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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Ein Wort über die bevorstehenden preußischen Wahlen.

Beim Beginn der abgelaufenen Periode der Sitzungen war ein Theil der
Opposition in der Stimmung, als wäre der preußische Parlamentarismus
hoffnungslos, oder gebe wenigstens nicht soviel Aussicht auf eine gedeihliche
Entwicklung, um den Einzelnen für seine unerfreuliche Thätigkeit in der Kam¬
mer zu entschädigen. Von den ausgezeichnetsten Führern der Opposition traten
mehre aus, und die Wahlen wurden wenigstens in einem Theil der Mon¬
archie lässig betrieben. So kam es denn, daß die Wahlen ungünstig aus¬
fielen. Die Opposition war in der Minorität, und das war um so schlimmer,
da sie aus drei ganz entgegengesetzten Elementen bestand: aus den Liberalen,
den vereinigten Katholiken und den Polen. Die beiden letztern waren sehr
unzuverlässige Bundesgenossen, und selbst da, wo sie in der Abstimmung sich
an die Liberalen anschlössen, mußte man sich häufig gestehen, daß es aus sehr
verschiedenen Gründen geschah.

Es wäre schlimm, wenn die neuen Wahlen ein ähnliches Resultat gäben.
Zwar sind die Aussichten der liberalen Partei dadurch etwas günstiger, daß
die sogenannte demokratische Partei d. h. derjenige Theil der Liberalen, die
sich bisher an dem parlamentarischen Leben Preußens nicht betheiligt hatten
zum großen Theil voraussichtlich dies Mal ein anderes Verfahren einschlagen
wird. Allein man darf den Einfluß dieser Betheiligung nicht überschätzen,
denn der Einfluß der untern Volksschicht ist bei dem gegenwärtigen Wahl¬
system ein sehr geringer, und es bleibt noch immer zweifelhaft, ob man sich
überall über die Candidaten einigen wird. Dagegen ist die Abspannung in
den Bürgerclassen noch größer geworden, und namentlich ein Punkt im Pro¬
gramm der liberalen Partei, der im vorigen Jahre im Publicum großen An¬
klang würde gefunden haben, die auswärtige Politik, würde dies Mal man¬
nigfaltigen, in der Natur der Sache begründeten Bedenken begegnen. Darum
ist es nothwendig, daß die Opposition sich darüber klar macht, worauf sie bei
der bevorstehenden Periode ihr Hauptaugenmerk zu richten habe.

Nach unsrer Ansicht soll sie die auswärtige Politik ganz und


Grenzboten. III. 1866. 51
Ein Wort über die bevorstehenden preußischen Wahlen.

Beim Beginn der abgelaufenen Periode der Sitzungen war ein Theil der
Opposition in der Stimmung, als wäre der preußische Parlamentarismus
hoffnungslos, oder gebe wenigstens nicht soviel Aussicht auf eine gedeihliche
Entwicklung, um den Einzelnen für seine unerfreuliche Thätigkeit in der Kam¬
mer zu entschädigen. Von den ausgezeichnetsten Führern der Opposition traten
mehre aus, und die Wahlen wurden wenigstens in einem Theil der Mon¬
archie lässig betrieben. So kam es denn, daß die Wahlen ungünstig aus¬
fielen. Die Opposition war in der Minorität, und das war um so schlimmer,
da sie aus drei ganz entgegengesetzten Elementen bestand: aus den Liberalen,
den vereinigten Katholiken und den Polen. Die beiden letztern waren sehr
unzuverlässige Bundesgenossen, und selbst da, wo sie in der Abstimmung sich
an die Liberalen anschlössen, mußte man sich häufig gestehen, daß es aus sehr
verschiedenen Gründen geschah.

Es wäre schlimm, wenn die neuen Wahlen ein ähnliches Resultat gäben.
Zwar sind die Aussichten der liberalen Partei dadurch etwas günstiger, daß
die sogenannte demokratische Partei d. h. derjenige Theil der Liberalen, die
sich bisher an dem parlamentarischen Leben Preußens nicht betheiligt hatten
zum großen Theil voraussichtlich dies Mal ein anderes Verfahren einschlagen
wird. Allein man darf den Einfluß dieser Betheiligung nicht überschätzen,
denn der Einfluß der untern Volksschicht ist bei dem gegenwärtigen Wahl¬
system ein sehr geringer, und es bleibt noch immer zweifelhaft, ob man sich
überall über die Candidaten einigen wird. Dagegen ist die Abspannung in
den Bürgerclassen noch größer geworden, und namentlich ein Punkt im Pro¬
gramm der liberalen Partei, der im vorigen Jahre im Publicum großen An¬
klang würde gefunden haben, die auswärtige Politik, würde dies Mal man¬
nigfaltigen, in der Natur der Sache begründeten Bedenken begegnen. Darum
ist es nothwendig, daß die Opposition sich darüber klar macht, worauf sie bei
der bevorstehenden Periode ihr Hauptaugenmerk zu richten habe.

Nach unsrer Ansicht soll sie die auswärtige Politik ganz und


Grenzboten. III. 1866. 51
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[0409] Ein Wort über die bevorstehenden preußischen Wahlen. Beim Beginn der abgelaufenen Periode der Sitzungen war ein Theil der Opposition in der Stimmung, als wäre der preußische Parlamentarismus hoffnungslos, oder gebe wenigstens nicht soviel Aussicht auf eine gedeihliche Entwicklung, um den Einzelnen für seine unerfreuliche Thätigkeit in der Kam¬ mer zu entschädigen. Von den ausgezeichnetsten Führern der Opposition traten mehre aus, und die Wahlen wurden wenigstens in einem Theil der Mon¬ archie lässig betrieben. So kam es denn, daß die Wahlen ungünstig aus¬ fielen. Die Opposition war in der Minorität, und das war um so schlimmer, da sie aus drei ganz entgegengesetzten Elementen bestand: aus den Liberalen, den vereinigten Katholiken und den Polen. Die beiden letztern waren sehr unzuverlässige Bundesgenossen, und selbst da, wo sie in der Abstimmung sich an die Liberalen anschlössen, mußte man sich häufig gestehen, daß es aus sehr verschiedenen Gründen geschah. Es wäre schlimm, wenn die neuen Wahlen ein ähnliches Resultat gäben. Zwar sind die Aussichten der liberalen Partei dadurch etwas günstiger, daß die sogenannte demokratische Partei d. h. derjenige Theil der Liberalen, die sich bisher an dem parlamentarischen Leben Preußens nicht betheiligt hatten zum großen Theil voraussichtlich dies Mal ein anderes Verfahren einschlagen wird. Allein man darf den Einfluß dieser Betheiligung nicht überschätzen, denn der Einfluß der untern Volksschicht ist bei dem gegenwärtigen Wahl¬ system ein sehr geringer, und es bleibt noch immer zweifelhaft, ob man sich überall über die Candidaten einigen wird. Dagegen ist die Abspannung in den Bürgerclassen noch größer geworden, und namentlich ein Punkt im Pro¬ gramm der liberalen Partei, der im vorigen Jahre im Publicum großen An¬ klang würde gefunden haben, die auswärtige Politik, würde dies Mal man¬ nigfaltigen, in der Natur der Sache begründeten Bedenken begegnen. Darum ist es nothwendig, daß die Opposition sich darüber klar macht, worauf sie bei der bevorstehenden Periode ihr Hauptaugenmerk zu richten habe. Nach unsrer Ansicht soll sie die auswärtige Politik ganz und Grenzboten. III. 1866. 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/409>, abgerufen am 01.05.2024.