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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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--Schlimmer war es mit dem Glauben seines Freundes Clemens Brentano. Als
Gubitz einmal im Gesellschafter den Satz hatte drucken lassen: "kann man wol
christlicher beten, als Sokrates gebetet hat?" stürzte Clemens Brentano mit
großer Heftigkeit zu ihm und suchte ihm lange Zeit auseinanderzusetzen, daß eine
solche Behauptung eine schwere Sünde wäre, daß man an die Wahrheit der
Wunder und Zeichen zU glauben habe, die eben damals wieder durch vielfache
Berichte als Thatsachen constatirt wurden. Endlich verdroß ihn das Schweigen
des andern', er schalt auf diesen erfrorenen Glauben, und da nun Gubitz sich des
Lachens nicht länger erwehren konnte, erhob der Redner seine sehr wohltönende
Stimme zur höchsten Kraft und sprach: "nun denn, so möge Euch werden, was
Euch gebührt, und das Strafgericht ist Euch nicht fern, denn im Jahre 1829
erfolgt die Wiederkunft des Heilandes und im Jahre 1830 das Weltgericht!"
Und damit verließ er das Haus voller Entrüstung. Einige Monate darauf
stürzte Brentano plötzlich wieder ins Zimmer, warf sich aus einen Stuhl und
rief lautweinend: "ich habe mein Gelübde gebrochen, mein Gelübde gebrochen!"
Lange konnte er sich nicht erholen, bis er endlich mit der tiefsten Zerknirschung
erzählte, er sei mit sich und der Welt völlig zerfallen, und habe sich das Ge¬
lübde auferlegt, in Sühne und Buße den Hungertod zu sterben, und sich zu
diesem Zweck bereits zwei Tage eingeschlossen. Da wäre er nun von seinen
Gedanken bestürmt worden, noch einmal seine Freunde zu besuchen; unterwegs
habe er der Versuchung von ein paar Brötchen nicht widerstehen können, er
habe sie gegessen und sei nun in Verzweiflung über den Bruch seines Gelüb¬
des. Gubitz sprach ihm Trost ein und bemerkte dabei, daß er die Sehnsucht,
nochmals seine Freunde zu besuchen, eigentlich wol als eine himmlische War¬
nung betrachten müsse. Dies schien ihm einzuleuchten und er versicherte end¬
lich, sich einer andern Sühne weihen zu wollen. Bald darauf reiste er von
Berlin ab und ging ins Kloster.

Dies, meine Herren, war die Creme der Bildung, die man unter dem
Namen der romantischen so lange Zeit gehätschelt hat, für die man mitunter
noch heute Propaganda macht. -- Dem Herausgeber gebührt Dank, daß er
derartige Thatsachen zur allgemeinen Kenntniß bringt. Zur Ergänzung möchten
wir noch auf den Bericht Varnhagens über Justinus Kerner im dritten Bande
seiner Denkwürdigkeiten verweisen. --


Garten und Wald. Novellen und vermischte Schriften von Ludwig Rell-
stab. Vierter Theil. Leipzig, F. A. Brockhaus. --

Der Haupttheil dieser Sammlung enthält die Biographie Ludwig Bergers,
des bekannten Komponisten, geb. 1777 in Berlin, geht. daselbst 1839, den
Rellstab neben C. M. von Weber und Bernhard Klein stellt und dem er vor
beiden den Vorzug gibt; ferner einen Besuch bei Jean Paul 1821, dem der


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—Schlimmer war es mit dem Glauben seines Freundes Clemens Brentano. Als
Gubitz einmal im Gesellschafter den Satz hatte drucken lassen: „kann man wol
christlicher beten, als Sokrates gebetet hat?" stürzte Clemens Brentano mit
großer Heftigkeit zu ihm und suchte ihm lange Zeit auseinanderzusetzen, daß eine
solche Behauptung eine schwere Sünde wäre, daß man an die Wahrheit der
Wunder und Zeichen zU glauben habe, die eben damals wieder durch vielfache
Berichte als Thatsachen constatirt wurden. Endlich verdroß ihn das Schweigen
des andern', er schalt auf diesen erfrorenen Glauben, und da nun Gubitz sich des
Lachens nicht länger erwehren konnte, erhob der Redner seine sehr wohltönende
Stimme zur höchsten Kraft und sprach: „nun denn, so möge Euch werden, was
Euch gebührt, und das Strafgericht ist Euch nicht fern, denn im Jahre 1829
erfolgt die Wiederkunft des Heilandes und im Jahre 1830 das Weltgericht!"
Und damit verließ er das Haus voller Entrüstung. Einige Monate darauf
stürzte Brentano plötzlich wieder ins Zimmer, warf sich aus einen Stuhl und
rief lautweinend: „ich habe mein Gelübde gebrochen, mein Gelübde gebrochen!"
Lange konnte er sich nicht erholen, bis er endlich mit der tiefsten Zerknirschung
erzählte, er sei mit sich und der Welt völlig zerfallen, und habe sich das Ge¬
lübde auferlegt, in Sühne und Buße den Hungertod zu sterben, und sich zu
diesem Zweck bereits zwei Tage eingeschlossen. Da wäre er nun von seinen
Gedanken bestürmt worden, noch einmal seine Freunde zu besuchen; unterwegs
habe er der Versuchung von ein paar Brötchen nicht widerstehen können, er
habe sie gegessen und sei nun in Verzweiflung über den Bruch seines Gelüb¬
des. Gubitz sprach ihm Trost ein und bemerkte dabei, daß er die Sehnsucht,
nochmals seine Freunde zu besuchen, eigentlich wol als eine himmlische War¬
nung betrachten müsse. Dies schien ihm einzuleuchten und er versicherte end¬
lich, sich einer andern Sühne weihen zu wollen. Bald darauf reiste er von
Berlin ab und ging ins Kloster.

Dies, meine Herren, war die Creme der Bildung, die man unter dem
Namen der romantischen so lange Zeit gehätschelt hat, für die man mitunter
noch heute Propaganda macht. — Dem Herausgeber gebührt Dank, daß er
derartige Thatsachen zur allgemeinen Kenntniß bringt. Zur Ergänzung möchten
wir noch auf den Bericht Varnhagens über Justinus Kerner im dritten Bande
seiner Denkwürdigkeiten verweisen. —


Garten und Wald. Novellen und vermischte Schriften von Ludwig Rell-
stab. Vierter Theil. Leipzig, F. A. Brockhaus. —

Der Haupttheil dieser Sammlung enthält die Biographie Ludwig Bergers,
des bekannten Komponisten, geb. 1777 in Berlin, geht. daselbst 1839, den
Rellstab neben C. M. von Weber und Bernhard Klein stellt und dem er vor
beiden den Vorzug gibt; ferner einen Besuch bei Jean Paul 1821, dem der


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[0345] —Schlimmer war es mit dem Glauben seines Freundes Clemens Brentano. Als Gubitz einmal im Gesellschafter den Satz hatte drucken lassen: „kann man wol christlicher beten, als Sokrates gebetet hat?" stürzte Clemens Brentano mit großer Heftigkeit zu ihm und suchte ihm lange Zeit auseinanderzusetzen, daß eine solche Behauptung eine schwere Sünde wäre, daß man an die Wahrheit der Wunder und Zeichen zU glauben habe, die eben damals wieder durch vielfache Berichte als Thatsachen constatirt wurden. Endlich verdroß ihn das Schweigen des andern', er schalt auf diesen erfrorenen Glauben, und da nun Gubitz sich des Lachens nicht länger erwehren konnte, erhob der Redner seine sehr wohltönende Stimme zur höchsten Kraft und sprach: „nun denn, so möge Euch werden, was Euch gebührt, und das Strafgericht ist Euch nicht fern, denn im Jahre 1829 erfolgt die Wiederkunft des Heilandes und im Jahre 1830 das Weltgericht!" Und damit verließ er das Haus voller Entrüstung. Einige Monate darauf stürzte Brentano plötzlich wieder ins Zimmer, warf sich aus einen Stuhl und rief lautweinend: „ich habe mein Gelübde gebrochen, mein Gelübde gebrochen!" Lange konnte er sich nicht erholen, bis er endlich mit der tiefsten Zerknirschung erzählte, er sei mit sich und der Welt völlig zerfallen, und habe sich das Ge¬ lübde auferlegt, in Sühne und Buße den Hungertod zu sterben, und sich zu diesem Zweck bereits zwei Tage eingeschlossen. Da wäre er nun von seinen Gedanken bestürmt worden, noch einmal seine Freunde zu besuchen; unterwegs habe er der Versuchung von ein paar Brötchen nicht widerstehen können, er habe sie gegessen und sei nun in Verzweiflung über den Bruch seines Gelüb¬ des. Gubitz sprach ihm Trost ein und bemerkte dabei, daß er die Sehnsucht, nochmals seine Freunde zu besuchen, eigentlich wol als eine himmlische War¬ nung betrachten müsse. Dies schien ihm einzuleuchten und er versicherte end¬ lich, sich einer andern Sühne weihen zu wollen. Bald darauf reiste er von Berlin ab und ging ins Kloster. Dies, meine Herren, war die Creme der Bildung, die man unter dem Namen der romantischen so lange Zeit gehätschelt hat, für die man mitunter noch heute Propaganda macht. — Dem Herausgeber gebührt Dank, daß er derartige Thatsachen zur allgemeinen Kenntniß bringt. Zur Ergänzung möchten wir noch auf den Bericht Varnhagens über Justinus Kerner im dritten Bande seiner Denkwürdigkeiten verweisen. — Garten und Wald. Novellen und vermischte Schriften von Ludwig Rell- stab. Vierter Theil. Leipzig, F. A. Brockhaus. — Der Haupttheil dieser Sammlung enthält die Biographie Ludwig Bergers, des bekannten Komponisten, geb. 1777 in Berlin, geht. daselbst 1839, den Rellstab neben C. M. von Weber und Bernhard Klein stellt und dem er vor beiden den Vorzug gibt; ferner einen Besuch bei Jean Paul 1821, dem der Grenzboten. I. -l8L3. i-3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/345>, abgerufen am 06.05.2024.