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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Kumpf der Kirche seit 1,814.

Nachdem der Strom der französischen Revolution, welcher alles Bestehende
niederzureißen drohte, in seine Ufer zurückgetrieben worden war, kam es daraus
an, die Verhältnisse Europas so zu gestalten, daß für die Zukunft keine ähn¬
liche Gefahr zu besorgen war. Diese Aufgabe zu lösen war nicht leicht. Das sah
man wol ein, daß die Wiederherstellung und neue Befestigung der Zustände,
gegen welche die Revolution gerichtet gewesen war, dem revolutionären Geist
neue Nahrung geben und das Nebel schlimmer machen werde; allein die
Schwierigkeit lag darin, die neuen Zustände anzugeben, welche an die Stelle
der al.ten treten sollten, da die Revolution den geschichtlichen Gang unter¬
brochen hatte und die neuen Zustände nicht durch die Willkür, sondern durch
das Recht begründet werden sollten. Während die eine Partei zu viel verlangte,
wollte die andre zu wenig geben und hieraus entwickelte sich ein Kampf, in
welchem der eine Theil zu behaupten suchte, soviel er konnte und der andre
zu erringen strebte, soviel er vermochte. Die Revolution dauerte im Stillen
beständig fort und brach in einzelnen Momenten offen hervor. Dieser Kampf
indessen verwirrte nur die Verhältnisse und hat am Ende eine gegenseitige
Aufreibung zur Folge, weshalb dahin gewirkt werden muß, ihm ein baldiges
Ziel zu setzen. Daß hierin eine ruhige und unparteiische Auffassung der Ge¬
schichte überhaupt und namentlich auch der Geschichte der christlichen Kirche
von Gewicht ist, versteht sich von selbst. Wir machen zu diesem Zweck auf die
kochen erschienene Schrift aufmerksam: Dr. Johann Carl Ludwig Giselers
'Urchengeschichte der neusten Zeit. Von 1814 bis auf die Gegenwart. Nach
seinem Nachlasse herausgegeben von "r. C. R. Redepenning. Bonn, bei
Adolph Ma,^ ^ '

Die Hebung des nationalen Lebens und die Herstellung eines selvstständigen
freien Kirchenthums werden mit Recht als die Centralpunkre aller Bestrebungen
unsrer Zelt angegeben; nur kommt es darauf an, daß das Nationale nicht
>in Sinne einer falschen Freiheit und die Wiederherstellung der Kirche nicht als
ein Gefangennehmen des Geistes unter den todten Buchstaben verstanden wird,
fondern daß beide nebeneinander hergehen, die Kirche mit ihrem sittlichen
Geiste das Nativnalleben durchdringt und die nationale Wissenschaft die Re-


Grenzboten. III. 18so.
Kumpf der Kirche seit 1,814.

Nachdem der Strom der französischen Revolution, welcher alles Bestehende
niederzureißen drohte, in seine Ufer zurückgetrieben worden war, kam es daraus
an, die Verhältnisse Europas so zu gestalten, daß für die Zukunft keine ähn¬
liche Gefahr zu besorgen war. Diese Aufgabe zu lösen war nicht leicht. Das sah
man wol ein, daß die Wiederherstellung und neue Befestigung der Zustände,
gegen welche die Revolution gerichtet gewesen war, dem revolutionären Geist
neue Nahrung geben und das Nebel schlimmer machen werde; allein die
Schwierigkeit lag darin, die neuen Zustände anzugeben, welche an die Stelle
der al.ten treten sollten, da die Revolution den geschichtlichen Gang unter¬
brochen hatte und die neuen Zustände nicht durch die Willkür, sondern durch
das Recht begründet werden sollten. Während die eine Partei zu viel verlangte,
wollte die andre zu wenig geben und hieraus entwickelte sich ein Kampf, in
welchem der eine Theil zu behaupten suchte, soviel er konnte und der andre
zu erringen strebte, soviel er vermochte. Die Revolution dauerte im Stillen
beständig fort und brach in einzelnen Momenten offen hervor. Dieser Kampf
indessen verwirrte nur die Verhältnisse und hat am Ende eine gegenseitige
Aufreibung zur Folge, weshalb dahin gewirkt werden muß, ihm ein baldiges
Ziel zu setzen. Daß hierin eine ruhige und unparteiische Auffassung der Ge¬
schichte überhaupt und namentlich auch der Geschichte der christlichen Kirche
von Gewicht ist, versteht sich von selbst. Wir machen zu diesem Zweck auf die
kochen erschienene Schrift aufmerksam: Dr. Johann Carl Ludwig Giselers
'Urchengeschichte der neusten Zeit. Von 1814 bis auf die Gegenwart. Nach
seinem Nachlasse herausgegeben von »r. C. R. Redepenning. Bonn, bei
Adolph Ma,^ ^ '

Die Hebung des nationalen Lebens und die Herstellung eines selvstständigen
freien Kirchenthums werden mit Recht als die Centralpunkre aller Bestrebungen
unsrer Zelt angegeben; nur kommt es darauf an, daß das Nationale nicht
>in Sinne einer falschen Freiheit und die Wiederherstellung der Kirche nicht als
ein Gefangennehmen des Geistes unter den todten Buchstaben verstanden wird,
fondern daß beide nebeneinander hergehen, die Kirche mit ihrem sittlichen
Geiste das Nativnalleben durchdringt und die nationale Wissenschaft die Re-


Grenzboten. III. 18so.
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[0049] Kumpf der Kirche seit 1,814. Nachdem der Strom der französischen Revolution, welcher alles Bestehende niederzureißen drohte, in seine Ufer zurückgetrieben worden war, kam es daraus an, die Verhältnisse Europas so zu gestalten, daß für die Zukunft keine ähn¬ liche Gefahr zu besorgen war. Diese Aufgabe zu lösen war nicht leicht. Das sah man wol ein, daß die Wiederherstellung und neue Befestigung der Zustände, gegen welche die Revolution gerichtet gewesen war, dem revolutionären Geist neue Nahrung geben und das Nebel schlimmer machen werde; allein die Schwierigkeit lag darin, die neuen Zustände anzugeben, welche an die Stelle der al.ten treten sollten, da die Revolution den geschichtlichen Gang unter¬ brochen hatte und die neuen Zustände nicht durch die Willkür, sondern durch das Recht begründet werden sollten. Während die eine Partei zu viel verlangte, wollte die andre zu wenig geben und hieraus entwickelte sich ein Kampf, in welchem der eine Theil zu behaupten suchte, soviel er konnte und der andre zu erringen strebte, soviel er vermochte. Die Revolution dauerte im Stillen beständig fort und brach in einzelnen Momenten offen hervor. Dieser Kampf indessen verwirrte nur die Verhältnisse und hat am Ende eine gegenseitige Aufreibung zur Folge, weshalb dahin gewirkt werden muß, ihm ein baldiges Ziel zu setzen. Daß hierin eine ruhige und unparteiische Auffassung der Ge¬ schichte überhaupt und namentlich auch der Geschichte der christlichen Kirche von Gewicht ist, versteht sich von selbst. Wir machen zu diesem Zweck auf die kochen erschienene Schrift aufmerksam: Dr. Johann Carl Ludwig Giselers 'Urchengeschichte der neusten Zeit. Von 1814 bis auf die Gegenwart. Nach seinem Nachlasse herausgegeben von »r. C. R. Redepenning. Bonn, bei Adolph Ma,^ ^ ' Die Hebung des nationalen Lebens und die Herstellung eines selvstständigen freien Kirchenthums werden mit Recht als die Centralpunkre aller Bestrebungen unsrer Zelt angegeben; nur kommt es darauf an, daß das Nationale nicht >in Sinne einer falschen Freiheit und die Wiederherstellung der Kirche nicht als ein Gefangennehmen des Geistes unter den todten Buchstaben verstanden wird, fondern daß beide nebeneinander hergehen, die Kirche mit ihrem sittlichen Geiste das Nativnalleben durchdringt und die nationale Wissenschaft die Re- Grenzboten. III. 18so.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/49>, abgerufen am 01.05.2024.