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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Der Kampf der Gelehrten um den heiligen Hippolyt.

Bei Anzeige des Werkes: Hippolyt und seine Zeit von Bunsen, ist in
diesem Blatte bereits von dem Interesse die Rede gewesen, welches sich für die
theologische Wissenschaft an diesen Namen knüpft. Seitdem ist der Streit
über den heiligen Hippolyt eine eMse evlebre geworden. Er ist deshalb vor¬
zugsweise geeignet, auch dem Laien zu zeigen, wie der kritische Geist unsrer
Wissenschaft die alten heiligen Traditionen verklärend und zersetzend überwindet,
nicht nur von dem Standpunkt der liberalen protestantischen Theologen, son¬
dern im Grunde nicht weniger von dem der wissenschaftlich gebildeten Katho¬
liken. Es ist derselbe kritische Geist, welcher zuerst das alte Bild von Homer
verflüchtigte und uns darauf nach harten Kämpfen einen tiefen leuchtenden
Einblick in das poetische Weben und Schaffen der Volksseelen verschaffte; der¬
selbe Geist, welcher Niebuhrs römische Geschichte schrieb, derselbe, welcher kühn
die Ueberlieferungen des alten und neuen Testamentes und alle historischen
Grundlagen des Christenthums zu prüfen und ihrem Werthe nach zu schätzen
unternahm, 'der Geist deutscher Wissenschaft. Denn auf der ganzen Erde ist
es bis jetzt die deutsche Nation allein, in welcher die historische Forschung diesen
freien Standpunkt erreicht hat. Sie wird einer spätern Zeit als die edelste
Blüte unsers Lebens in einer Periode erscheinen, wo das politische Gemein¬
gefühl schwach, aber die individuelle Freiheit auf geistigem Gebiet merkwürdig
groß und rein war.

Wenn der gelehrte Streit um die Seele des heiligen Hippolyt hier benutzt
^ird, um der großen Gemeinde der Gebildeten ein Beispiel zu geben von der
Methode der deutschen Wissenschaft bei Behandlung der schwierigsten historischen
Probleme, so wird es auch erlaubt sein, einige Mal tiefer in historisches Detail
einzugehen, als sonst der Zweck dieses Blattes wünschenswerth macht.

Zuerst wird es nöthig, über die Legende, die sich an den Namen des Hei¬
ligen knüpft und über das, was die frühere Kirche von ihm wußte, Näheres
in erzählen. Schon hier ist bemerkenswert!), daß die alten Kirchensagen über
den Mann sehr von einander abweichen und sich in eine ganze Reihe der ver¬
schiedenartigsten Anekdoten auflösen.


Grenzboten. III. 183ö. 31
Der Kampf der Gelehrten um den heiligen Hippolyt.

Bei Anzeige des Werkes: Hippolyt und seine Zeit von Bunsen, ist in
diesem Blatte bereits von dem Interesse die Rede gewesen, welches sich für die
theologische Wissenschaft an diesen Namen knüpft. Seitdem ist der Streit
über den heiligen Hippolyt eine eMse evlebre geworden. Er ist deshalb vor¬
zugsweise geeignet, auch dem Laien zu zeigen, wie der kritische Geist unsrer
Wissenschaft die alten heiligen Traditionen verklärend und zersetzend überwindet,
nicht nur von dem Standpunkt der liberalen protestantischen Theologen, son¬
dern im Grunde nicht weniger von dem der wissenschaftlich gebildeten Katho¬
liken. Es ist derselbe kritische Geist, welcher zuerst das alte Bild von Homer
verflüchtigte und uns darauf nach harten Kämpfen einen tiefen leuchtenden
Einblick in das poetische Weben und Schaffen der Volksseelen verschaffte; der¬
selbe Geist, welcher Niebuhrs römische Geschichte schrieb, derselbe, welcher kühn
die Ueberlieferungen des alten und neuen Testamentes und alle historischen
Grundlagen des Christenthums zu prüfen und ihrem Werthe nach zu schätzen
unternahm, 'der Geist deutscher Wissenschaft. Denn auf der ganzen Erde ist
es bis jetzt die deutsche Nation allein, in welcher die historische Forschung diesen
freien Standpunkt erreicht hat. Sie wird einer spätern Zeit als die edelste
Blüte unsers Lebens in einer Periode erscheinen, wo das politische Gemein¬
gefühl schwach, aber die individuelle Freiheit auf geistigem Gebiet merkwürdig
groß und rein war.

Wenn der gelehrte Streit um die Seele des heiligen Hippolyt hier benutzt
^ird, um der großen Gemeinde der Gebildeten ein Beispiel zu geben von der
Methode der deutschen Wissenschaft bei Behandlung der schwierigsten historischen
Probleme, so wird es auch erlaubt sein, einige Mal tiefer in historisches Detail
einzugehen, als sonst der Zweck dieses Blattes wünschenswerth macht.

Zuerst wird es nöthig, über die Legende, die sich an den Namen des Hei¬
ligen knüpft und über das, was die frühere Kirche von ihm wußte, Näheres
in erzählen. Schon hier ist bemerkenswert!), daß die alten Kirchensagen über
den Mann sehr von einander abweichen und sich in eine ganze Reihe der ver¬
schiedenartigsten Anekdoten auflösen.


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[0249] Der Kampf der Gelehrten um den heiligen Hippolyt. Bei Anzeige des Werkes: Hippolyt und seine Zeit von Bunsen, ist in diesem Blatte bereits von dem Interesse die Rede gewesen, welches sich für die theologische Wissenschaft an diesen Namen knüpft. Seitdem ist der Streit über den heiligen Hippolyt eine eMse evlebre geworden. Er ist deshalb vor¬ zugsweise geeignet, auch dem Laien zu zeigen, wie der kritische Geist unsrer Wissenschaft die alten heiligen Traditionen verklärend und zersetzend überwindet, nicht nur von dem Standpunkt der liberalen protestantischen Theologen, son¬ dern im Grunde nicht weniger von dem der wissenschaftlich gebildeten Katho¬ liken. Es ist derselbe kritische Geist, welcher zuerst das alte Bild von Homer verflüchtigte und uns darauf nach harten Kämpfen einen tiefen leuchtenden Einblick in das poetische Weben und Schaffen der Volksseelen verschaffte; der¬ selbe Geist, welcher Niebuhrs römische Geschichte schrieb, derselbe, welcher kühn die Ueberlieferungen des alten und neuen Testamentes und alle historischen Grundlagen des Christenthums zu prüfen und ihrem Werthe nach zu schätzen unternahm, 'der Geist deutscher Wissenschaft. Denn auf der ganzen Erde ist es bis jetzt die deutsche Nation allein, in welcher die historische Forschung diesen freien Standpunkt erreicht hat. Sie wird einer spätern Zeit als die edelste Blüte unsers Lebens in einer Periode erscheinen, wo das politische Gemein¬ gefühl schwach, aber die individuelle Freiheit auf geistigem Gebiet merkwürdig groß und rein war. Wenn der gelehrte Streit um die Seele des heiligen Hippolyt hier benutzt ^ird, um der großen Gemeinde der Gebildeten ein Beispiel zu geben von der Methode der deutschen Wissenschaft bei Behandlung der schwierigsten historischen Probleme, so wird es auch erlaubt sein, einige Mal tiefer in historisches Detail einzugehen, als sonst der Zweck dieses Blattes wünschenswerth macht. Zuerst wird es nöthig, über die Legende, die sich an den Namen des Hei¬ ligen knüpft und über das, was die frühere Kirche von ihm wußte, Näheres in erzählen. Schon hier ist bemerkenswert!), daß die alten Kirchensagen über den Mann sehr von einander abweichen und sich in eine ganze Reihe der ver¬ schiedenartigsten Anekdoten auflösen. Grenzboten. III. 183ö. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/249>, abgerufen am 01.05.2024.