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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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gar bei Seite lassen und sich lediglich den Fragen der innern
Politik zuwenden. Unsre Gründe dafür sind folgende.

Einmal wird voraussichtlich der Einfluß der Kammern auf die Regierung
ein sehr geringer sein. Wir haben nicht nöthig, das weiter auszuführen. In
den Fällen, wo sie auf dem Rechtsboden stehen, werden sie sich Geltung ver¬
schaffen, oder sie müssen es wenigstens versuchen; wo es sich aber um Wünsche,
Hoffnungen und dergleichen handelt, wird ihnen die Regierung eine ruhige
Ablehnung entgegensetzen. Nun hat zwar die Beschäftigung mit der großen
Politik für die Abgeordneten wie für das Publicum in der Regel den grö߬
ten Reiz, aber wenn sie eine Zeitlang ununterbrochen und ohne allen Erfolg
getrieben wird, so verliert sie sich leicht in Declamationen, und das wäre für
den ganzen Parlamentarismus ein Unglück.

Sodann ist in jedem Staat ein Einfluß der Kammern auf die auswärtige
Politik der Regierung nur dann denkbar, wenn sie von einem gewaltigen Strom
der öffentlichen Meinung getragen werden. Das ist seit dem Rücktritt Oestreichs
von der westmcichtlichen Allianz nicht mehr der Fall. Zwar sind die Sympa¬
thien des Volks noch immer für die Westmächte und gegen Rußland, aber sie
sind nicht mehr so stark, um den Wunsch zu begründen, die Segnungen des
Friedens gegen einen zweifelhaften Principienkrieg zu vertauschen. Das Bei¬
spiel Oestreichs wird noch lange sehr nachtheilig wirken. Es hat im letzten
Jahr eine ungeheure Summe ausgegeben, um im entscheidenden Augenblick
zurückzutreten. Dieser Politik gegenüber wird der bei weitem größere Theil
des Publicums die Politik des Ministeriums Manteuffel loben und preisen,
denn wenn sie auch Preußen nicht sonderlich gefördert hat, so hat sie doch auch
dem Lande kein Geld gekostet. Dabei vergißt man freilich, daß die Haltung
Preußens auf die wunderliche Wendung der östreichischen Politik wesentlich
eingewirkt hat. Aber auch das kann man dem Publicum kaum verdenken,
denn am Ende des vorigen Jahres waren die östreichischen Noten gegen
Preußen so herausfordernd, daß alle Welt davon überzeugt sein mußte, dieser
Staat werde eine unabhängige Politik verfolgen und sich von Preußen in
keiner Weise beirren lassen. Daß Oestreich diese Erwartung getäuscht hat,
gibt namentlich der persönlichen Politik des Ministerpräsidenten, von dem man
keineswegs glaubt, daß er unbedingt sür die Kreuzzeitungspartei und sür Nu߬
land ist, einen großen Vorschub, und ein Versuch, von dieser Seite seine
Politik anzugreifen, würde heute bei dem unbetheiligten Bürgerthum wenig
Anklang finden. Ja wir gehen weiter. Die Unklarheit der Situation ver¬
mehrt sich noch dadurch, daß man über das Verhältniß der Westmächte zu
Deutschland so gar keine gewisse Nachricht hat. Man hat im vorigen Jahre
immer angenommen, die Engländer und Franzosen würden durch die Größe
der Situation auch zu einer größern Auffassung bestimmt werden; sie würden


gar bei Seite lassen und sich lediglich den Fragen der innern
Politik zuwenden. Unsre Gründe dafür sind folgende.

Einmal wird voraussichtlich der Einfluß der Kammern auf die Regierung
ein sehr geringer sein. Wir haben nicht nöthig, das weiter auszuführen. In
den Fällen, wo sie auf dem Rechtsboden stehen, werden sie sich Geltung ver¬
schaffen, oder sie müssen es wenigstens versuchen; wo es sich aber um Wünsche,
Hoffnungen und dergleichen handelt, wird ihnen die Regierung eine ruhige
Ablehnung entgegensetzen. Nun hat zwar die Beschäftigung mit der großen
Politik für die Abgeordneten wie für das Publicum in der Regel den grö߬
ten Reiz, aber wenn sie eine Zeitlang ununterbrochen und ohne allen Erfolg
getrieben wird, so verliert sie sich leicht in Declamationen, und das wäre für
den ganzen Parlamentarismus ein Unglück.

Sodann ist in jedem Staat ein Einfluß der Kammern auf die auswärtige
Politik der Regierung nur dann denkbar, wenn sie von einem gewaltigen Strom
der öffentlichen Meinung getragen werden. Das ist seit dem Rücktritt Oestreichs
von der westmcichtlichen Allianz nicht mehr der Fall. Zwar sind die Sympa¬
thien des Volks noch immer für die Westmächte und gegen Rußland, aber sie
sind nicht mehr so stark, um den Wunsch zu begründen, die Segnungen des
Friedens gegen einen zweifelhaften Principienkrieg zu vertauschen. Das Bei¬
spiel Oestreichs wird noch lange sehr nachtheilig wirken. Es hat im letzten
Jahr eine ungeheure Summe ausgegeben, um im entscheidenden Augenblick
zurückzutreten. Dieser Politik gegenüber wird der bei weitem größere Theil
des Publicums die Politik des Ministeriums Manteuffel loben und preisen,
denn wenn sie auch Preußen nicht sonderlich gefördert hat, so hat sie doch auch
dem Lande kein Geld gekostet. Dabei vergißt man freilich, daß die Haltung
Preußens auf die wunderliche Wendung der östreichischen Politik wesentlich
eingewirkt hat. Aber auch das kann man dem Publicum kaum verdenken,
denn am Ende des vorigen Jahres waren die östreichischen Noten gegen
Preußen so herausfordernd, daß alle Welt davon überzeugt sein mußte, dieser
Staat werde eine unabhängige Politik verfolgen und sich von Preußen in
keiner Weise beirren lassen. Daß Oestreich diese Erwartung getäuscht hat,
gibt namentlich der persönlichen Politik des Ministerpräsidenten, von dem man
keineswegs glaubt, daß er unbedingt sür die Kreuzzeitungspartei und sür Nu߬
land ist, einen großen Vorschub, und ein Versuch, von dieser Seite seine
Politik anzugreifen, würde heute bei dem unbetheiligten Bürgerthum wenig
Anklang finden. Ja wir gehen weiter. Die Unklarheit der Situation ver¬
mehrt sich noch dadurch, daß man über das Verhältniß der Westmächte zu
Deutschland so gar keine gewisse Nachricht hat. Man hat im vorigen Jahre
immer angenommen, die Engländer und Franzosen würden durch die Größe
der Situation auch zu einer größern Auffassung bestimmt werden; sie würden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/410>, abgerufen am 16.05.2024.