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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Schätzung auf 13 Millionen Köpfe beläuft und 'allerdings der Auswahl ein
ganz andres Feld bietet, als sie irgend anderswo, nicht nur in Europa, sondern
auf dem ganzen Erdenrund finden würde.

Ein in türkischen Diensten stehender Offizier, der noch jüngst Gelegenheit
hatte, den russischen Batterien gegenüber zu manövriren, drückte sich in Bezug
auf die Leistungsfähigkeit der feindlichen Bespannung letzthin etwa so aus.
"Mit unsern Pferden können wir durchaus ein gleiches Resultat nicht erzielen.
Die russischen Geschütze zeigen sich kaum in weiter Ferne, so erschallt das
Trompetensignal, man sieht eine Wolke von Staub aufsteigen, aus der rasseln¬
der Lärm cntgegendröhnt, -- auf einmal macht die Staubsäule Halt, und ehe
sie sich verzogen und die Kanonen sichtbar geworden, zuckt auch sofort der
Blitz hervor und die Kugeln schlagen rechts und links von uns in den Boden.
Wenn diese Artillerie besser zu schießen vermöchte, würde sie vielleicht die beste
in der Welt sein, obwol ihr todtes Material nicht das vorzüglichste ist." So¬
weit mein Gewährsmann.

Eine Zeitlang, namentlich im letzten Jahrzehnt, ist es Mode gewesen,
die russische Macht zu verkleinern. Sicherlich hat man dadurch niemandem
mehr als dem Zaren genutzt, denn, ich wiederhole es, durch nichts wird der
Sieg über einen großen und starken Gegner mehr erschwert, als durch einen
Irrthum in Hinsicht auf seine Kräfte. Für den europäischen Continent gibt
es keinen gefährlicheren Traum, als den: daß Rußland im Kriegswesen unter
keinen Umständen den Höhenpunkt der civilisirteren Länder erreichen könne.
Nicht oft genug kann dem entgegen der warnende Ruf erhoben werden, daß es
in einzelnen Stücken schon daran ist, uns zu überholen.




Korrespondenzen.
Aus Konstantinopel.

Die Spannung, welche hier seit etwa
vierzehn Tagen in Hinsicht auf die Operationen der verbündete" Heere herrscht,
ist noch nicht am Ende, und so groß ist das Bedürfnis! nach Nachrichten im hiesigen
Publicum, und so gering der reelle Gehalt derer, die bis zur Stunde anlangten,
daß täglich neue Gerüchte am Morgen auftauchen, um schon am Abend den zahl¬
reichen Enten dieser Zeit zugetheilt zu werden.

Inmitten dieser zweifelhaften Nachrichten scheint nichtsdestoweniger eine That¬
sache festzustehen: die Vorbereitungen zum entscheidenden Ergreifen der Offensive
sind von Seiten der Verbündeten beendet, und letztere befinden sich in der Lage,
sofern sie öd,000 Mann auf der Südseite der Stadt zurücklassen, mit mindestens
100,000 Mann den Versuch zu machen, den jenseitigen Thalrand der Tschernaja
zu ersteigen: sei es nun, um sich mit der Gesammtmasse auf die Nordforts zu


Schätzung auf 13 Millionen Köpfe beläuft und 'allerdings der Auswahl ein
ganz andres Feld bietet, als sie irgend anderswo, nicht nur in Europa, sondern
auf dem ganzen Erdenrund finden würde.

Ein in türkischen Diensten stehender Offizier, der noch jüngst Gelegenheit
hatte, den russischen Batterien gegenüber zu manövriren, drückte sich in Bezug
auf die Leistungsfähigkeit der feindlichen Bespannung letzthin etwa so aus.
„Mit unsern Pferden können wir durchaus ein gleiches Resultat nicht erzielen.
Die russischen Geschütze zeigen sich kaum in weiter Ferne, so erschallt das
Trompetensignal, man sieht eine Wolke von Staub aufsteigen, aus der rasseln¬
der Lärm cntgegendröhnt, — auf einmal macht die Staubsäule Halt, und ehe
sie sich verzogen und die Kanonen sichtbar geworden, zuckt auch sofort der
Blitz hervor und die Kugeln schlagen rechts und links von uns in den Boden.
Wenn diese Artillerie besser zu schießen vermöchte, würde sie vielleicht die beste
in der Welt sein, obwol ihr todtes Material nicht das vorzüglichste ist." So¬
weit mein Gewährsmann.

Eine Zeitlang, namentlich im letzten Jahrzehnt, ist es Mode gewesen,
die russische Macht zu verkleinern. Sicherlich hat man dadurch niemandem
mehr als dem Zaren genutzt, denn, ich wiederhole es, durch nichts wird der
Sieg über einen großen und starken Gegner mehr erschwert, als durch einen
Irrthum in Hinsicht auf seine Kräfte. Für den europäischen Continent gibt
es keinen gefährlicheren Traum, als den: daß Rußland im Kriegswesen unter
keinen Umständen den Höhenpunkt der civilisirteren Länder erreichen könne.
Nicht oft genug kann dem entgegen der warnende Ruf erhoben werden, daß es
in einzelnen Stücken schon daran ist, uns zu überholen.




Korrespondenzen.
Aus Konstantinopel.

Die Spannung, welche hier seit etwa
vierzehn Tagen in Hinsicht auf die Operationen der verbündete» Heere herrscht,
ist noch nicht am Ende, und so groß ist das Bedürfnis! nach Nachrichten im hiesigen
Publicum, und so gering der reelle Gehalt derer, die bis zur Stunde anlangten,
daß täglich neue Gerüchte am Morgen auftauchen, um schon am Abend den zahl¬
reichen Enten dieser Zeit zugetheilt zu werden.

Inmitten dieser zweifelhaften Nachrichten scheint nichtsdestoweniger eine That¬
sache festzustehen: die Vorbereitungen zum entscheidenden Ergreifen der Offensive
sind von Seiten der Verbündeten beendet, und letztere befinden sich in der Lage,
sofern sie öd,000 Mann auf der Südseite der Stadt zurücklassen, mit mindestens
100,000 Mann den Versuch zu machen, den jenseitigen Thalrand der Tschernaja
zu ersteigen: sei es nun, um sich mit der Gesammtmasse auf die Nordforts zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/477>, abgerufen am 06.05.2024.