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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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früher erzählten, um das Publicum zu erbauen, erzählen, um das Publicum
davor zu warnen; es ist im Grunde die alte Leier. -- Wie ganz anders zeigt
sich die Religiosität solcher Schriftsteller, wie Jeremias Gotthelf oder Mrs.
Wetherell. Auch diese huldigen einer religiösen Ansicht, die' nicht die unsrige ist,
aber ihr Glaube ist ein lebendiger, und darum zeichnen sie denselben in leben¬
digen Gestalten, ja sie haben auch den Muth und das Talent, die entgegen¬
gesetzten Ansichten ebenso an kräftigen, lebendigen Personen darzustellen. Die
Religiosität in, einer starken, kräftigen Seele ist immer etwas Schönes und
Erhebendes; aber den Personen, die uns der Verfasser vorführt, können wir
keinen andern Ausdruck geben, als Waschlappen, oder wenn wir zarter sein
wollen, jungdeutsche Figuren. Was aber ein Waschlappen für eine Religion
hat, ist ziemlich gleichgiltig, da er doch immer ein Waschlappen bleiben wird.
Sämmtliche Personen des Romans von , der äußersten Rechten bis zur äußer¬
sten Linken sind Waschlappen.

Natürlich betragen sie sich auch im Verlauf des Romans als form- und
bestimmungslose Lappen wirklicher, Menschen. Die erzählten Thatsachen sind
sehr unfläthig, sehr unsittlich, vor allen Dingen aber sehr läppisch. Die
Vergnügungen der Gesellschaften, die hauptsächlich in lebenden Bildern und
Theaterspielen bestehen, sind ebenso abgeschmackt als ihre ernsthaften Handlungen.
Der Held des Stücks führt seiner Gemahlin einen jungen freiherrlichen Maler
zu; die beiden verlieben sich ineinander, der Held sieht es mit an, denkt aber,
eS wird wol nicht viel schaden. Am Ende aber kommt es zu, einem Eclat, der
Maler bedroht den Helden in dem eignen Hause desselben, verlangt von ihm die
Abtretung seiner Frau, packt ihn bei der Gurgel u. s. w., dann wird er wieder
gerührt, umarmt ihn u. f. w., der Held geräth theils in Todesangst vor dem
wüthenden Maler, theils ist er in ihn päderastisch verliebt, er macht also eine
Art Vertrag mit ihm, nach welchem, sie sich in die Frau halb und halb theilen
wollen. Man sieht, die Erfindung ist noch viel schmuziger, als bei E. Sue,
aber auch noch viel abgeschmackter. Dabei müssen wir noch bemerken, daß der
Held, abgesehen von seinem Radicalismus, nach der Ausicht des Verfassers eine
noble Figur sein soll. Was muß der würdige Dichter von dem Adel der
Natur für einen Begriff haben! Daß bei diesen Voraussetzungen rechts und
links vergiftet, gestohlen, geraubt, strcmgulirt wird u. f. w., versteht sich von selbst.
Zuletzt, wo der Verfasser seiner philosophischen Reflexionen müde wird, entsteht
eine Mischung von Blut und Schmuz, in welcher alle anderen Unterschiede
neutralisirt werden. Nun sprechen diese Personen in den Mußestunden, wo
sie nicht grade Vergiftung, Ehebruch, Diebstahl und drgl. treiben, in Hegelia¬
nischen Redensarten, und der Verfasser will also wol sagen, alle ihre schönen
Angewohnheiten stammen vom Hegelianismus her. Sie stammen vielmehr nur
daraus her, daß die dargestellten Personen sammt und sonders Waschlappen


Krenzboten. I. I8ils> 38

früher erzählten, um das Publicum zu erbauen, erzählen, um das Publicum
davor zu warnen; es ist im Grunde die alte Leier. — Wie ganz anders zeigt
sich die Religiosität solcher Schriftsteller, wie Jeremias Gotthelf oder Mrs.
Wetherell. Auch diese huldigen einer religiösen Ansicht, die' nicht die unsrige ist,
aber ihr Glaube ist ein lebendiger, und darum zeichnen sie denselben in leben¬
digen Gestalten, ja sie haben auch den Muth und das Talent, die entgegen¬
gesetzten Ansichten ebenso an kräftigen, lebendigen Personen darzustellen. Die
Religiosität in, einer starken, kräftigen Seele ist immer etwas Schönes und
Erhebendes; aber den Personen, die uns der Verfasser vorführt, können wir
keinen andern Ausdruck geben, als Waschlappen, oder wenn wir zarter sein
wollen, jungdeutsche Figuren. Was aber ein Waschlappen für eine Religion
hat, ist ziemlich gleichgiltig, da er doch immer ein Waschlappen bleiben wird.
Sämmtliche Personen des Romans von , der äußersten Rechten bis zur äußer¬
sten Linken sind Waschlappen.

Natürlich betragen sie sich auch im Verlauf des Romans als form- und
bestimmungslose Lappen wirklicher, Menschen. Die erzählten Thatsachen sind
sehr unfläthig, sehr unsittlich, vor allen Dingen aber sehr läppisch. Die
Vergnügungen der Gesellschaften, die hauptsächlich in lebenden Bildern und
Theaterspielen bestehen, sind ebenso abgeschmackt als ihre ernsthaften Handlungen.
Der Held des Stücks führt seiner Gemahlin einen jungen freiherrlichen Maler
zu; die beiden verlieben sich ineinander, der Held sieht es mit an, denkt aber,
eS wird wol nicht viel schaden. Am Ende aber kommt es zu, einem Eclat, der
Maler bedroht den Helden in dem eignen Hause desselben, verlangt von ihm die
Abtretung seiner Frau, packt ihn bei der Gurgel u. s. w., dann wird er wieder
gerührt, umarmt ihn u. f. w., der Held geräth theils in Todesangst vor dem
wüthenden Maler, theils ist er in ihn päderastisch verliebt, er macht also eine
Art Vertrag mit ihm, nach welchem, sie sich in die Frau halb und halb theilen
wollen. Man sieht, die Erfindung ist noch viel schmuziger, als bei E. Sue,
aber auch noch viel abgeschmackter. Dabei müssen wir noch bemerken, daß der
Held, abgesehen von seinem Radicalismus, nach der Ausicht des Verfassers eine
noble Figur sein soll. Was muß der würdige Dichter von dem Adel der
Natur für einen Begriff haben! Daß bei diesen Voraussetzungen rechts und
links vergiftet, gestohlen, geraubt, strcmgulirt wird u. f. w., versteht sich von selbst.
Zuletzt, wo der Verfasser seiner philosophischen Reflexionen müde wird, entsteht
eine Mischung von Blut und Schmuz, in welcher alle anderen Unterschiede
neutralisirt werden. Nun sprechen diese Personen in den Mußestunden, wo
sie nicht grade Vergiftung, Ehebruch, Diebstahl und drgl. treiben, in Hegelia¬
nischen Redensarten, und der Verfasser will also wol sagen, alle ihre schönen
Angewohnheiten stammen vom Hegelianismus her. Sie stammen vielmehr nur
daraus her, daß die dargestellten Personen sammt und sonders Waschlappen


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[0305] früher erzählten, um das Publicum zu erbauen, erzählen, um das Publicum davor zu warnen; es ist im Grunde die alte Leier. — Wie ganz anders zeigt sich die Religiosität solcher Schriftsteller, wie Jeremias Gotthelf oder Mrs. Wetherell. Auch diese huldigen einer religiösen Ansicht, die' nicht die unsrige ist, aber ihr Glaube ist ein lebendiger, und darum zeichnen sie denselben in leben¬ digen Gestalten, ja sie haben auch den Muth und das Talent, die entgegen¬ gesetzten Ansichten ebenso an kräftigen, lebendigen Personen darzustellen. Die Religiosität in, einer starken, kräftigen Seele ist immer etwas Schönes und Erhebendes; aber den Personen, die uns der Verfasser vorführt, können wir keinen andern Ausdruck geben, als Waschlappen, oder wenn wir zarter sein wollen, jungdeutsche Figuren. Was aber ein Waschlappen für eine Religion hat, ist ziemlich gleichgiltig, da er doch immer ein Waschlappen bleiben wird. Sämmtliche Personen des Romans von , der äußersten Rechten bis zur äußer¬ sten Linken sind Waschlappen. Natürlich betragen sie sich auch im Verlauf des Romans als form- und bestimmungslose Lappen wirklicher, Menschen. Die erzählten Thatsachen sind sehr unfläthig, sehr unsittlich, vor allen Dingen aber sehr läppisch. Die Vergnügungen der Gesellschaften, die hauptsächlich in lebenden Bildern und Theaterspielen bestehen, sind ebenso abgeschmackt als ihre ernsthaften Handlungen. Der Held des Stücks führt seiner Gemahlin einen jungen freiherrlichen Maler zu; die beiden verlieben sich ineinander, der Held sieht es mit an, denkt aber, eS wird wol nicht viel schaden. Am Ende aber kommt es zu, einem Eclat, der Maler bedroht den Helden in dem eignen Hause desselben, verlangt von ihm die Abtretung seiner Frau, packt ihn bei der Gurgel u. s. w., dann wird er wieder gerührt, umarmt ihn u. f. w., der Held geräth theils in Todesangst vor dem wüthenden Maler, theils ist er in ihn päderastisch verliebt, er macht also eine Art Vertrag mit ihm, nach welchem, sie sich in die Frau halb und halb theilen wollen. Man sieht, die Erfindung ist noch viel schmuziger, als bei E. Sue, aber auch noch viel abgeschmackter. Dabei müssen wir noch bemerken, daß der Held, abgesehen von seinem Radicalismus, nach der Ausicht des Verfassers eine noble Figur sein soll. Was muß der würdige Dichter von dem Adel der Natur für einen Begriff haben! Daß bei diesen Voraussetzungen rechts und links vergiftet, gestohlen, geraubt, strcmgulirt wird u. f. w., versteht sich von selbst. Zuletzt, wo der Verfasser seiner philosophischen Reflexionen müde wird, entsteht eine Mischung von Blut und Schmuz, in welcher alle anderen Unterschiede neutralisirt werden. Nun sprechen diese Personen in den Mußestunden, wo sie nicht grade Vergiftung, Ehebruch, Diebstahl und drgl. treiben, in Hegelia¬ nischen Redensarten, und der Verfasser will also wol sagen, alle ihre schönen Angewohnheiten stammen vom Hegelianismus her. Sie stammen vielmehr nur daraus her, daß die dargestellten Personen sammt und sonders Waschlappen Krenzboten. I. I8ils> 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/305>, abgerufen am 19.05.2024.