst hau ich dick, oder ich fange an zu weinen" und
der, statt diesen Maler herauszuwerfen, gleichfalls in Thränen ausbricht, in
Angst geräth u. s. w,, ein solcher Held bedars nicht erst der Hegelschen Philo-
sophie, um erforderlichenfalls aus Angst oder aus einfacher Gemeinheit ein
Verbrechen zu begehen.

Bis dahin ist die ganze Sache nur lächerlich. Nun müssen wir aber einen
Umstand hinzufügen, der ihr ein ernsteres Aussehen gibt. Die Mehrzahl der Fi¬
guren des Romans soll wirkliche Personen, zum Theil wissenschaftliche Notabili¬
täten vorstellen; es sind aus ihrem wissenschaftlichen, politischen, ja selbst aus ih¬
rem Familienleben einzelne Züge angeführt, die sie ihren Bekannten augenblicklich
kenntlich machen müssen, die übrigen Züge, Vergiftungen :c.' sind freilich dazu-
gelogen, aber es soll doch damit gesagt werden, diese bestimmten Personen könnten
unter Umständen so handeln, wie eS hier erzählt wird, weil sie Hegelianer sind.

Für die Gemeinheit und Nichtswürdigkeit dieses Unterfangens finden wir
keine Worte. Der Verfasser hat sich hinter die Anonymität geflüchtet, um der
verdienten Züchtigung zu entgehen; dafür hat die Agentur des Rauben Hauses
die Verantwortlichkeit übernommen. Wenn unsre Frömmler kein andres Mittel
wissen, für ihre Ideen Propaganda zu machen, als die handgreifliche oder halb¬
versteckte Lüge und Verleumdung, wenn sie sich an die Lüsternheit des Pöbels
wenden, um diese zuerst gleich den französischen Mysteriendichtern durch liederliche
und schmuzige Erfindungen und Schilderungen zu kitzeln und dann hinterher
zu erklären: nicht wir sind es, die so schmuzig denken und empfinden, sondern
unsre Gegner, so wird ihr Reich nicht von langer Dauer sein, denn soviel sitt¬
licher Kern, soviel Jnstinct der Wahrheit ist noch immer im deutschen Volk,
daß seine Verachtung diejenigen trifft, die unter dem Schein religiöser Bestre¬
bungen alle Sittlichkeit mit Füßen treten.




Konfessionelle Bestrebungen der Gegenwart.

Der seit einem Lustrum in deutschen Landen überhandnehmende.Kirchen¬
zwang, die von vielen Regierungen favorisirte Bigoterie werden der Wohl¬
fahrt des Volkes nicht minder verderblich, als jene politische Reaction, welche
die Mitwirkung der freigewählten, Vertreter einer Nation bei der Gesetzgebung
nicht zulassen will pder sie auf graden, wie auf krummen Wegen in der un¬
zuträglichsten Weise zu beschränken beflissen ist. Bei den Ansichten über Volks¬
erziehung und Volksleitung, die sich in unsern Tagen nach dem Siege der


sind. Ein Held, dem ein junger Maler auf die Stube rückt und ihm sagt:
„gib mir deine Frau; sonst hau ich dick, oder ich fange an zu weinen" und
der, statt diesen Maler herauszuwerfen, gleichfalls in Thränen ausbricht, in
Angst geräth u. s. w,, ein solcher Held bedars nicht erst der Hegelschen Philo-
sophie, um erforderlichenfalls aus Angst oder aus einfacher Gemeinheit ein
Verbrechen zu begehen.

Bis dahin ist die ganze Sache nur lächerlich. Nun müssen wir aber einen
Umstand hinzufügen, der ihr ein ernsteres Aussehen gibt. Die Mehrzahl der Fi¬
guren des Romans soll wirkliche Personen, zum Theil wissenschaftliche Notabili¬
täten vorstellen; es sind aus ihrem wissenschaftlichen, politischen, ja selbst aus ih¬
rem Familienleben einzelne Züge angeführt, die sie ihren Bekannten augenblicklich
kenntlich machen müssen, die übrigen Züge, Vergiftungen :c.' sind freilich dazu-
gelogen, aber es soll doch damit gesagt werden, diese bestimmten Personen könnten
unter Umständen so handeln, wie eS hier erzählt wird, weil sie Hegelianer sind.

Für die Gemeinheit und Nichtswürdigkeit dieses Unterfangens finden wir
keine Worte. Der Verfasser hat sich hinter die Anonymität geflüchtet, um der
verdienten Züchtigung zu entgehen; dafür hat die Agentur des Rauben Hauses
die Verantwortlichkeit übernommen. Wenn unsre Frömmler kein andres Mittel
wissen, für ihre Ideen Propaganda zu machen, als die handgreifliche oder halb¬
versteckte Lüge und Verleumdung, wenn sie sich an die Lüsternheit des Pöbels
wenden, um diese zuerst gleich den französischen Mysteriendichtern durch liederliche
und schmuzige Erfindungen und Schilderungen zu kitzeln und dann hinterher
zu erklären: nicht wir sind es, die so schmuzig denken und empfinden, sondern
unsre Gegner, so wird ihr Reich nicht von langer Dauer sein, denn soviel sitt¬
licher Kern, soviel Jnstinct der Wahrheit ist noch immer im deutschen Volk,
daß seine Verachtung diejenigen trifft, die unter dem Schein religiöser Bestre¬
bungen alle Sittlichkeit mit Füßen treten.




Konfessionelle Bestrebungen der Gegenwart.

Der seit einem Lustrum in deutschen Landen überhandnehmende.Kirchen¬
zwang, die von vielen Regierungen favorisirte Bigoterie werden der Wohl¬
fahrt des Volkes nicht minder verderblich, als jene politische Reaction, welche
die Mitwirkung der freigewählten, Vertreter einer Nation bei der Gesetzgebung
nicht zulassen will pder sie auf graden, wie auf krummen Wegen in der un¬
zuträglichsten Weise zu beschränken beflissen ist. Bei den Ansichten über Volks¬
erziehung und Volksleitung, die sich in unsern Tagen nach dem Siege der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/306>, abgerufen am 06.05.2024.