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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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auch alle übrigen gebunden und nach einer bestimmten Richtung getrieben
werden. Wer sich für den stillen, allmäligen Fortschritt der Cultur überhaupt
interessirt, wird das Buch, obgleich es durchaus nichts Glänzendes bietet, nicht
ohne Befriedigung aus der Hand legen. --


Geschichte und Zustände der Deutschen in Amerika. Von Franz Löser.
Zweite Ausgabe. Göttingen, Georg H. Wigand. --

Das Werk erschien zuerst 1847 in Amerika und erregte bei den deutschen Be¬
wohnern der vereinigten Staaten ein großes Aufsehn. Der gegenwärtige Verleger
hat vollkommen recht daran gethan, es auch dem eigentlich deutschen Publi-
cum zu vermitteln, denn es geht nicht nur von einem höchst ehrenwerthen na¬
tionalen Streben aus, sondern es verbindet mit seiner Wärme auch eine große
Besonnenheit. Es war hier so leicht, den Wunsch mit der Anschauung zu
verwechseln und dem deutschen Element in den vereinigten Staaten einen
größern Einfluß zuzuschreiben, als ihm zukommt. Der Verfasser hat sich
aber niemals verleiten lassen, über die natürlichen Grenzen hinauszugehen.
Da das Buch den Zweck hat, seinen Landsleuten Lebensmuth und Widerstands¬
kraft gegen das überwiegende Aankeethum einzuflößen, so hebt es natürlich
die positiven Seiten des deutschen Lebens schärfer hervor, aber es erniedrigt
sich nie zu Schmeicheleien. Der Gegenstand verdient die ernsthafteste Aufmerk¬
samkeit aller Patrioten. Man mag die riesenmäßige Auswanderung sowol
'in Interesse des Vaterlandes, als im Interesse der Auswanderer beklagen, sie
bleibt eine Thatsache, mit der man rechnen muß. Die Gefahr, daß das deutsche
Element im amerikanischen ganz aufgeht, ist trotz der großen Masse der deutschen
Bevölkerung vorhanden, nicht wegen der Schmiegsamkeit des deutschen Cha¬
rakters gegen das Ausländische, wie man gewöhnlich annimmt, sondern weil
die deutsche Auswanderung durch ihre Ordnungslosigkeit gegen die englischen
Einwanderer im größten Nachtheil stand. Die englische Auswanderung grup-
pirte sich theils um eine nicht unbedeutende, lebenserfahrene, in sich stark zu¬
sammenhängende Aristokratie, theils um mächtige kriegslustige Parteien mit
stark religiöser Färbung. Die Masse der deutschen Auswanderer dagegen, ab¬
gesehen por einzelnen stillen Sekten, die es zu keiner großen Bedeutung bringen
konnten, bestand aus armen Leuten, die ihr Vaterland flohen, ohne eine be¬
stimmte sittliche Ordnung mitzubringen. Einen innern Halt in der eignen
Organisation zu finden , war diesen Auswanderern sehr schwer; und wenn sie
sich nicht ganz in Amerikaner verwandelten, so standen sie dem stolzen Nankee
als eine minder berechtigte Classe gegenüber, als eine Classe, mit der man
seinen Spott trieb. In der Heimath eine Stütze zu suchen, war bei der Un¬
klarheit der deutschen Verhältnisse noch weniger statthaft. Hier ist nun in
neuerer Zeit eine sehr wesentliche Aenderung eingetreten: das deutsche Selbst-


Grenzboten. III. -I8S5. ö8

auch alle übrigen gebunden und nach einer bestimmten Richtung getrieben
werden. Wer sich für den stillen, allmäligen Fortschritt der Cultur überhaupt
interessirt, wird das Buch, obgleich es durchaus nichts Glänzendes bietet, nicht
ohne Befriedigung aus der Hand legen. —


Geschichte und Zustände der Deutschen in Amerika. Von Franz Löser.
Zweite Ausgabe. Göttingen, Georg H. Wigand. —

Das Werk erschien zuerst 1847 in Amerika und erregte bei den deutschen Be¬
wohnern der vereinigten Staaten ein großes Aufsehn. Der gegenwärtige Verleger
hat vollkommen recht daran gethan, es auch dem eigentlich deutschen Publi-
cum zu vermitteln, denn es geht nicht nur von einem höchst ehrenwerthen na¬
tionalen Streben aus, sondern es verbindet mit seiner Wärme auch eine große
Besonnenheit. Es war hier so leicht, den Wunsch mit der Anschauung zu
verwechseln und dem deutschen Element in den vereinigten Staaten einen
größern Einfluß zuzuschreiben, als ihm zukommt. Der Verfasser hat sich
aber niemals verleiten lassen, über die natürlichen Grenzen hinauszugehen.
Da das Buch den Zweck hat, seinen Landsleuten Lebensmuth und Widerstands¬
kraft gegen das überwiegende Aankeethum einzuflößen, so hebt es natürlich
die positiven Seiten des deutschen Lebens schärfer hervor, aber es erniedrigt
sich nie zu Schmeicheleien. Der Gegenstand verdient die ernsthafteste Aufmerk¬
samkeit aller Patrioten. Man mag die riesenmäßige Auswanderung sowol
'in Interesse des Vaterlandes, als im Interesse der Auswanderer beklagen, sie
bleibt eine Thatsache, mit der man rechnen muß. Die Gefahr, daß das deutsche
Element im amerikanischen ganz aufgeht, ist trotz der großen Masse der deutschen
Bevölkerung vorhanden, nicht wegen der Schmiegsamkeit des deutschen Cha¬
rakters gegen das Ausländische, wie man gewöhnlich annimmt, sondern weil
die deutsche Auswanderung durch ihre Ordnungslosigkeit gegen die englischen
Einwanderer im größten Nachtheil stand. Die englische Auswanderung grup-
pirte sich theils um eine nicht unbedeutende, lebenserfahrene, in sich stark zu¬
sammenhängende Aristokratie, theils um mächtige kriegslustige Parteien mit
stark religiöser Färbung. Die Masse der deutschen Auswanderer dagegen, ab¬
gesehen por einzelnen stillen Sekten, die es zu keiner großen Bedeutung bringen
konnten, bestand aus armen Leuten, die ihr Vaterland flohen, ohne eine be¬
stimmte sittliche Ordnung mitzubringen. Einen innern Halt in der eignen
Organisation zu finden , war diesen Auswanderern sehr schwer; und wenn sie
sich nicht ganz in Amerikaner verwandelten, so standen sie dem stolzen Nankee
als eine minder berechtigte Classe gegenüber, als eine Classe, mit der man
seinen Spott trieb. In der Heimath eine Stütze zu suchen, war bei der Un¬
klarheit der deutschen Verhältnisse noch weniger statthaft. Hier ist nun in
neuerer Zeit eine sehr wesentliche Aenderung eingetreten: das deutsche Selbst-


Grenzboten. III. -I8S5. ö8
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[0465] auch alle übrigen gebunden und nach einer bestimmten Richtung getrieben werden. Wer sich für den stillen, allmäligen Fortschritt der Cultur überhaupt interessirt, wird das Buch, obgleich es durchaus nichts Glänzendes bietet, nicht ohne Befriedigung aus der Hand legen. — Geschichte und Zustände der Deutschen in Amerika. Von Franz Löser. Zweite Ausgabe. Göttingen, Georg H. Wigand. — Das Werk erschien zuerst 1847 in Amerika und erregte bei den deutschen Be¬ wohnern der vereinigten Staaten ein großes Aufsehn. Der gegenwärtige Verleger hat vollkommen recht daran gethan, es auch dem eigentlich deutschen Publi- cum zu vermitteln, denn es geht nicht nur von einem höchst ehrenwerthen na¬ tionalen Streben aus, sondern es verbindet mit seiner Wärme auch eine große Besonnenheit. Es war hier so leicht, den Wunsch mit der Anschauung zu verwechseln und dem deutschen Element in den vereinigten Staaten einen größern Einfluß zuzuschreiben, als ihm zukommt. Der Verfasser hat sich aber niemals verleiten lassen, über die natürlichen Grenzen hinauszugehen. Da das Buch den Zweck hat, seinen Landsleuten Lebensmuth und Widerstands¬ kraft gegen das überwiegende Aankeethum einzuflößen, so hebt es natürlich die positiven Seiten des deutschen Lebens schärfer hervor, aber es erniedrigt sich nie zu Schmeicheleien. Der Gegenstand verdient die ernsthafteste Aufmerk¬ samkeit aller Patrioten. Man mag die riesenmäßige Auswanderung sowol 'in Interesse des Vaterlandes, als im Interesse der Auswanderer beklagen, sie bleibt eine Thatsache, mit der man rechnen muß. Die Gefahr, daß das deutsche Element im amerikanischen ganz aufgeht, ist trotz der großen Masse der deutschen Bevölkerung vorhanden, nicht wegen der Schmiegsamkeit des deutschen Cha¬ rakters gegen das Ausländische, wie man gewöhnlich annimmt, sondern weil die deutsche Auswanderung durch ihre Ordnungslosigkeit gegen die englischen Einwanderer im größten Nachtheil stand. Die englische Auswanderung grup- pirte sich theils um eine nicht unbedeutende, lebenserfahrene, in sich stark zu¬ sammenhängende Aristokratie, theils um mächtige kriegslustige Parteien mit stark religiöser Färbung. Die Masse der deutschen Auswanderer dagegen, ab¬ gesehen por einzelnen stillen Sekten, die es zu keiner großen Bedeutung bringen konnten, bestand aus armen Leuten, die ihr Vaterland flohen, ohne eine be¬ stimmte sittliche Ordnung mitzubringen. Einen innern Halt in der eignen Organisation zu finden , war diesen Auswanderern sehr schwer; und wenn sie sich nicht ganz in Amerikaner verwandelten, so standen sie dem stolzen Nankee als eine minder berechtigte Classe gegenüber, als eine Classe, mit der man seinen Spott trieb. In der Heimath eine Stütze zu suchen, war bei der Un¬ klarheit der deutschen Verhältnisse noch weniger statthaft. Hier ist nun in neuerer Zeit eine sehr wesentliche Aenderung eingetreten: das deutsche Selbst- Grenzboten. III. -I8S5. ö8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/465>, abgerufen am 01.05.2024.