Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Verfasser mit einer Empfindung entgegenkommt, für welche der Ausdruck An¬
betung noch lange nicht genügen würde. Viel Neues erfahren wir daraus
nicht. Wie Jean Paul sich räuspert und spuckt, haben uns nun bereits 999
Touristen erzählt. Unbekannt war uns, daß Tieck mit Jean Paul in ziemlich
lebhaftem brieflichen Verkehr stand, daß er dessen "Flegeljahre" sehr liebte,
und daß Jean Paul von Hoffmann nichts halten wollte. -- Einen bessern
Eindruck macht der Besuch bei Beethoven, -1825. Hier ist die Wärme
und Verehrung wohlthuend. Rellstab macht von seinem Aeußern folgende
Beschreibung. Das fast durchweg graue Haar erhob sich buschig, un¬
geordnet aus seinem Scheitel, nicht gelockt, nicht kraus, nicht starr, ein
Gemisch aus allem. Die Züge erschienen auf den ersten Blick wenig bedeutend;
das Gesicht war viel kleiner, als indes mir nach den in eine gewaltsam geniale
Wildheit gezwängten Bildnissen vorgestellt hatte. Nichts drückte jene Schroff¬
heit, jene stürmische Fessellostgkeit aus, die man seiner Physiognomie geliehen,
um sie in Uebereinstimmung mit seinen Werken zu bringen. Weshalb sollte
denn aber auch Beethovens Angesicht aussehen wie seine Partituren? Seine
Farbe war bräunlich, doch nicht jenes gesunde kräftige Braun, das sich der
Jäger erwirbt, sondern mit einem gelblich kränkelnden Ton versetzt. Die Nase
schmal, scharf, der Mund wohlwollend, das Auge klein, blaßgrau, doch
sprechend. Wehmuth, Leiden, Güte las ich auf seinem Angesicht; doch, ich
wiederhole eS, nicht ein Zug der Härte, nicht einer der mächtigen Kühnheit,
die den Schwung seines Geistes bezeichnet, war auch nur vorübergehend zu
bemerken. -- Rellstab wollte ihm einen Operntext anbieten. Er fragte in der
traurigen Art und Weise, welche Beethovens Taubheit nothwendig machte,
durch eine Schreibtafel, welche Gattung Beethoven vorziehen würde. "Auf
die Gattung," antwortete Beethoven, "käme mirs wenig an, wenn der Stoss
, mich anzieht. Doch ich muß mit Liebe und Innigkeit darangehen können.
Opern, wie "Don Juan" und "Figaro" könnte ich nicht componiren. Da¬
gegen habe ich einen Widerwillen -- ich hätte solche Stoffe nicht wählen
können," fuhr er sort, "sie sind mir zu leichtfertig!" Die Aeußerung hält der
Verfasser mit Recht für sehr charakteristisch. Dankenswerth ist auch eine Er¬
zählung Webers über seinen letzten Besuch bei Beethoven. "Wir waren," er¬
zählte er Rellstab, "mehrmals bei ihm gewesen, boH er hatte sich immer nicht
sprechen lassen. Er war unwohl, menschenscheu, trübsinnig. Endlich gelang
es uns, eine günstige Stunde zu treffen. Wir traten ein; er saß am Arbeits¬
tisch; nicht eben freundlich stand er auf. Er hatte mich vor Jahren schon
gut gekannt und so kamen wir bald in trauliches Gespräche. Da trat er
plötzlich dicht vor mich hin, legte beide Hände auf meine Schultern, schüttelte
mich kräftig und herzlich und rief: "Du bist ein braver Kerl geworden!" und
dann küßte er mich mit wahrer Freundschaft und Liebe. Von allem, was mir


Verfasser mit einer Empfindung entgegenkommt, für welche der Ausdruck An¬
betung noch lange nicht genügen würde. Viel Neues erfahren wir daraus
nicht. Wie Jean Paul sich räuspert und spuckt, haben uns nun bereits 999
Touristen erzählt. Unbekannt war uns, daß Tieck mit Jean Paul in ziemlich
lebhaftem brieflichen Verkehr stand, daß er dessen „Flegeljahre" sehr liebte,
und daß Jean Paul von Hoffmann nichts halten wollte. — Einen bessern
Eindruck macht der Besuch bei Beethoven, -1825. Hier ist die Wärme
und Verehrung wohlthuend. Rellstab macht von seinem Aeußern folgende
Beschreibung. Das fast durchweg graue Haar erhob sich buschig, un¬
geordnet aus seinem Scheitel, nicht gelockt, nicht kraus, nicht starr, ein
Gemisch aus allem. Die Züge erschienen auf den ersten Blick wenig bedeutend;
das Gesicht war viel kleiner, als indes mir nach den in eine gewaltsam geniale
Wildheit gezwängten Bildnissen vorgestellt hatte. Nichts drückte jene Schroff¬
heit, jene stürmische Fessellostgkeit aus, die man seiner Physiognomie geliehen,
um sie in Uebereinstimmung mit seinen Werken zu bringen. Weshalb sollte
denn aber auch Beethovens Angesicht aussehen wie seine Partituren? Seine
Farbe war bräunlich, doch nicht jenes gesunde kräftige Braun, das sich der
Jäger erwirbt, sondern mit einem gelblich kränkelnden Ton versetzt. Die Nase
schmal, scharf, der Mund wohlwollend, das Auge klein, blaßgrau, doch
sprechend. Wehmuth, Leiden, Güte las ich auf seinem Angesicht; doch, ich
wiederhole eS, nicht ein Zug der Härte, nicht einer der mächtigen Kühnheit,
die den Schwung seines Geistes bezeichnet, war auch nur vorübergehend zu
bemerken. — Rellstab wollte ihm einen Operntext anbieten. Er fragte in der
traurigen Art und Weise, welche Beethovens Taubheit nothwendig machte,
durch eine Schreibtafel, welche Gattung Beethoven vorziehen würde. „Auf
die Gattung," antwortete Beethoven, „käme mirs wenig an, wenn der Stoss
, mich anzieht. Doch ich muß mit Liebe und Innigkeit darangehen können.
Opern, wie „Don Juan" und „Figaro" könnte ich nicht componiren. Da¬
gegen habe ich einen Widerwillen — ich hätte solche Stoffe nicht wählen
können," fuhr er sort, „sie sind mir zu leichtfertig!" Die Aeußerung hält der
Verfasser mit Recht für sehr charakteristisch. Dankenswerth ist auch eine Er¬
zählung Webers über seinen letzten Besuch bei Beethoven. „Wir waren," er¬
zählte er Rellstab, „mehrmals bei ihm gewesen, boH er hatte sich immer nicht
sprechen lassen. Er war unwohl, menschenscheu, trübsinnig. Endlich gelang
es uns, eine günstige Stunde zu treffen. Wir traten ein; er saß am Arbeits¬
tisch; nicht eben freundlich stand er auf. Er hatte mich vor Jahren schon
gut gekannt und so kamen wir bald in trauliches Gespräche. Da trat er
plötzlich dicht vor mich hin, legte beide Hände auf meine Schultern, schüttelte
mich kräftig und herzlich und rief: „Du bist ein braver Kerl geworden!" und
dann küßte er mich mit wahrer Freundschaft und Liebe. Von allem, was mir


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0346" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99198"/>
            <p xml:id="ID_1179" prev="#ID_1178" next="#ID_1180"> Verfasser mit einer Empfindung entgegenkommt, für welche der Ausdruck An¬<lb/>
betung noch lange nicht genügen würde.  Viel Neues erfahren wir daraus<lb/>
nicht. Wie Jean Paul sich räuspert und spuckt, haben uns nun bereits 999<lb/>
Touristen erzählt. Unbekannt war uns, daß Tieck mit Jean Paul in ziemlich<lb/>
lebhaftem brieflichen Verkehr stand, daß er dessen &#x201E;Flegeljahre" sehr liebte,<lb/>
und daß Jean Paul von Hoffmann nichts halten wollte. &#x2014; Einen bessern<lb/>
Eindruck macht der Besuch bei Beethoven, -1825.  Hier ist die Wärme<lb/>
und Verehrung wohlthuend.  Rellstab macht von seinem Aeußern folgende<lb/>
Beschreibung.  Das fast durchweg graue Haar erhob sich buschig, un¬<lb/>
geordnet aus seinem Scheitel, nicht gelockt, nicht kraus, nicht starr, ein<lb/>
Gemisch aus allem. Die Züge erschienen auf den ersten Blick wenig bedeutend;<lb/>
das Gesicht war viel kleiner, als indes mir nach den in eine gewaltsam geniale<lb/>
Wildheit gezwängten Bildnissen vorgestellt hatte.  Nichts drückte jene Schroff¬<lb/>
heit, jene stürmische Fessellostgkeit aus, die man seiner Physiognomie geliehen,<lb/>
um sie in Uebereinstimmung mit seinen Werken zu bringen.  Weshalb sollte<lb/>
denn aber auch Beethovens Angesicht aussehen wie seine Partituren? Seine<lb/>
Farbe war bräunlich, doch nicht jenes gesunde kräftige Braun, das sich der<lb/>
Jäger erwirbt, sondern mit einem gelblich kränkelnden Ton versetzt. Die Nase<lb/>
schmal, scharf, der Mund wohlwollend, das Auge klein, blaßgrau, doch<lb/>
sprechend.  Wehmuth, Leiden, Güte las ich auf seinem Angesicht; doch, ich<lb/>
wiederhole eS, nicht ein Zug der Härte, nicht einer der mächtigen Kühnheit,<lb/>
die den Schwung seines Geistes bezeichnet, war auch nur vorübergehend zu<lb/>
bemerken. &#x2014; Rellstab wollte ihm einen Operntext anbieten. Er fragte in der<lb/>
traurigen Art und Weise, welche Beethovens Taubheit nothwendig machte,<lb/>
durch eine Schreibtafel, welche Gattung Beethoven vorziehen würde. &#x201E;Auf<lb/>
die Gattung," antwortete Beethoven, &#x201E;käme mirs wenig an, wenn der Stoss<lb/>
, mich anzieht.  Doch ich muß mit Liebe und Innigkeit darangehen können.<lb/>
Opern, wie &#x201E;Don Juan" und &#x201E;Figaro" könnte ich nicht componiren. Da¬<lb/>
gegen habe ich einen Widerwillen &#x2014; ich hätte solche Stoffe nicht wählen<lb/>
können," fuhr er sort, &#x201E;sie sind mir zu leichtfertig!" Die Aeußerung hält der<lb/>
Verfasser mit Recht für sehr charakteristisch.  Dankenswerth ist auch eine Er¬<lb/>
zählung Webers über seinen letzten Besuch bei Beethoven. &#x201E;Wir waren," er¬<lb/>
zählte er Rellstab, &#x201E;mehrmals bei ihm gewesen, boH er hatte sich immer nicht<lb/>
sprechen lassen. Er war unwohl, menschenscheu, trübsinnig.  Endlich gelang<lb/>
es uns, eine günstige Stunde zu treffen. Wir traten ein; er saß am Arbeits¬<lb/>
tisch; nicht eben freundlich stand er auf.  Er hatte mich vor Jahren schon<lb/>
gut gekannt und so kamen wir bald in trauliches Gespräche.  Da trat er<lb/>
plötzlich dicht vor mich hin, legte beide Hände auf meine Schultern, schüttelte<lb/>
mich kräftig und herzlich und rief: &#x201E;Du bist ein braver Kerl geworden!" und<lb/>
dann küßte er mich mit wahrer Freundschaft und Liebe. Von allem, was mir</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0346] Verfasser mit einer Empfindung entgegenkommt, für welche der Ausdruck An¬ betung noch lange nicht genügen würde. Viel Neues erfahren wir daraus nicht. Wie Jean Paul sich räuspert und spuckt, haben uns nun bereits 999 Touristen erzählt. Unbekannt war uns, daß Tieck mit Jean Paul in ziemlich lebhaftem brieflichen Verkehr stand, daß er dessen „Flegeljahre" sehr liebte, und daß Jean Paul von Hoffmann nichts halten wollte. — Einen bessern Eindruck macht der Besuch bei Beethoven, -1825. Hier ist die Wärme und Verehrung wohlthuend. Rellstab macht von seinem Aeußern folgende Beschreibung. Das fast durchweg graue Haar erhob sich buschig, un¬ geordnet aus seinem Scheitel, nicht gelockt, nicht kraus, nicht starr, ein Gemisch aus allem. Die Züge erschienen auf den ersten Blick wenig bedeutend; das Gesicht war viel kleiner, als indes mir nach den in eine gewaltsam geniale Wildheit gezwängten Bildnissen vorgestellt hatte. Nichts drückte jene Schroff¬ heit, jene stürmische Fessellostgkeit aus, die man seiner Physiognomie geliehen, um sie in Uebereinstimmung mit seinen Werken zu bringen. Weshalb sollte denn aber auch Beethovens Angesicht aussehen wie seine Partituren? Seine Farbe war bräunlich, doch nicht jenes gesunde kräftige Braun, das sich der Jäger erwirbt, sondern mit einem gelblich kränkelnden Ton versetzt. Die Nase schmal, scharf, der Mund wohlwollend, das Auge klein, blaßgrau, doch sprechend. Wehmuth, Leiden, Güte las ich auf seinem Angesicht; doch, ich wiederhole eS, nicht ein Zug der Härte, nicht einer der mächtigen Kühnheit, die den Schwung seines Geistes bezeichnet, war auch nur vorübergehend zu bemerken. — Rellstab wollte ihm einen Operntext anbieten. Er fragte in der traurigen Art und Weise, welche Beethovens Taubheit nothwendig machte, durch eine Schreibtafel, welche Gattung Beethoven vorziehen würde. „Auf die Gattung," antwortete Beethoven, „käme mirs wenig an, wenn der Stoss , mich anzieht. Doch ich muß mit Liebe und Innigkeit darangehen können. Opern, wie „Don Juan" und „Figaro" könnte ich nicht componiren. Da¬ gegen habe ich einen Widerwillen — ich hätte solche Stoffe nicht wählen können," fuhr er sort, „sie sind mir zu leichtfertig!" Die Aeußerung hält der Verfasser mit Recht für sehr charakteristisch. Dankenswerth ist auch eine Er¬ zählung Webers über seinen letzten Besuch bei Beethoven. „Wir waren," er¬ zählte er Rellstab, „mehrmals bei ihm gewesen, boH er hatte sich immer nicht sprechen lassen. Er war unwohl, menschenscheu, trübsinnig. Endlich gelang es uns, eine günstige Stunde zu treffen. Wir traten ein; er saß am Arbeits¬ tisch; nicht eben freundlich stand er auf. Er hatte mich vor Jahren schon gut gekannt und so kamen wir bald in trauliches Gespräche. Da trat er plötzlich dicht vor mich hin, legte beide Hände auf meine Schultern, schüttelte mich kräftig und herzlich und rief: „Du bist ein braver Kerl geworden!" und dann küßte er mich mit wahrer Freundschaft und Liebe. Von allem, was mir

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/346
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/346>, abgerufen am 19.05.2024.