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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Rhein die natürliche Grenze Frankreichs sei, nicht im Stande ist, gegen die¬
selben wie gegen die Thorheiten der Demokratie einzuschreiten.

Deutschland aber mag aus diesem allen sehen, wohin eine Politik führt,
welche sich darüber nicht klar ist, daß, wie Friedrich der Große sagte: Neu¬
tralität immer die schlechteste Politik von allen ist/ daß, um Achtung bei andern
Nationen zu gewinnen, nicht ein Stillsitzen, sondern ein Handeln nothwendig
ist. Oder warum wagten jene beiden Franzosen nicht piemontcsischcs Ge¬
biet, wol aber preußisches innerhalb die natürlichen Grenzen Frankreichs zu
ziehen?

Die Wirkung derjenigen Politik, welche von Deutschland seit jetzt L0 Jah¬
ren- befolgt wurde, ist nach beiden Seiten hin gleich.

Wie die Franzosen betrachten auch die Russen Deutschland als ihr natür¬
liches Besitzthum, nur daß jene sich einen Theil zu vollem Eigenthum vindi-
ciren, diese aber das ganze als unter ihrem Schutz und Einfluß stehend an¬
sehen. Ein Beispiel neuesten Datums kann das klar machen.

Vor kurzem begegnete der Fürst Gortschakoff in Wien einem Engländer,
den er früher gekannt hatte, fragte, wie es seinem Sohne gehe. Die Antwort
ist, "derselbe sei in Hannover." ""Und weshalb?"" "Um deutsch zu lernen."
,,"('c>innert.I Lst-ve ein'on veut, raus enlever -russi?"" rief der
russische Gesandte aus.

Subject oder Object, Hammer oder Ambos -- die Mittelstellungen sind
die schlechtesten von allen. Schon der große Kurfürst hatte einst in ähnlicher
Lage geäußert: Was neutral sein heißt, habe ich schon erfahren; wenn man
schon die besten Bedingungen hat, wird man doch übel tractirt; ich habe auch
verschworen, mein Leben lang nicht neutral zu sein, und würde mein Gewissen
damit beschweren. -- Preußen sank in einen Abgrund von Unheil und Schande,
als es vor 30 Jahren diese Traditionen der großen Hoheiizollern vergaß. --
Es sind grade fünfzig Jahr, daß die Schlacht bei Jena verloren und unser
Staat zerschlagen wurde, weil er die Weisheit hatte, neutral zu bleiben und
die kämpfenden Staaten sich "abnutzen" zu lassen.




Correspondenzen.
-- Die Peroten.
Aus Konstantinopel.

Die Winter¬
saison von Per", im Gegensatz zu der von Bujukdere hat mit einer Reihe
kleiner Diners der hiesigen Diplomatie und der türkischen Würdenträger begon¬
nen. Die größeren Zusammenkünfte, zu denen sich in der Carnevalszeit die
Salons der hiesigen Gcsandtschastspalais öffnen, haben hier eine höhere Bedeutung,
als anderswo, indem sie der Gesellschaft Konstantinopels die einzige Gelegenheit zu
einer allgemeinen Vereinigung bieten. Daß dieselbe sich aus den verschiedensten


Rhein die natürliche Grenze Frankreichs sei, nicht im Stande ist, gegen die¬
selben wie gegen die Thorheiten der Demokratie einzuschreiten.

Deutschland aber mag aus diesem allen sehen, wohin eine Politik führt,
welche sich darüber nicht klar ist, daß, wie Friedrich der Große sagte: Neu¬
tralität immer die schlechteste Politik von allen ist/ daß, um Achtung bei andern
Nationen zu gewinnen, nicht ein Stillsitzen, sondern ein Handeln nothwendig
ist. Oder warum wagten jene beiden Franzosen nicht piemontcsischcs Ge¬
biet, wol aber preußisches innerhalb die natürlichen Grenzen Frankreichs zu
ziehen?

Die Wirkung derjenigen Politik, welche von Deutschland seit jetzt L0 Jah¬
ren- befolgt wurde, ist nach beiden Seiten hin gleich.

Wie die Franzosen betrachten auch die Russen Deutschland als ihr natür¬
liches Besitzthum, nur daß jene sich einen Theil zu vollem Eigenthum vindi-
ciren, diese aber das ganze als unter ihrem Schutz und Einfluß stehend an¬
sehen. Ein Beispiel neuesten Datums kann das klar machen.

Vor kurzem begegnete der Fürst Gortschakoff in Wien einem Engländer,
den er früher gekannt hatte, fragte, wie es seinem Sohne gehe. Die Antwort
ist, „derselbe sei in Hannover." „„Und weshalb?"" „Um deutsch zu lernen."
,,„('c>innert.I Lst-ve ein'on veut, raus enlever -russi?"" rief der
russische Gesandte aus.

Subject oder Object, Hammer oder Ambos — die Mittelstellungen sind
die schlechtesten von allen. Schon der große Kurfürst hatte einst in ähnlicher
Lage geäußert: Was neutral sein heißt, habe ich schon erfahren; wenn man
schon die besten Bedingungen hat, wird man doch übel tractirt; ich habe auch
verschworen, mein Leben lang nicht neutral zu sein, und würde mein Gewissen
damit beschweren. — Preußen sank in einen Abgrund von Unheil und Schande,
als es vor 30 Jahren diese Traditionen der großen Hoheiizollern vergaß. —
Es sind grade fünfzig Jahr, daß die Schlacht bei Jena verloren und unser
Staat zerschlagen wurde, weil er die Weisheit hatte, neutral zu bleiben und
die kämpfenden Staaten sich „abnutzen" zu lassen.




Correspondenzen.
— Die Peroten.
Aus Konstantinopel.

Die Winter¬
saison von Per«, im Gegensatz zu der von Bujukdere hat mit einer Reihe
kleiner Diners der hiesigen Diplomatie und der türkischen Würdenträger begon¬
nen. Die größeren Zusammenkünfte, zu denen sich in der Carnevalszeit die
Salons der hiesigen Gcsandtschastspalais öffnen, haben hier eine höhere Bedeutung,
als anderswo, indem sie der Gesellschaft Konstantinopels die einzige Gelegenheit zu
einer allgemeinen Vereinigung bieten. Daß dieselbe sich aus den verschiedensten


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[0166] Rhein die natürliche Grenze Frankreichs sei, nicht im Stande ist, gegen die¬ selben wie gegen die Thorheiten der Demokratie einzuschreiten. Deutschland aber mag aus diesem allen sehen, wohin eine Politik führt, welche sich darüber nicht klar ist, daß, wie Friedrich der Große sagte: Neu¬ tralität immer die schlechteste Politik von allen ist/ daß, um Achtung bei andern Nationen zu gewinnen, nicht ein Stillsitzen, sondern ein Handeln nothwendig ist. Oder warum wagten jene beiden Franzosen nicht piemontcsischcs Ge¬ biet, wol aber preußisches innerhalb die natürlichen Grenzen Frankreichs zu ziehen? Die Wirkung derjenigen Politik, welche von Deutschland seit jetzt L0 Jah¬ ren- befolgt wurde, ist nach beiden Seiten hin gleich. Wie die Franzosen betrachten auch die Russen Deutschland als ihr natür¬ liches Besitzthum, nur daß jene sich einen Theil zu vollem Eigenthum vindi- ciren, diese aber das ganze als unter ihrem Schutz und Einfluß stehend an¬ sehen. Ein Beispiel neuesten Datums kann das klar machen. Vor kurzem begegnete der Fürst Gortschakoff in Wien einem Engländer, den er früher gekannt hatte, fragte, wie es seinem Sohne gehe. Die Antwort ist, „derselbe sei in Hannover." „„Und weshalb?"" „Um deutsch zu lernen." ,,„('c>innert.I Lst-ve ein'on veut, raus enlever -russi?"" rief der russische Gesandte aus. Subject oder Object, Hammer oder Ambos — die Mittelstellungen sind die schlechtesten von allen. Schon der große Kurfürst hatte einst in ähnlicher Lage geäußert: Was neutral sein heißt, habe ich schon erfahren; wenn man schon die besten Bedingungen hat, wird man doch übel tractirt; ich habe auch verschworen, mein Leben lang nicht neutral zu sein, und würde mein Gewissen damit beschweren. — Preußen sank in einen Abgrund von Unheil und Schande, als es vor 30 Jahren diese Traditionen der großen Hoheiizollern vergaß. — Es sind grade fünfzig Jahr, daß die Schlacht bei Jena verloren und unser Staat zerschlagen wurde, weil er die Weisheit hatte, neutral zu bleiben und die kämpfenden Staaten sich „abnutzen" zu lassen. Correspondenzen. — Die Peroten. Aus Konstantinopel. Die Winter¬ saison von Per«, im Gegensatz zu der von Bujukdere hat mit einer Reihe kleiner Diners der hiesigen Diplomatie und der türkischen Würdenträger begon¬ nen. Die größeren Zusammenkünfte, zu denen sich in der Carnevalszeit die Salons der hiesigen Gcsandtschastspalais öffnen, haben hier eine höhere Bedeutung, als anderswo, indem sie der Gesellschaft Konstantinopels die einzige Gelegenheit zu einer allgemeinen Vereinigung bieten. Daß dieselbe sich aus den verschiedensten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/166>, abgerufen am 06.05.2024.