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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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gehören. Einmal zeugt es von einer tüchtigen Bildung des Dichters, die sich
namentlich in dem schicklichen und reinen Stil offenbart, sodann ist es mit
Liebe zur Sache gemacht, mit ernsthaften historischen und psychologischen Stu¬
dien. Soviel sich also auch gegen dasselbe einwenden läßt und sowenig wir
glauben, daß es sich für das Theater eignen würde, so fesselt es doch bei der
Lectüre unsre Theilnahme. Der Grundfehler des Stücks ^ ist die Neigung zu
Paradorie, die nirgend so gefährlich ist, als im Drama. Daß die Zeugnisse,
die wir über Catilina besitzen, von der siegreichen Partei herrühren, die na¬
türlich alles dransetzte, um das Andenken ihres gefährlichen Feindes zu ver¬
unglimpfen; daß eine unter den vornehmsten Ständen soweit verzweigte Ver¬
schwörung nicht durch den Plan eines einzelnen Bösewichts hervorgerufen sein
konnte, sondern die innere Fäulniß des Staates und der Gesellschaft, aus der
sie hervorging, verrieth; daß der tugendhafte Geschichtschreiber jener Zeit die
Laster, die er mit soviel Beredtsamkeit schildert, aus eignen Erlebnissen am
besten kannte: -- das alles sind Thatsachen. Aber wenn Herr Kürnberger
weiter geht, wenn er sich nicht blos damit begnügt, alles Schändliche, was
in Rom im ganzen Lauf der Geschichte vorgekommen ist, mit der Verblendung
eines einseitigen Hasses in diesen Zeitraum zusammenzudrängen, wenn er aus
dem Feinde der römischen Gesellschaft, aus Catilina, gradezu einen edlen Helden
macht, der die moderne Philosophie anticipirt habe und eine allgemeine Weltrepublik
mit freier Religion und vollständiger Gleichheit und Brüderlichkeit der Menschen
habe stiften wollen, so wird dadurch nicht blos der Geschichte ins Gesicht ge¬
schlagen, sondern es wird auch die Grundlage des Dramas ausgehöhlt. Der
Fanatismus verlangt einen positiven, gewissermaßen überlieferten Inhalt, er
spricht sich nicht in Reflexionen aus, wie die folgende:


Nicht Opfer fordre ich für die Idee,
Nein, scheinen solls, daß sie sich ihnen opfert.
Deßungeachtet leucht ich allen vor
Mit dem Gedanken, der mein eigen ist;
Nur mach ich ihnen nicht, wie Schwärmer thun,
Zum obersten Beweggrund den Gedanken." u. s. w.

Selbst im Drama erregt der Dichter keinen Glauben an seine Auffassung,
denn er mag noch soviel edle und geistreiche Züge von Catilina ersinnen, er
mag noch soviel Satire gegen seine.Gegner anhäufen, er kann sich doch nicht
erwehren, in den Häuptern der senatorischen Partei, in Cicero und Cato, einen
bessern sittlichen Inhalt darzustellen, als in den Verschworenen. Aber noch
viel bedenklicher ist ein andrer Umstand. Catilina soll als Heldennatur er¬
scheinen, Cicero als Pedant. Nun hat aber ein Verschwörer, dessen weitan¬
gelegte Pläne scheitern, wenig Gelegenheit, sein Heidenthum zu entwickeln, wäh¬
rend der Dichter in Cicero wider seinen Willen die Energie, Entschlossenheit


gehören. Einmal zeugt es von einer tüchtigen Bildung des Dichters, die sich
namentlich in dem schicklichen und reinen Stil offenbart, sodann ist es mit
Liebe zur Sache gemacht, mit ernsthaften historischen und psychologischen Stu¬
dien. Soviel sich also auch gegen dasselbe einwenden läßt und sowenig wir
glauben, daß es sich für das Theater eignen würde, so fesselt es doch bei der
Lectüre unsre Theilnahme. Der Grundfehler des Stücks ^ ist die Neigung zu
Paradorie, die nirgend so gefährlich ist, als im Drama. Daß die Zeugnisse,
die wir über Catilina besitzen, von der siegreichen Partei herrühren, die na¬
türlich alles dransetzte, um das Andenken ihres gefährlichen Feindes zu ver¬
unglimpfen; daß eine unter den vornehmsten Ständen soweit verzweigte Ver¬
schwörung nicht durch den Plan eines einzelnen Bösewichts hervorgerufen sein
konnte, sondern die innere Fäulniß des Staates und der Gesellschaft, aus der
sie hervorging, verrieth; daß der tugendhafte Geschichtschreiber jener Zeit die
Laster, die er mit soviel Beredtsamkeit schildert, aus eignen Erlebnissen am
besten kannte: — das alles sind Thatsachen. Aber wenn Herr Kürnberger
weiter geht, wenn er sich nicht blos damit begnügt, alles Schändliche, was
in Rom im ganzen Lauf der Geschichte vorgekommen ist, mit der Verblendung
eines einseitigen Hasses in diesen Zeitraum zusammenzudrängen, wenn er aus
dem Feinde der römischen Gesellschaft, aus Catilina, gradezu einen edlen Helden
macht, der die moderne Philosophie anticipirt habe und eine allgemeine Weltrepublik
mit freier Religion und vollständiger Gleichheit und Brüderlichkeit der Menschen
habe stiften wollen, so wird dadurch nicht blos der Geschichte ins Gesicht ge¬
schlagen, sondern es wird auch die Grundlage des Dramas ausgehöhlt. Der
Fanatismus verlangt einen positiven, gewissermaßen überlieferten Inhalt, er
spricht sich nicht in Reflexionen aus, wie die folgende:


Nicht Opfer fordre ich für die Idee,
Nein, scheinen solls, daß sie sich ihnen opfert.
Deßungeachtet leucht ich allen vor
Mit dem Gedanken, der mein eigen ist;
Nur mach ich ihnen nicht, wie Schwärmer thun,
Zum obersten Beweggrund den Gedanken." u. s. w.

Selbst im Drama erregt der Dichter keinen Glauben an seine Auffassung,
denn er mag noch soviel edle und geistreiche Züge von Catilina ersinnen, er
mag noch soviel Satire gegen seine.Gegner anhäufen, er kann sich doch nicht
erwehren, in den Häuptern der senatorischen Partei, in Cicero und Cato, einen
bessern sittlichen Inhalt darzustellen, als in den Verschworenen. Aber noch
viel bedenklicher ist ein andrer Umstand. Catilina soll als Heldennatur er¬
scheinen, Cicero als Pedant. Nun hat aber ein Verschwörer, dessen weitan¬
gelegte Pläne scheitern, wenig Gelegenheit, sein Heidenthum zu entwickeln, wäh¬
rend der Dichter in Cicero wider seinen Willen die Energie, Entschlossenheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/498>, abgerufen am 27.05.2024.