Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

rigen kunstvollen und bewußten Spiel des schlauen Richard die Wirkung der Rolle
ausmachen. Die Partie des Othello, in welcher eine finstre Leidenschaft in all-
mäliger Steigerung bis zur höchsten dramatischen Wirkung gebracht wird, gilt
insgemein für die größte seiner Leistungen. Sie ist vortrefflich und besonnen
angelegt, und die ersten Acte machen eine reine und starke Wirkung. Auch
die Steigerung der Leidenschaft ist mit weiser Oekonomie eingerichtet und ein¬
zelne Momente der letzten Acte sind vortrefflich.

Nur tritt hier, wie in allen Scenen starker Leidenschaft, für Dawison eine
Gefahr ein; seine Mittel, sie darzustellen, sind begrenzt. Einzelne Accente,
namentlich von unterdrückter Wuth, alle gedeckten Gefühle weiß er meisterhaft
auszudrücken. Der volle Strom einer losbrechenden Glut steht ihm nicht
ebenso natürlich; er wendet dabei leicht zu viele Kunst an, in seiner Stimme,
deren Klang dann in einzelnen Momenten unschön wird, und in seiner
Mimik, welche leicht übertreibt. Bei solchen Rollen haben die Bewunderer
seines Talents, zu denen ,die Grenzboten auch gehören, die Pflicht, ihn an
das zu erinnern, was er sonst bei Auffassung seiner Charaktere in so hohem Grade
besitzt, Takt und Maß, denn niemals war die Gefahr so groß, als in unsrer
Zeit, daß sich ein starkes Talent, welches durch die Bewundrung des Publi-
cums erhoben wird, in einem Virtuosenthum verliert, dem kunstvolle Effecte
die Hauptsache werden und die Frage in den Hintergrund tritt, ob die hervor¬
gebrachten Wirkungen auch wahr und schön sind.




Das Erdbeben zu Brussa vom 28. Februar Nachmittags.

Ihre Leser kennen die Lage von Brussa am Nordfuße des bis gegen 800^
Fuß hohen Olympus.' Nächst Smyrna ist es die bedeutendste Stadt im ganzen
Kleinasien und im osmanischen Reiche überhaupt der Größe uno Einwoh"^'
zahl nach die fünfte. Es knüpft sich außer dem Interesse, welches Größe
und Reichthum verleihen, auch das eines hohen Alters und einer großen h^v-
rischen Bedeutung an diese Stadt. Den Alten war sie unter dem Namen Prussa
oder Prusa") bekannt; ich lasse es unerörtert, ob sie eine megarische Colonie
gewesen, wie die bithynischen Städte Chalcedon und Herakles (und wie Byzanz
selbst), aber sie war entschieden vor Jahrtausenden ein Mittelpunkt an der Stelle,
wo sie heute gelegen: wie eine Königin vom Hochsitze hernieder das Land weit
überschauend und beherrschend.



Nicht zu verwechseln mit BnisiaS am Pontus Euxinus und ebenfalls in Bithynien.

rigen kunstvollen und bewußten Spiel des schlauen Richard die Wirkung der Rolle
ausmachen. Die Partie des Othello, in welcher eine finstre Leidenschaft in all-
mäliger Steigerung bis zur höchsten dramatischen Wirkung gebracht wird, gilt
insgemein für die größte seiner Leistungen. Sie ist vortrefflich und besonnen
angelegt, und die ersten Acte machen eine reine und starke Wirkung. Auch
die Steigerung der Leidenschaft ist mit weiser Oekonomie eingerichtet und ein¬
zelne Momente der letzten Acte sind vortrefflich.

Nur tritt hier, wie in allen Scenen starker Leidenschaft, für Dawison eine
Gefahr ein; seine Mittel, sie darzustellen, sind begrenzt. Einzelne Accente,
namentlich von unterdrückter Wuth, alle gedeckten Gefühle weiß er meisterhaft
auszudrücken. Der volle Strom einer losbrechenden Glut steht ihm nicht
ebenso natürlich; er wendet dabei leicht zu viele Kunst an, in seiner Stimme,
deren Klang dann in einzelnen Momenten unschön wird, und in seiner
Mimik, welche leicht übertreibt. Bei solchen Rollen haben die Bewunderer
seines Talents, zu denen ,die Grenzboten auch gehören, die Pflicht, ihn an
das zu erinnern, was er sonst bei Auffassung seiner Charaktere in so hohem Grade
besitzt, Takt und Maß, denn niemals war die Gefahr so groß, als in unsrer
Zeit, daß sich ein starkes Talent, welches durch die Bewundrung des Publi-
cums erhoben wird, in einem Virtuosenthum verliert, dem kunstvolle Effecte
die Hauptsache werden und die Frage in den Hintergrund tritt, ob die hervor¬
gebrachten Wirkungen auch wahr und schön sind.




Das Erdbeben zu Brussa vom 28. Februar Nachmittags.

Ihre Leser kennen die Lage von Brussa am Nordfuße des bis gegen 800^
Fuß hohen Olympus.' Nächst Smyrna ist es die bedeutendste Stadt im ganzen
Kleinasien und im osmanischen Reiche überhaupt der Größe uno Einwoh»^'
zahl nach die fünfte. Es knüpft sich außer dem Interesse, welches Größe
und Reichthum verleihen, auch das eines hohen Alters und einer großen h^v-
rischen Bedeutung an diese Stadt. Den Alten war sie unter dem Namen Prussa
oder Prusa") bekannt; ich lasse es unerörtert, ob sie eine megarische Colonie
gewesen, wie die bithynischen Städte Chalcedon und Herakles (und wie Byzanz
selbst), aber sie war entschieden vor Jahrtausenden ein Mittelpunkt an der Stelle,
wo sie heute gelegen: wie eine Königin vom Hochsitze hernieder das Land weit
überschauend und beherrschend.



Nicht zu verwechseln mit BnisiaS am Pontus Euxinus und ebenfalls in Bithynien.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0520" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99372"/>
          <p xml:id="ID_1817" prev="#ID_1816"> rigen kunstvollen und bewußten Spiel des schlauen Richard die Wirkung der Rolle<lb/>
ausmachen. Die Partie des Othello, in welcher eine finstre Leidenschaft in all-<lb/>
mäliger Steigerung bis zur höchsten dramatischen Wirkung gebracht wird, gilt<lb/>
insgemein für die größte seiner Leistungen. Sie ist vortrefflich und besonnen<lb/>
angelegt, und die ersten Acte machen eine reine und starke Wirkung. Auch<lb/>
die Steigerung der Leidenschaft ist mit weiser Oekonomie eingerichtet und ein¬<lb/>
zelne Momente der letzten Acte sind vortrefflich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1818"> Nur tritt hier, wie in allen Scenen starker Leidenschaft, für Dawison eine<lb/>
Gefahr ein; seine Mittel, sie darzustellen, sind begrenzt. Einzelne Accente,<lb/>
namentlich von unterdrückter Wuth, alle gedeckten Gefühle weiß er meisterhaft<lb/>
auszudrücken. Der volle Strom einer losbrechenden Glut steht ihm nicht<lb/>
ebenso natürlich; er wendet dabei leicht zu viele Kunst an, in seiner Stimme,<lb/>
deren Klang dann in einzelnen Momenten unschön wird, und in seiner<lb/>
Mimik, welche leicht übertreibt. Bei solchen Rollen haben die Bewunderer<lb/>
seines Talents, zu denen ,die Grenzboten auch gehören, die Pflicht, ihn an<lb/>
das zu erinnern, was er sonst bei Auffassung seiner Charaktere in so hohem Grade<lb/>
besitzt, Takt und Maß, denn niemals war die Gefahr so groß, als in unsrer<lb/>
Zeit, daß sich ein starkes Talent, welches durch die Bewundrung des Publi-<lb/>
cums erhoben wird, in einem Virtuosenthum verliert, dem kunstvolle Effecte<lb/>
die Hauptsache werden und die Frage in den Hintergrund tritt, ob die hervor¬<lb/>
gebrachten Wirkungen auch wahr und schön sind.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das Erdbeben zu Brussa vom 28. Februar Nachmittags.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1819"> Ihre Leser kennen die Lage von Brussa am Nordfuße des bis gegen 800^<lb/>
Fuß hohen Olympus.' Nächst Smyrna ist es die bedeutendste Stadt im ganzen<lb/>
Kleinasien und im osmanischen Reiche überhaupt der Größe uno Einwoh»^'<lb/>
zahl nach die fünfte. Es knüpft sich außer dem Interesse, welches Größe<lb/>
und Reichthum verleihen, auch das eines hohen Alters und einer großen h^v-<lb/>
rischen Bedeutung an diese Stadt. Den Alten war sie unter dem Namen Prussa<lb/>
oder Prusa") bekannt; ich lasse es unerörtert, ob sie eine megarische Colonie<lb/>
gewesen, wie die bithynischen Städte Chalcedon und Herakles (und wie Byzanz<lb/>
selbst), aber sie war entschieden vor Jahrtausenden ein Mittelpunkt an der Stelle,<lb/>
wo sie heute gelegen: wie eine Königin vom Hochsitze hernieder das Land weit<lb/>
überschauend und beherrschend.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_27" place="foot"> Nicht zu verwechseln mit BnisiaS am Pontus Euxinus und ebenfalls in Bithynien.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0520] rigen kunstvollen und bewußten Spiel des schlauen Richard die Wirkung der Rolle ausmachen. Die Partie des Othello, in welcher eine finstre Leidenschaft in all- mäliger Steigerung bis zur höchsten dramatischen Wirkung gebracht wird, gilt insgemein für die größte seiner Leistungen. Sie ist vortrefflich und besonnen angelegt, und die ersten Acte machen eine reine und starke Wirkung. Auch die Steigerung der Leidenschaft ist mit weiser Oekonomie eingerichtet und ein¬ zelne Momente der letzten Acte sind vortrefflich. Nur tritt hier, wie in allen Scenen starker Leidenschaft, für Dawison eine Gefahr ein; seine Mittel, sie darzustellen, sind begrenzt. Einzelne Accente, namentlich von unterdrückter Wuth, alle gedeckten Gefühle weiß er meisterhaft auszudrücken. Der volle Strom einer losbrechenden Glut steht ihm nicht ebenso natürlich; er wendet dabei leicht zu viele Kunst an, in seiner Stimme, deren Klang dann in einzelnen Momenten unschön wird, und in seiner Mimik, welche leicht übertreibt. Bei solchen Rollen haben die Bewunderer seines Talents, zu denen ,die Grenzboten auch gehören, die Pflicht, ihn an das zu erinnern, was er sonst bei Auffassung seiner Charaktere in so hohem Grade besitzt, Takt und Maß, denn niemals war die Gefahr so groß, als in unsrer Zeit, daß sich ein starkes Talent, welches durch die Bewundrung des Publi- cums erhoben wird, in einem Virtuosenthum verliert, dem kunstvolle Effecte die Hauptsache werden und die Frage in den Hintergrund tritt, ob die hervor¬ gebrachten Wirkungen auch wahr und schön sind. Das Erdbeben zu Brussa vom 28. Februar Nachmittags. Ihre Leser kennen die Lage von Brussa am Nordfuße des bis gegen 800^ Fuß hohen Olympus.' Nächst Smyrna ist es die bedeutendste Stadt im ganzen Kleinasien und im osmanischen Reiche überhaupt der Größe uno Einwoh»^' zahl nach die fünfte. Es knüpft sich außer dem Interesse, welches Größe und Reichthum verleihen, auch das eines hohen Alters und einer großen h^v- rischen Bedeutung an diese Stadt. Den Alten war sie unter dem Namen Prussa oder Prusa") bekannt; ich lasse es unerörtert, ob sie eine megarische Colonie gewesen, wie die bithynischen Städte Chalcedon und Herakles (und wie Byzanz selbst), aber sie war entschieden vor Jahrtausenden ein Mittelpunkt an der Stelle, wo sie heute gelegen: wie eine Königin vom Hochsitze hernieder das Land weit überschauend und beherrschend. Nicht zu verwechseln mit BnisiaS am Pontus Euxinus und ebenfalls in Bithynien.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/520
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/520>, abgerufen am 06.05.2024.