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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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die Entwicklung Deutschlands erhielt diese Polemik erst durch Friedrich List;
ein Mann, vor dessen theoretischen Fehlgriffen wir niemals den außerordent¬
lichen Gewinn vergessen dürfen, den ihm das productive Leben unsres Vater¬
landes verdankt. List nimmt zum Ausgangspunkt für seine Theorie die Na¬
tionalität, welche als eine selbstständige Existenz, als ein eigenthümlicher
Organismus zwischen dem Individuum und der Menschheit in der Mitte steht.
Die Geschichte lehrt, daß die Individuen den größten Theil ihrer productiven
Kraft aus den gesellschaftlichen Institutionen und Zuständen schöpfen. Daher
kommt auf die Ausbildung der politischen Nationalität soviel an, daß ihrer
Forderung die wirthschaftlichen Interessen der einzelnen sich unterordnen müssen.
Die nationale Arbeitstheilung ist bedingt durch die nationale Conföderation
der Productivkräfte; in der Kraft, der Mannigfaltigkeit und dem Gleichgewicht
der letztern, nicht in der Menge der producirten Tauschwerthe, beruht der Reich¬
thum einer Nation. Die ökonomischen Kräfte der aufeinanderfolgenden Gene¬
rationen müssen auf dasselbe Ziel hin verwendet werden, auch wenn eine
Generation im Interesse der Zukunft eine Summe von Tauschwerth als mo¬
mentanen Verlust zum Opfer bringen müßte. In einer gesund ausgebildeten
Nation müssen die Hauptproductivkräste sich gleichmäßig entwickelt haben, die
Manufacturkrast wirkt aber am mächtigsten aus die Ausbildung der Nationen,
indem sie die politische und ökonomische Selbstständigkeit und den ganzen
Compler der geistigen Güter eines Volkes am meisten fördert. Die Nationen
müssen nach Maßgabe ihrer Fortschritte mit ihren Systemen wechseln, indem
sie durch freien Hantel mit weiter vorgerückten Nationen sich aus der Barbarei
erheben und ihren Ackerbau emporbringen, hierauf ^durch Beschränkungen
das Aufkommen ihrer Manufacturen befördern und endlich auf der höchsten
Stufe des Reichthums angelangt durch allmälige Rückkehr zum Princip des
freien Handels ihre Landwirthe, Manufacturisten und Kaufleute gegen
Indolenz bewahren, Deutschland findet er auf der zweiten Stufe und fordert
daher Schutzzölle. Er bemerkt, daß die kosmopolitische Arbeitstheilung auf
der Idee eines allgemeinen und stetigen Friedens zwischen den Völkern beruhe,
welcher wol das endliche Ziel der Menschheit, doch unter gegenwärtigen Ver¬
hältnissen noch als eine Chimäre anzusehen sei. Für die Gegenwart und zu¬
gleich als das Mittel zur Erreichung jener Zukunft sei die ökonomische Ver-
selbstständigung und gleichartige Ausbildung aller Völker, die nationale Arbeits¬
theilung statt der kosmopolitischen nöthig und erst wenn diese durch das
System der Schutzzölle erreicht sei, könne die Handelsfreiheit realisirt werdcu-

Die Theoreme der französisch.n Socialisten können wir hier übergehen.
In der Kritik der frühern Meinungen haben sie manches Brauchbare zutagc-
gefördert und zu einer fruchtbaren Debatte angeregt, ihre positiven Lehren da¬
gegen tragen das Gepräge der Absurdität.


die Entwicklung Deutschlands erhielt diese Polemik erst durch Friedrich List;
ein Mann, vor dessen theoretischen Fehlgriffen wir niemals den außerordent¬
lichen Gewinn vergessen dürfen, den ihm das productive Leben unsres Vater¬
landes verdankt. List nimmt zum Ausgangspunkt für seine Theorie die Na¬
tionalität, welche als eine selbstständige Existenz, als ein eigenthümlicher
Organismus zwischen dem Individuum und der Menschheit in der Mitte steht.
Die Geschichte lehrt, daß die Individuen den größten Theil ihrer productiven
Kraft aus den gesellschaftlichen Institutionen und Zuständen schöpfen. Daher
kommt auf die Ausbildung der politischen Nationalität soviel an, daß ihrer
Forderung die wirthschaftlichen Interessen der einzelnen sich unterordnen müssen.
Die nationale Arbeitstheilung ist bedingt durch die nationale Conföderation
der Productivkräfte; in der Kraft, der Mannigfaltigkeit und dem Gleichgewicht
der letztern, nicht in der Menge der producirten Tauschwerthe, beruht der Reich¬
thum einer Nation. Die ökonomischen Kräfte der aufeinanderfolgenden Gene¬
rationen müssen auf dasselbe Ziel hin verwendet werden, auch wenn eine
Generation im Interesse der Zukunft eine Summe von Tauschwerth als mo¬
mentanen Verlust zum Opfer bringen müßte. In einer gesund ausgebildeten
Nation müssen die Hauptproductivkräste sich gleichmäßig entwickelt haben, die
Manufacturkrast wirkt aber am mächtigsten aus die Ausbildung der Nationen,
indem sie die politische und ökonomische Selbstständigkeit und den ganzen
Compler der geistigen Güter eines Volkes am meisten fördert. Die Nationen
müssen nach Maßgabe ihrer Fortschritte mit ihren Systemen wechseln, indem
sie durch freien Hantel mit weiter vorgerückten Nationen sich aus der Barbarei
erheben und ihren Ackerbau emporbringen, hierauf ^durch Beschränkungen
das Aufkommen ihrer Manufacturen befördern und endlich auf der höchsten
Stufe des Reichthums angelangt durch allmälige Rückkehr zum Princip des
freien Handels ihre Landwirthe, Manufacturisten und Kaufleute gegen
Indolenz bewahren, Deutschland findet er auf der zweiten Stufe und fordert
daher Schutzzölle. Er bemerkt, daß die kosmopolitische Arbeitstheilung auf
der Idee eines allgemeinen und stetigen Friedens zwischen den Völkern beruhe,
welcher wol das endliche Ziel der Menschheit, doch unter gegenwärtigen Ver¬
hältnissen noch als eine Chimäre anzusehen sei. Für die Gegenwart und zu¬
gleich als das Mittel zur Erreichung jener Zukunft sei die ökonomische Ver-
selbstständigung und gleichartige Ausbildung aller Völker, die nationale Arbeits¬
theilung statt der kosmopolitischen nöthig und erst wenn diese durch das
System der Schutzzölle erreicht sei, könne die Handelsfreiheit realisirt werdcu-

Die Theoreme der französisch.n Socialisten können wir hier übergehen.
In der Kritik der frühern Meinungen haben sie manches Brauchbare zutagc-
gefördert und zu einer fruchtbaren Debatte angeregt, ihre positiven Lehren da¬
gegen tragen das Gepräge der Absurdität.


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[0464] die Entwicklung Deutschlands erhielt diese Polemik erst durch Friedrich List; ein Mann, vor dessen theoretischen Fehlgriffen wir niemals den außerordent¬ lichen Gewinn vergessen dürfen, den ihm das productive Leben unsres Vater¬ landes verdankt. List nimmt zum Ausgangspunkt für seine Theorie die Na¬ tionalität, welche als eine selbstständige Existenz, als ein eigenthümlicher Organismus zwischen dem Individuum und der Menschheit in der Mitte steht. Die Geschichte lehrt, daß die Individuen den größten Theil ihrer productiven Kraft aus den gesellschaftlichen Institutionen und Zuständen schöpfen. Daher kommt auf die Ausbildung der politischen Nationalität soviel an, daß ihrer Forderung die wirthschaftlichen Interessen der einzelnen sich unterordnen müssen. Die nationale Arbeitstheilung ist bedingt durch die nationale Conföderation der Productivkräfte; in der Kraft, der Mannigfaltigkeit und dem Gleichgewicht der letztern, nicht in der Menge der producirten Tauschwerthe, beruht der Reich¬ thum einer Nation. Die ökonomischen Kräfte der aufeinanderfolgenden Gene¬ rationen müssen auf dasselbe Ziel hin verwendet werden, auch wenn eine Generation im Interesse der Zukunft eine Summe von Tauschwerth als mo¬ mentanen Verlust zum Opfer bringen müßte. In einer gesund ausgebildeten Nation müssen die Hauptproductivkräste sich gleichmäßig entwickelt haben, die Manufacturkrast wirkt aber am mächtigsten aus die Ausbildung der Nationen, indem sie die politische und ökonomische Selbstständigkeit und den ganzen Compler der geistigen Güter eines Volkes am meisten fördert. Die Nationen müssen nach Maßgabe ihrer Fortschritte mit ihren Systemen wechseln, indem sie durch freien Hantel mit weiter vorgerückten Nationen sich aus der Barbarei erheben und ihren Ackerbau emporbringen, hierauf ^durch Beschränkungen das Aufkommen ihrer Manufacturen befördern und endlich auf der höchsten Stufe des Reichthums angelangt durch allmälige Rückkehr zum Princip des freien Handels ihre Landwirthe, Manufacturisten und Kaufleute gegen Indolenz bewahren, Deutschland findet er auf der zweiten Stufe und fordert daher Schutzzölle. Er bemerkt, daß die kosmopolitische Arbeitstheilung auf der Idee eines allgemeinen und stetigen Friedens zwischen den Völkern beruhe, welcher wol das endliche Ziel der Menschheit, doch unter gegenwärtigen Ver¬ hältnissen noch als eine Chimäre anzusehen sei. Für die Gegenwart und zu¬ gleich als das Mittel zur Erreichung jener Zukunft sei die ökonomische Ver- selbstständigung und gleichartige Ausbildung aller Völker, die nationale Arbeits¬ theilung statt der kosmopolitischen nöthig und erst wenn diese durch das System der Schutzzölle erreicht sei, könne die Handelsfreiheit realisirt werdcu- Die Theoreme der französisch.n Socialisten können wir hier übergehen. In der Kritik der frühern Meinungen haben sie manches Brauchbare zutagc- gefördert und zu einer fruchtbaren Debatte angeregt, ihre positiven Lehren da¬ gegen tragen das Gepräge der Absurdität.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/464>, abgerufen am 26.05.2024.