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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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sie immer helfen, dem Hörer die charakteristischen Eindrücke zu machen. Wenn
Hamlet vor seiner ersten Anrede des Geistes die Hand zweimal ausstreckt und
sie zurückzieht, dann nur unarticulirte Laute hervorbringt, so wirkt das so, wie
es gemacht wird, nur befremdend, man merkt die Absicht, man steht die Arbeit.
Von den Sprechrollen Dawisons ist Mephistopheles vielleicht die glänzendste.
Mit Geist hat er sich darauf beschränkt, bei dieser undarstellbaren Partie nichts
Andres zu sein, als ein gewandter Interpret der Worte des Dichters. Seine
Maske ist sehr gut, seine Sprache und Mimik bescheiden und zweckmäßig.*).
Auch bei Franz Moor versteht er eine Mäßigung zu zeigen, welche sicher nicht
der Intention des jungen Schiller entspricht und für das Stück selbst von
zweifelhaftem Vortheil ist, weil sie auf den Charakter deo Karl drückt und das
Totalbild des ungeheuerlichen Stückes verzieht, über die aber doch dem Dar¬
steller in diesem Fall kein Vorwurf zu machen ist. Denn wo der Dichter neben
genialen Einfällen sovieles Rohe und Unverständige gemacht, wird der be¬
deutende Darsteller her einzelnen Rolle eine größere Freiheit beanspruchen
dürfen, dieselbe sich und dem Zuschauer verständlich zu machen. Er ist hier wieder der
überlegene aristokratische Geist, der in seiner Jugend von den thörichten Eltern
dem hübschen Rüpel Karl nachgesetzt und dadurch verbittert und mit seinen
mächtigen Anlagen zur Sünde geführt wurde. Was bei andern Rollen zu¬
weilen stört, die fremden Accente des Sprechens, sein scharfpointirtes Spielen
mit schroffen Absätzen und gewaltsamen Effecten, das steht dieser Rolle natürlich.

In ähnlicher Weise weiß Dawison im Carlos die schöne Dialektik des
kalten Mannes dadurch zu unterstützen, daß er den Carlos in Maske und
Färbung der Sprache als verbitterten Sonderling darstellt, der alles, was er
von Herz und Liebe hat, dem glänzenden Clavigo zutheilt. Bei allen diesen
Rollen scheint der Proceß seines Schaffells der zu sein, daß er sich für die
gewandte Rede und für die Reflexionen seiner Charaktere einen menschlichen
Hintergrund sucht, weicher sie in den Schranken ihrer Persönlichkeit so human
und liebenswürdig als möglich erscheinen läßt. Dies gilt selbst von seinem
Mephisto, an dem höchlich zu loben ist, daß er sich mehr als Schalk wie als
Dämon geberdet.

Von den geschlossenen tragischen Charakteren Dawisons. kennt Schreiber
d. A. den Richard nicht. Wenn wahr ist, waS von dieser seiner berühmten Rolle
-erzählt wird, daß besonders die drei ersten Acte eine sehr bedeutende Leistung
sein sollen, so würde das mit dem Gesagten übereinstimme", denn grade diese
Acte sind es, in denen die große Gewandtheit der Rede mit dem dazu gebs-



*) Dem Flohlied wünscht man etwas mehr Feinheit im Vortrage, grade bei seiner
Auffassung der Rolle, und der Scene mit Martha weniger groteskes Behagen. Dagegen wer¬
de" wieder die letzten Scenen, t" denen er dem Faust dämonischer gegenübertritt, sehr ver¬
ständig behandelt.

sie immer helfen, dem Hörer die charakteristischen Eindrücke zu machen. Wenn
Hamlet vor seiner ersten Anrede des Geistes die Hand zweimal ausstreckt und
sie zurückzieht, dann nur unarticulirte Laute hervorbringt, so wirkt das so, wie
es gemacht wird, nur befremdend, man merkt die Absicht, man steht die Arbeit.
Von den Sprechrollen Dawisons ist Mephistopheles vielleicht die glänzendste.
Mit Geist hat er sich darauf beschränkt, bei dieser undarstellbaren Partie nichts
Andres zu sein, als ein gewandter Interpret der Worte des Dichters. Seine
Maske ist sehr gut, seine Sprache und Mimik bescheiden und zweckmäßig.*).
Auch bei Franz Moor versteht er eine Mäßigung zu zeigen, welche sicher nicht
der Intention des jungen Schiller entspricht und für das Stück selbst von
zweifelhaftem Vortheil ist, weil sie auf den Charakter deo Karl drückt und das
Totalbild des ungeheuerlichen Stückes verzieht, über die aber doch dem Dar¬
steller in diesem Fall kein Vorwurf zu machen ist. Denn wo der Dichter neben
genialen Einfällen sovieles Rohe und Unverständige gemacht, wird der be¬
deutende Darsteller her einzelnen Rolle eine größere Freiheit beanspruchen
dürfen, dieselbe sich und dem Zuschauer verständlich zu machen. Er ist hier wieder der
überlegene aristokratische Geist, der in seiner Jugend von den thörichten Eltern
dem hübschen Rüpel Karl nachgesetzt und dadurch verbittert und mit seinen
mächtigen Anlagen zur Sünde geführt wurde. Was bei andern Rollen zu¬
weilen stört, die fremden Accente des Sprechens, sein scharfpointirtes Spielen
mit schroffen Absätzen und gewaltsamen Effecten, das steht dieser Rolle natürlich.

In ähnlicher Weise weiß Dawison im Carlos die schöne Dialektik des
kalten Mannes dadurch zu unterstützen, daß er den Carlos in Maske und
Färbung der Sprache als verbitterten Sonderling darstellt, der alles, was er
von Herz und Liebe hat, dem glänzenden Clavigo zutheilt. Bei allen diesen
Rollen scheint der Proceß seines Schaffells der zu sein, daß er sich für die
gewandte Rede und für die Reflexionen seiner Charaktere einen menschlichen
Hintergrund sucht, weicher sie in den Schranken ihrer Persönlichkeit so human
und liebenswürdig als möglich erscheinen läßt. Dies gilt selbst von seinem
Mephisto, an dem höchlich zu loben ist, daß er sich mehr als Schalk wie als
Dämon geberdet.

Von den geschlossenen tragischen Charakteren Dawisons. kennt Schreiber
d. A. den Richard nicht. Wenn wahr ist, waS von dieser seiner berühmten Rolle
-erzählt wird, daß besonders die drei ersten Acte eine sehr bedeutende Leistung
sein sollen, so würde das mit dem Gesagten übereinstimme», denn grade diese
Acte sind es, in denen die große Gewandtheit der Rede mit dem dazu gebs-



*) Dem Flohlied wünscht man etwas mehr Feinheit im Vortrage, grade bei seiner
Auffassung der Rolle, und der Scene mit Martha weniger groteskes Behagen. Dagegen wer¬
de» wieder die letzten Scenen, t» denen er dem Faust dämonischer gegenübertritt, sehr ver¬
ständig behandelt.
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[0519] sie immer helfen, dem Hörer die charakteristischen Eindrücke zu machen. Wenn Hamlet vor seiner ersten Anrede des Geistes die Hand zweimal ausstreckt und sie zurückzieht, dann nur unarticulirte Laute hervorbringt, so wirkt das so, wie es gemacht wird, nur befremdend, man merkt die Absicht, man steht die Arbeit. Von den Sprechrollen Dawisons ist Mephistopheles vielleicht die glänzendste. Mit Geist hat er sich darauf beschränkt, bei dieser undarstellbaren Partie nichts Andres zu sein, als ein gewandter Interpret der Worte des Dichters. Seine Maske ist sehr gut, seine Sprache und Mimik bescheiden und zweckmäßig.*). Auch bei Franz Moor versteht er eine Mäßigung zu zeigen, welche sicher nicht der Intention des jungen Schiller entspricht und für das Stück selbst von zweifelhaftem Vortheil ist, weil sie auf den Charakter deo Karl drückt und das Totalbild des ungeheuerlichen Stückes verzieht, über die aber doch dem Dar¬ steller in diesem Fall kein Vorwurf zu machen ist. Denn wo der Dichter neben genialen Einfällen sovieles Rohe und Unverständige gemacht, wird der be¬ deutende Darsteller her einzelnen Rolle eine größere Freiheit beanspruchen dürfen, dieselbe sich und dem Zuschauer verständlich zu machen. Er ist hier wieder der überlegene aristokratische Geist, der in seiner Jugend von den thörichten Eltern dem hübschen Rüpel Karl nachgesetzt und dadurch verbittert und mit seinen mächtigen Anlagen zur Sünde geführt wurde. Was bei andern Rollen zu¬ weilen stört, die fremden Accente des Sprechens, sein scharfpointirtes Spielen mit schroffen Absätzen und gewaltsamen Effecten, das steht dieser Rolle natürlich. In ähnlicher Weise weiß Dawison im Carlos die schöne Dialektik des kalten Mannes dadurch zu unterstützen, daß er den Carlos in Maske und Färbung der Sprache als verbitterten Sonderling darstellt, der alles, was er von Herz und Liebe hat, dem glänzenden Clavigo zutheilt. Bei allen diesen Rollen scheint der Proceß seines Schaffells der zu sein, daß er sich für die gewandte Rede und für die Reflexionen seiner Charaktere einen menschlichen Hintergrund sucht, weicher sie in den Schranken ihrer Persönlichkeit so human und liebenswürdig als möglich erscheinen läßt. Dies gilt selbst von seinem Mephisto, an dem höchlich zu loben ist, daß er sich mehr als Schalk wie als Dämon geberdet. Von den geschlossenen tragischen Charakteren Dawisons. kennt Schreiber d. A. den Richard nicht. Wenn wahr ist, waS von dieser seiner berühmten Rolle -erzählt wird, daß besonders die drei ersten Acte eine sehr bedeutende Leistung sein sollen, so würde das mit dem Gesagten übereinstimme», denn grade diese Acte sind es, in denen die große Gewandtheit der Rede mit dem dazu gebs- *) Dem Flohlied wünscht man etwas mehr Feinheit im Vortrage, grade bei seiner Auffassung der Rolle, und der Scene mit Martha weniger groteskes Behagen. Dagegen wer¬ de» wieder die letzten Scenen, t» denen er dem Faust dämonischer gegenübertritt, sehr ver¬ ständig behandelt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/519>, abgerufen am 19.05.2024.