Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Charakteristik der alten deutschen Reichsarmee.

Es hat sich in die Heldenthaten des großen Prcußenkönigs und den
Schrecken, den die Franzosen über Deutschland brachten, im Angedenken des
Volks eine tragi-komische Figur verwebt: die deutsche Reichsarmee. Sie hat
ihren Rang in der Geschichte verdient, als ein getreues Bild des seiner Auf¬
lösung nahenden, zersplitterten, altersschwachen deutschen Reiches. -- Ueber
diese Heeresmacht, welche deutsche Duodezfürstenthümer und Kleinstädterei zu
Deutschlands Schutze ins Feld stellten, finden sich originelle Mittheilungen aus
einer Zeit: "da man kaum noch an dem doppelten Adler vor den PostHäusern
und am Trauergeläute beim Hinscheiden eines Kaisers bemerkte, daß man im
sogenannten römischen Reiche wäre," d. h. aus dem Letzttheil des vergangenen
Jahrhunderts. Wir unternahmen es, die unter patriotischen, aber längst ver-.
alledem Betrachtungen des ungenannten Zeitgenossen zerstreuten Schilderungen
zu einer militärischen Skizze zu ordnen.

"Nichts kann einem braven Deutschen kränkender sein," so lauten die
ersten Ausrufungen, "als wenn er sehen und sich beweisen lassen muß, daß die
Armee, welche den Namen der deutschen Armee oder der Reichsarmee führt,
grade unter allen Heeren in Europa das untauglichste Heer ist. Im spani¬
schen Successionskriege hat dieses Corps auch gefochten, aber man weiß wol
wie? und im siebenjährigen Kriege haben die Reichstruppen ihre Sache so
hübsch betrieben, daß man ihnen nach der Schlacht bei Roßbach den schimpf¬
lichen Namen der Reißausarmee gab, den sie leider noch in Preußen und
in andern Ländern führen. Oft bin ich recht im Ernst aus Herrn Gleim
böse gewesen, der in seinen Grenadierliedern die Herrn Schwaben,
Mainzer, Pfälzer, Paderborner und andere gar jämmerlich an den Pranger
gestellt hat. Aber leider, sie haltens gar wohl verdient und der Abzug der
Reichstruppen nach der roßbacher Schlägerei ist fast noch lächerlicher, als die
Ausreißereien im Armengcckenkriege zu den Zeiten Karls VII. von Frank¬
reich. Ein Offizier vom schwäbischen Corps sagte mir noch neulich: "er unter¬
stehe sich, mit zwei kaiserlichen oder preußischen Bataillons und etwa mit einer
einzigen Batterie von sechs Sechspfündern und zwei Haubitzen den ganzen
schwäbischen Kragen, -- so nennen die Schwaben selbst ihre Heidenschaft
-- vom Rhein bis nach Ulm zu jagen, ohne daß sich jemand umgucken würde.
Ebendies gilt von den fränkischen, rheinischen, westphälischen und den übri¬
gen Contingenten des Reichs." In diesem Tone fährt der Ungenannte fort
zu klagen, es würde in der ganzen Welt ein Schimpf sein, deutscher Soldat


27*
Charakteristik der alten deutschen Reichsarmee.

Es hat sich in die Heldenthaten des großen Prcußenkönigs und den
Schrecken, den die Franzosen über Deutschland brachten, im Angedenken des
Volks eine tragi-komische Figur verwebt: die deutsche Reichsarmee. Sie hat
ihren Rang in der Geschichte verdient, als ein getreues Bild des seiner Auf¬
lösung nahenden, zersplitterten, altersschwachen deutschen Reiches. — Ueber
diese Heeresmacht, welche deutsche Duodezfürstenthümer und Kleinstädterei zu
Deutschlands Schutze ins Feld stellten, finden sich originelle Mittheilungen aus
einer Zeit: „da man kaum noch an dem doppelten Adler vor den PostHäusern
und am Trauergeläute beim Hinscheiden eines Kaisers bemerkte, daß man im
sogenannten römischen Reiche wäre," d. h. aus dem Letzttheil des vergangenen
Jahrhunderts. Wir unternahmen es, die unter patriotischen, aber längst ver-.
alledem Betrachtungen des ungenannten Zeitgenossen zerstreuten Schilderungen
zu einer militärischen Skizze zu ordnen.

„Nichts kann einem braven Deutschen kränkender sein," so lauten die
ersten Ausrufungen, „als wenn er sehen und sich beweisen lassen muß, daß die
Armee, welche den Namen der deutschen Armee oder der Reichsarmee führt,
grade unter allen Heeren in Europa das untauglichste Heer ist. Im spani¬
schen Successionskriege hat dieses Corps auch gefochten, aber man weiß wol
wie? und im siebenjährigen Kriege haben die Reichstruppen ihre Sache so
hübsch betrieben, daß man ihnen nach der Schlacht bei Roßbach den schimpf¬
lichen Namen der Reißausarmee gab, den sie leider noch in Preußen und
in andern Ländern führen. Oft bin ich recht im Ernst aus Herrn Gleim
böse gewesen, der in seinen Grenadierliedern die Herrn Schwaben,
Mainzer, Pfälzer, Paderborner und andere gar jämmerlich an den Pranger
gestellt hat. Aber leider, sie haltens gar wohl verdient und der Abzug der
Reichstruppen nach der roßbacher Schlägerei ist fast noch lächerlicher, als die
Ausreißereien im Armengcckenkriege zu den Zeiten Karls VII. von Frank¬
reich. Ein Offizier vom schwäbischen Corps sagte mir noch neulich: „er unter¬
stehe sich, mit zwei kaiserlichen oder preußischen Bataillons und etwa mit einer
einzigen Batterie von sechs Sechspfündern und zwei Haubitzen den ganzen
schwäbischen Kragen, — so nennen die Schwaben selbst ihre Heidenschaft
— vom Rhein bis nach Ulm zu jagen, ohne daß sich jemand umgucken würde.
Ebendies gilt von den fränkischen, rheinischen, westphälischen und den übri¬
gen Contingenten des Reichs." In diesem Tone fährt der Ungenannte fort
zu klagen, es würde in der ganzen Welt ein Schimpf sein, deutscher Soldat


27*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0219" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101212"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Charakteristik der alten deutschen Reichsarmee.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_644"> Es hat sich in die Heldenthaten des großen Prcußenkönigs und den<lb/>
Schrecken, den die Franzosen über Deutschland brachten, im Angedenken des<lb/>
Volks eine tragi-komische Figur verwebt: die deutsche Reichsarmee. Sie hat<lb/>
ihren Rang in der Geschichte verdient, als ein getreues Bild des seiner Auf¬<lb/>
lösung nahenden, zersplitterten, altersschwachen deutschen Reiches. &#x2014; Ueber<lb/>
diese Heeresmacht, welche deutsche Duodezfürstenthümer und Kleinstädterei zu<lb/>
Deutschlands Schutze ins Feld stellten, finden sich originelle Mittheilungen aus<lb/>
einer Zeit: &#x201E;da man kaum noch an dem doppelten Adler vor den PostHäusern<lb/>
und am Trauergeläute beim Hinscheiden eines Kaisers bemerkte, daß man im<lb/>
sogenannten römischen Reiche wäre," d. h. aus dem Letzttheil des vergangenen<lb/>
Jahrhunderts. Wir unternahmen es, die unter patriotischen, aber längst ver-.<lb/>
alledem Betrachtungen des ungenannten Zeitgenossen zerstreuten Schilderungen<lb/>
zu einer militärischen Skizze zu ordnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_645" next="#ID_646"> &#x201E;Nichts kann einem braven Deutschen kränkender sein," so lauten die<lb/>
ersten Ausrufungen, &#x201E;als wenn er sehen und sich beweisen lassen muß, daß die<lb/>
Armee, welche den Namen der deutschen Armee oder der Reichsarmee führt,<lb/>
grade unter allen Heeren in Europa das untauglichste Heer ist. Im spani¬<lb/>
schen Successionskriege hat dieses Corps auch gefochten, aber man weiß wol<lb/>
wie? und im siebenjährigen Kriege haben die Reichstruppen ihre Sache so<lb/>
hübsch betrieben, daß man ihnen nach der Schlacht bei Roßbach den schimpf¬<lb/>
lichen Namen der Reißausarmee gab, den sie leider noch in Preußen und<lb/>
in andern Ländern führen. Oft bin ich recht im Ernst aus Herrn Gleim<lb/>
böse gewesen, der in seinen Grenadierliedern die Herrn Schwaben,<lb/>
Mainzer, Pfälzer, Paderborner und andere gar jämmerlich an den Pranger<lb/>
gestellt hat. Aber leider, sie haltens gar wohl verdient und der Abzug der<lb/>
Reichstruppen nach der roßbacher Schlägerei ist fast noch lächerlicher, als die<lb/>
Ausreißereien im Armengcckenkriege zu den Zeiten Karls VII. von Frank¬<lb/>
reich. Ein Offizier vom schwäbischen Corps sagte mir noch neulich: &#x201E;er unter¬<lb/>
stehe sich, mit zwei kaiserlichen oder preußischen Bataillons und etwa mit einer<lb/>
einzigen Batterie von sechs Sechspfündern und zwei Haubitzen den ganzen<lb/>
schwäbischen Kragen, &#x2014; so nennen die Schwaben selbst ihre Heidenschaft<lb/>
&#x2014; vom Rhein bis nach Ulm zu jagen, ohne daß sich jemand umgucken würde.<lb/>
Ebendies gilt von den fränkischen, rheinischen, westphälischen und den übri¬<lb/>
gen Contingenten des Reichs." In diesem Tone fährt der Ungenannte fort<lb/>
zu klagen, es würde in der ganzen Welt ein Schimpf sein, deutscher Soldat</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 27*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0219] Charakteristik der alten deutschen Reichsarmee. Es hat sich in die Heldenthaten des großen Prcußenkönigs und den Schrecken, den die Franzosen über Deutschland brachten, im Angedenken des Volks eine tragi-komische Figur verwebt: die deutsche Reichsarmee. Sie hat ihren Rang in der Geschichte verdient, als ein getreues Bild des seiner Auf¬ lösung nahenden, zersplitterten, altersschwachen deutschen Reiches. — Ueber diese Heeresmacht, welche deutsche Duodezfürstenthümer und Kleinstädterei zu Deutschlands Schutze ins Feld stellten, finden sich originelle Mittheilungen aus einer Zeit: „da man kaum noch an dem doppelten Adler vor den PostHäusern und am Trauergeläute beim Hinscheiden eines Kaisers bemerkte, daß man im sogenannten römischen Reiche wäre," d. h. aus dem Letzttheil des vergangenen Jahrhunderts. Wir unternahmen es, die unter patriotischen, aber längst ver-. alledem Betrachtungen des ungenannten Zeitgenossen zerstreuten Schilderungen zu einer militärischen Skizze zu ordnen. „Nichts kann einem braven Deutschen kränkender sein," so lauten die ersten Ausrufungen, „als wenn er sehen und sich beweisen lassen muß, daß die Armee, welche den Namen der deutschen Armee oder der Reichsarmee führt, grade unter allen Heeren in Europa das untauglichste Heer ist. Im spani¬ schen Successionskriege hat dieses Corps auch gefochten, aber man weiß wol wie? und im siebenjährigen Kriege haben die Reichstruppen ihre Sache so hübsch betrieben, daß man ihnen nach der Schlacht bei Roßbach den schimpf¬ lichen Namen der Reißausarmee gab, den sie leider noch in Preußen und in andern Ländern führen. Oft bin ich recht im Ernst aus Herrn Gleim böse gewesen, der in seinen Grenadierliedern die Herrn Schwaben, Mainzer, Pfälzer, Paderborner und andere gar jämmerlich an den Pranger gestellt hat. Aber leider, sie haltens gar wohl verdient und der Abzug der Reichstruppen nach der roßbacher Schlägerei ist fast noch lächerlicher, als die Ausreißereien im Armengcckenkriege zu den Zeiten Karls VII. von Frank¬ reich. Ein Offizier vom schwäbischen Corps sagte mir noch neulich: „er unter¬ stehe sich, mit zwei kaiserlichen oder preußischen Bataillons und etwa mit einer einzigen Batterie von sechs Sechspfündern und zwei Haubitzen den ganzen schwäbischen Kragen, — so nennen die Schwaben selbst ihre Heidenschaft — vom Rhein bis nach Ulm zu jagen, ohne daß sich jemand umgucken würde. Ebendies gilt von den fränkischen, rheinischen, westphälischen und den übri¬ gen Contingenten des Reichs." In diesem Tone fährt der Ungenannte fort zu klagen, es würde in der ganzen Welt ein Schimpf sein, deutscher Soldat 27*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/219
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/219>, abgerufen am 07.05.2024.