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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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und Consequenz eines an sein Princip glaubenden Charakters darstellen muß.
Er macht sich darüber lustig, daß Cicero in der berühmten Rede den Catilina,
den er ja mit Gewalt hätte heraustreiben können, gewissermaßen beschwört, die
Stadt zu verlassen; aber er vergißt dabei, daß in diesem Augenblick die Sache
noch nicht spruchreif ist, daß in Rom trotz aller seiner Sünden noch immer die
Gesetze herrschen, die man nicht ohne weiteres durch einen Gewaltstreich ver¬
letzen darf, und er vergißt endlich, daß Catilina infolge jener Rede wirklich
geht. --- Die schwierige Aufgabe, die Senatsverhandlungen, über die wir so
ausführliche Berichte haben, dramatisch darzustellen, hat er nicht ohne Erfolg
gelöst, und wenn ihm dabei mehr die modernen Parlamentsverhandlungen vor¬
geschwebt haben, als die römische Verfassung, so ist das kein so großes Unglück.
Ein Uebelstand für das Drama ist aber, daß mit der Hinrichtung der Ver¬
schworenen die Katastrophe eigentlich zu Ende ist. Der weitere Verlauf, der
militärische Kampf ist zwar für -die Geschichte wichtig, aber im Drama läßt sich
nichts daraus machen. Um für die beiden letzten Acte wenigstens einige Span¬
nung zu behalten, hat der Verfasser eine neue-Intrigue hineingewebt, durch
die aber d5s einheitliche Interesse des Stücks keineswegs hergestellt wird. Ein
für seine Auffassung sehr günstiger Schluß wäre die Verbannung des Cicero
gewesen, mit der Rom seinen Patriotismus belohnte. Freilich wäre dann Ci¬
cero der Held geworden und nicht Catilina. Außerdem wollte diese Wendung
mit der Anordnung der Geschichte, wie er.sie beliebt, nicht passen. So begnügt
er sich denn damit, den sterbenden Catilina prophetisch verkündigen zu lassen,
daß Cäsar ihn rächen und sein Werd wieder aufnehmen werde, was doch nicht
ganz richtig ist, denn Cäsar erscheint als Repräsentant einer zugleich sittlichen
und thatsächlichen Macht, der die inhaltlosen Formen weichen müssen; die Ver¬
schwörung des Catilina dagegen als eine Krankheit, deren sich jeder Organis¬
mus erwehren muß, so gut oder so schlecht er im übrigen beschaffen sein mag.
-- Das Schwächste im Drama ist der Versuch, ein Liebesverhältniß einzu¬
mischen, dessen Farbe und Haltung mit den geschilderten Zeitumständen auf
keine Weise zusammenhängt. --


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Solange die classische Schule mit ihren drei Einheiten die französische
Bühne beherrschte, wäre es ein vergeblicher Versuch gewesen, eine Tragödie
von Schiller auf derselben darstellen zu wollen. Wir haben auf der Rundreise
der Rachel die ins Französische übersetzte Maria Stuart gesehen; es war vom
Schillerschen Stück nicht viel übriggeblieben. Seitdem aber V. Hugo die
Franzosen an die sogenannte historische Tragödie gewöhnt hat, sollte man einem
solchen Versuch wol größeren Erfolg versprechen. Trotzdem ist die gegenwärtige


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und Consequenz eines an sein Princip glaubenden Charakters darstellen muß.
Er macht sich darüber lustig, daß Cicero in der berühmten Rede den Catilina,
den er ja mit Gewalt hätte heraustreiben können, gewissermaßen beschwört, die
Stadt zu verlassen; aber er vergißt dabei, daß in diesem Augenblick die Sache
noch nicht spruchreif ist, daß in Rom trotz aller seiner Sünden noch immer die
Gesetze herrschen, die man nicht ohne weiteres durch einen Gewaltstreich ver¬
letzen darf, und er vergißt endlich, daß Catilina infolge jener Rede wirklich
geht. —- Die schwierige Aufgabe, die Senatsverhandlungen, über die wir so
ausführliche Berichte haben, dramatisch darzustellen, hat er nicht ohne Erfolg
gelöst, und wenn ihm dabei mehr die modernen Parlamentsverhandlungen vor¬
geschwebt haben, als die römische Verfassung, so ist das kein so großes Unglück.
Ein Uebelstand für das Drama ist aber, daß mit der Hinrichtung der Ver¬
schworenen die Katastrophe eigentlich zu Ende ist. Der weitere Verlauf, der
militärische Kampf ist zwar für -die Geschichte wichtig, aber im Drama läßt sich
nichts daraus machen. Um für die beiden letzten Acte wenigstens einige Span¬
nung zu behalten, hat der Verfasser eine neue-Intrigue hineingewebt, durch
die aber d5s einheitliche Interesse des Stücks keineswegs hergestellt wird. Ein
für seine Auffassung sehr günstiger Schluß wäre die Verbannung des Cicero
gewesen, mit der Rom seinen Patriotismus belohnte. Freilich wäre dann Ci¬
cero der Held geworden und nicht Catilina. Außerdem wollte diese Wendung
mit der Anordnung der Geschichte, wie er.sie beliebt, nicht passen. So begnügt
er sich denn damit, den sterbenden Catilina prophetisch verkündigen zu lassen,
daß Cäsar ihn rächen und sein Werd wieder aufnehmen werde, was doch nicht
ganz richtig ist, denn Cäsar erscheint als Repräsentant einer zugleich sittlichen
und thatsächlichen Macht, der die inhaltlosen Formen weichen müssen; die Ver¬
schwörung des Catilina dagegen als eine Krankheit, deren sich jeder Organis¬
mus erwehren muß, so gut oder so schlecht er im übrigen beschaffen sein mag.
— Das Schwächste im Drama ist der Versuch, ein Liebesverhältniß einzu¬
mischen, dessen Farbe und Haltung mit den geschilderten Zeitumständen auf
keine Weise zusammenhängt. —


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Solange die classische Schule mit ihren drei Einheiten die französische
Bühne beherrschte, wäre es ein vergeblicher Versuch gewesen, eine Tragödie
von Schiller auf derselben darstellen zu wollen. Wir haben auf der Rundreise
der Rachel die ins Französische übersetzte Maria Stuart gesehen; es war vom
Schillerschen Stück nicht viel übriggeblieben. Seitdem aber V. Hugo die
Franzosen an die sogenannte historische Tragödie gewöhnt hat, sollte man einem
solchen Versuch wol größeren Erfolg versprechen. Trotzdem ist die gegenwärtige


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[0499] und Consequenz eines an sein Princip glaubenden Charakters darstellen muß. Er macht sich darüber lustig, daß Cicero in der berühmten Rede den Catilina, den er ja mit Gewalt hätte heraustreiben können, gewissermaßen beschwört, die Stadt zu verlassen; aber er vergißt dabei, daß in diesem Augenblick die Sache noch nicht spruchreif ist, daß in Rom trotz aller seiner Sünden noch immer die Gesetze herrschen, die man nicht ohne weiteres durch einen Gewaltstreich ver¬ letzen darf, und er vergißt endlich, daß Catilina infolge jener Rede wirklich geht. —- Die schwierige Aufgabe, die Senatsverhandlungen, über die wir so ausführliche Berichte haben, dramatisch darzustellen, hat er nicht ohne Erfolg gelöst, und wenn ihm dabei mehr die modernen Parlamentsverhandlungen vor¬ geschwebt haben, als die römische Verfassung, so ist das kein so großes Unglück. Ein Uebelstand für das Drama ist aber, daß mit der Hinrichtung der Ver¬ schworenen die Katastrophe eigentlich zu Ende ist. Der weitere Verlauf, der militärische Kampf ist zwar für -die Geschichte wichtig, aber im Drama läßt sich nichts daraus machen. Um für die beiden letzten Acte wenigstens einige Span¬ nung zu behalten, hat der Verfasser eine neue-Intrigue hineingewebt, durch die aber d5s einheitliche Interesse des Stücks keineswegs hergestellt wird. Ein für seine Auffassung sehr günstiger Schluß wäre die Verbannung des Cicero gewesen, mit der Rom seinen Patriotismus belohnte. Freilich wäre dann Ci¬ cero der Held geworden und nicht Catilina. Außerdem wollte diese Wendung mit der Anordnung der Geschichte, wie er.sie beliebt, nicht passen. So begnügt er sich denn damit, den sterbenden Catilina prophetisch verkündigen zu lassen, daß Cäsar ihn rächen und sein Werd wieder aufnehmen werde, was doch nicht ganz richtig ist, denn Cäsar erscheint als Repräsentant einer zugleich sittlichen und thatsächlichen Macht, der die inhaltlosen Formen weichen müssen; die Ver¬ schwörung des Catilina dagegen als eine Krankheit, deren sich jeder Organis¬ mus erwehren muß, so gut oder so schlecht er im übrigen beschaffen sein mag. — Das Schwächste im Drama ist der Versuch, ein Liebesverhältniß einzu¬ mischen, dessen Farbe und Haltung mit den geschilderten Zeitumständen auf keine Weise zusammenhängt. — von l^iirlo«. Il'i'gLdiL imkve ,1c: 8,:>ullvl' >u>>' /Vmsclku <I I- I-, Ka> U5« ö l i ö r e. . l^le^!, l>!»'Mi>»no-^tue^. — Solange die classische Schule mit ihren drei Einheiten die französische Bühne beherrschte, wäre es ein vergeblicher Versuch gewesen, eine Tragödie von Schiller auf derselben darstellen zu wollen. Wir haben auf der Rundreise der Rachel die ins Französische übersetzte Maria Stuart gesehen; es war vom Schillerschen Stück nicht viel übriggeblieben. Seitdem aber V. Hugo die Franzosen an die sogenannte historische Tragödie gewöhnt hat, sollte man einem solchen Versuch wol größeren Erfolg versprechen. Trotzdem ist die gegenwärtige 62*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/499>, abgerufen am 06.05.2024.