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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Wenn wir nun fragen, wie ?sich die neue physiologische oder historische
Methode zu den frühern idealistischen Systemen verhält, so bietet sich auf einem
entlegenen Gebiet ein nicht uninteressanter Vergleich. Als Hegel seine Reform
der Philosophie antrat, hatte er es gleichfalls mit einer Reihe idealistischer
Speculationen zu thun, deren Einseitigkeit er aufzuheben strebte. Mit dem
Doppelsinn dieses Worts liebte er es zu spielen; es liegt aber in demselben
in der That der Kern seiner Lehre, denn er stellte nicht den alten Idealen ein
neues Ideal entgegen, sondern er suchte den geistigen Errungenschaften jedes
frühern Systems, indem er es auf seine bedingte Bedeutung zurückführte, zu¬
gleich eine bleibende Berechtigung im allgemeinen Reich des Geistes zu be¬
wahren. Wahrend die frühern Systeme der Nationalökonomie von einem
bestimmten Ideal, von einem bestimmten Postulat ausgingen und zur Be¬
gründung desselben sowie zur Widerlegung der Gegner eine Reihe objectiver
Forschungen anstellten, läßt sich die physiologische Methode diese Postulate fallen
und nimmt die objectiven Forschungen jedes einzelnen Systems, indem sie ihnen
ihren bedingten Platz anweist, in ihr Lehrgebäude auf. Unzweifelhaft ist dies
der einzige wissenschaftliche Weg, der zum Ziel führt, und wir können nur
wünschen, daß durch Zusammenwirken aller denkenden Hreunde des Volks auf
diesem neutralen Wege das Ziel möchte erreicht werden, welchem uns die Ein¬
seitigkeit der Parteien niemals zuführen wird.




Neue Werke zur deutschen Liternturgeschichte.
Goethes Hermann und Dorothea. Erläutert von Heinrich Düntzer. Jena,
Hochhausen. --

Bald nach dem Erscheinen dieses Gedichts, welches unter Goethes sämmt¬
lichen Werken wol die ungethcilteste Bewunderung des gesammten deutschen
Publicums erregt hat, schrieb Wilhelm von Humboldt einen Commentar, der
zu dem Umfang eines ziemlich vollständigen Buches anschwoll und in welchem
an dieses einzelne Werk eine Theorie der Dichtkunst nach allen Zweigen an¬
geknüpft wurde. Seit der Zeit hat immer ein Erklärer den andern abgelöst und
in jedem neuen findet sich irgend etwas Verständiges; ein sehr günstiges Zeugniß
, für das Gedicht, dessen inneres Leben so heftigen und unausgesetzten Angriffen
einen erfolgreichen Widerstand geleistet hat. Herr- Düntzer, der zur Erläuterung
Goethes, seines Lebens und seiner Schriften schon eine ganze Reihe von Bänden
veröffentlicht hat, beginnt das große Sammelwerk, welches als Supplement


Grenzboten. I. I8so. 58

Wenn wir nun fragen, wie ?sich die neue physiologische oder historische
Methode zu den frühern idealistischen Systemen verhält, so bietet sich auf einem
entlegenen Gebiet ein nicht uninteressanter Vergleich. Als Hegel seine Reform
der Philosophie antrat, hatte er es gleichfalls mit einer Reihe idealistischer
Speculationen zu thun, deren Einseitigkeit er aufzuheben strebte. Mit dem
Doppelsinn dieses Worts liebte er es zu spielen; es liegt aber in demselben
in der That der Kern seiner Lehre, denn er stellte nicht den alten Idealen ein
neues Ideal entgegen, sondern er suchte den geistigen Errungenschaften jedes
frühern Systems, indem er es auf seine bedingte Bedeutung zurückführte, zu¬
gleich eine bleibende Berechtigung im allgemeinen Reich des Geistes zu be¬
wahren. Wahrend die frühern Systeme der Nationalökonomie von einem
bestimmten Ideal, von einem bestimmten Postulat ausgingen und zur Be¬
gründung desselben sowie zur Widerlegung der Gegner eine Reihe objectiver
Forschungen anstellten, läßt sich die physiologische Methode diese Postulate fallen
und nimmt die objectiven Forschungen jedes einzelnen Systems, indem sie ihnen
ihren bedingten Platz anweist, in ihr Lehrgebäude auf. Unzweifelhaft ist dies
der einzige wissenschaftliche Weg, der zum Ziel führt, und wir können nur
wünschen, daß durch Zusammenwirken aller denkenden Hreunde des Volks auf
diesem neutralen Wege das Ziel möchte erreicht werden, welchem uns die Ein¬
seitigkeit der Parteien niemals zuführen wird.




Neue Werke zur deutschen Liternturgeschichte.
Goethes Hermann und Dorothea. Erläutert von Heinrich Düntzer. Jena,
Hochhausen. —

Bald nach dem Erscheinen dieses Gedichts, welches unter Goethes sämmt¬
lichen Werken wol die ungethcilteste Bewunderung des gesammten deutschen
Publicums erregt hat, schrieb Wilhelm von Humboldt einen Commentar, der
zu dem Umfang eines ziemlich vollständigen Buches anschwoll und in welchem
an dieses einzelne Werk eine Theorie der Dichtkunst nach allen Zweigen an¬
geknüpft wurde. Seit der Zeit hat immer ein Erklärer den andern abgelöst und
in jedem neuen findet sich irgend etwas Verständiges; ein sehr günstiges Zeugniß
, für das Gedicht, dessen inneres Leben so heftigen und unausgesetzten Angriffen
einen erfolgreichen Widerstand geleistet hat. Herr- Düntzer, der zur Erläuterung
Goethes, seines Lebens und seiner Schriften schon eine ganze Reihe von Bänden
veröffentlicht hat, beginnt das große Sammelwerk, welches als Supplement


Grenzboten. I. I8so. 58
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/465>, abgerufen am 06.05.2024.