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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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versteht nur Arabisch, sein Dolmetscher nur Arabisch und Türkisch, der Dol¬
metscher der Fremden nur Türkisch und Französisch; so mußte jedes einfache
Wort doppelt übersetzt werden. Die Reisenden gaben dem Emir ihre Bewun¬
derung zu erkennen, daß er so lange gegen die Franzosen gekämpft. -- "Es
war meine Pflicht, mein Vaterland zu vertheidigen; ich würde es noch länger
gekonnt haben, wenn ich mehr Geld gehabt hätte." Wir stören Sie doch
nicht? -- "O nein, ich freue mich, Fremde zu sehen, der Tag ist ja so lang."
Dann kam die Rede auf den Krieg gegen Rußland. Abd-el-Kader erwies sich
als praktischer Mann, indem er immer zunächst nach den Geldmitteln der
kriegführenden Staaten fragte. Die Reisenden erkundigten sich naiv, für wen er in
diesem Kriege Partei nähme. Anfangs verstand Abd-el-Kader die Frage nicht,
nach deutlicherer Erfassung sagte er: Für den, auf dessen Seite das Recht
ist.---Geschichten ähnlicher Art, stets sehr unterhaltend, kommen in dem
Buch noch mehre vor. Der preußische Jurist hat übrigens eine außerordent¬
liche Theilnahme für die Türken gefaßt, und es scheint, als ob eS jedem
Reisenden so geht, der unbefangen die natürlichen Eindrücke auf sich wirken
läßt. Freilich ist mit solchen unmittelbaren Eindrücken noch nicht alles ge¬
sagt, und die Hoffnungen, die hier in Bezug auf die Culturentwicklung der
Türkei ausgesprochen werden, scheinen uns etwas voreilig zu sein. Der Ver¬
fasser stellt den Koran mit den Katechismen der verschiedenen christlichen Kon¬
fessionen in Parallele und kommt zu dem Resultat, daß die mahomedanischen
Dogmen dem Bewußtsein der Gebildeten im Abendland näher stehen, als die
christlichen. Es kommt aber nicht darauf an, was im Buche steht, sondern
was in das Fleisch und Blut der Menschen übergegangen ist; und hier dürfte
es doch wol zweckmäßiger sein, mit unsern sittlichen Ueberzeugungen auf dem
Boden fest zu wurzeln, wo wir geboren sind. Der Fanatismus der christlichen
Völker gegen die Türken konnte aufhören, sobald sie aufhörten, uns gefährlich
zu sein, und in diesem Augenblick haben sie sogar unsre lebhaftesten Sympa-'
thien, weil sie gegen denselben Feind zu kämpfen haben. Aber der Stamm ist
doch zum Untergänge bestimmt, wie jedes Volk, das nicht im Stande ist, zu
arbeiten, und all unsre Hoffnungen können nur darauf gehen, daß dieser
Untergang nicht zu einer Zeit eintritt, wo Rußland davon Gewinn zieht.




Der Feldzug der Verbündeten in BesslMbien
und seine Strategie.

Es ist eine Frage, die schon während der vorjährigen Winterruhe lebhaft
besprochen wurde und sich in der jetzigen quss neue und mit mehr Grund als


versteht nur Arabisch, sein Dolmetscher nur Arabisch und Türkisch, der Dol¬
metscher der Fremden nur Türkisch und Französisch; so mußte jedes einfache
Wort doppelt übersetzt werden. Die Reisenden gaben dem Emir ihre Bewun¬
derung zu erkennen, daß er so lange gegen die Franzosen gekämpft. — „Es
war meine Pflicht, mein Vaterland zu vertheidigen; ich würde es noch länger
gekonnt haben, wenn ich mehr Geld gehabt hätte." Wir stören Sie doch
nicht? — „O nein, ich freue mich, Fremde zu sehen, der Tag ist ja so lang."
Dann kam die Rede auf den Krieg gegen Rußland. Abd-el-Kader erwies sich
als praktischer Mann, indem er immer zunächst nach den Geldmitteln der
kriegführenden Staaten fragte. Die Reisenden erkundigten sich naiv, für wen er in
diesem Kriege Partei nähme. Anfangs verstand Abd-el-Kader die Frage nicht,
nach deutlicherer Erfassung sagte er: Für den, auf dessen Seite das Recht
ist.---Geschichten ähnlicher Art, stets sehr unterhaltend, kommen in dem
Buch noch mehre vor. Der preußische Jurist hat übrigens eine außerordent¬
liche Theilnahme für die Türken gefaßt, und es scheint, als ob eS jedem
Reisenden so geht, der unbefangen die natürlichen Eindrücke auf sich wirken
läßt. Freilich ist mit solchen unmittelbaren Eindrücken noch nicht alles ge¬
sagt, und die Hoffnungen, die hier in Bezug auf die Culturentwicklung der
Türkei ausgesprochen werden, scheinen uns etwas voreilig zu sein. Der Ver¬
fasser stellt den Koran mit den Katechismen der verschiedenen christlichen Kon¬
fessionen in Parallele und kommt zu dem Resultat, daß die mahomedanischen
Dogmen dem Bewußtsein der Gebildeten im Abendland näher stehen, als die
christlichen. Es kommt aber nicht darauf an, was im Buche steht, sondern
was in das Fleisch und Blut der Menschen übergegangen ist; und hier dürfte
es doch wol zweckmäßiger sein, mit unsern sittlichen Ueberzeugungen auf dem
Boden fest zu wurzeln, wo wir geboren sind. Der Fanatismus der christlichen
Völker gegen die Türken konnte aufhören, sobald sie aufhörten, uns gefährlich
zu sein, und in diesem Augenblick haben sie sogar unsre lebhaftesten Sympa-'
thien, weil sie gegen denselben Feind zu kämpfen haben. Aber der Stamm ist
doch zum Untergänge bestimmt, wie jedes Volk, das nicht im Stande ist, zu
arbeiten, und all unsre Hoffnungen können nur darauf gehen, daß dieser
Untergang nicht zu einer Zeit eintritt, wo Rußland davon Gewinn zieht.




Der Feldzug der Verbündeten in BesslMbien
und seine Strategie.

Es ist eine Frage, die schon während der vorjährigen Winterruhe lebhaft
besprochen wurde und sich in der jetzigen quss neue und mit mehr Grund als


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[0069] versteht nur Arabisch, sein Dolmetscher nur Arabisch und Türkisch, der Dol¬ metscher der Fremden nur Türkisch und Französisch; so mußte jedes einfache Wort doppelt übersetzt werden. Die Reisenden gaben dem Emir ihre Bewun¬ derung zu erkennen, daß er so lange gegen die Franzosen gekämpft. — „Es war meine Pflicht, mein Vaterland zu vertheidigen; ich würde es noch länger gekonnt haben, wenn ich mehr Geld gehabt hätte." Wir stören Sie doch nicht? — „O nein, ich freue mich, Fremde zu sehen, der Tag ist ja so lang." Dann kam die Rede auf den Krieg gegen Rußland. Abd-el-Kader erwies sich als praktischer Mann, indem er immer zunächst nach den Geldmitteln der kriegführenden Staaten fragte. Die Reisenden erkundigten sich naiv, für wen er in diesem Kriege Partei nähme. Anfangs verstand Abd-el-Kader die Frage nicht, nach deutlicherer Erfassung sagte er: Für den, auf dessen Seite das Recht ist.---Geschichten ähnlicher Art, stets sehr unterhaltend, kommen in dem Buch noch mehre vor. Der preußische Jurist hat übrigens eine außerordent¬ liche Theilnahme für die Türken gefaßt, und es scheint, als ob eS jedem Reisenden so geht, der unbefangen die natürlichen Eindrücke auf sich wirken läßt. Freilich ist mit solchen unmittelbaren Eindrücken noch nicht alles ge¬ sagt, und die Hoffnungen, die hier in Bezug auf die Culturentwicklung der Türkei ausgesprochen werden, scheinen uns etwas voreilig zu sein. Der Ver¬ fasser stellt den Koran mit den Katechismen der verschiedenen christlichen Kon¬ fessionen in Parallele und kommt zu dem Resultat, daß die mahomedanischen Dogmen dem Bewußtsein der Gebildeten im Abendland näher stehen, als die christlichen. Es kommt aber nicht darauf an, was im Buche steht, sondern was in das Fleisch und Blut der Menschen übergegangen ist; und hier dürfte es doch wol zweckmäßiger sein, mit unsern sittlichen Ueberzeugungen auf dem Boden fest zu wurzeln, wo wir geboren sind. Der Fanatismus der christlichen Völker gegen die Türken konnte aufhören, sobald sie aufhörten, uns gefährlich zu sein, und in diesem Augenblick haben sie sogar unsre lebhaftesten Sympa-' thien, weil sie gegen denselben Feind zu kämpfen haben. Aber der Stamm ist doch zum Untergänge bestimmt, wie jedes Volk, das nicht im Stande ist, zu arbeiten, und all unsre Hoffnungen können nur darauf gehen, daß dieser Untergang nicht zu einer Zeit eintritt, wo Rußland davon Gewinn zieht. Der Feldzug der Verbündeten in BesslMbien und seine Strategie. Es ist eine Frage, die schon während der vorjährigen Winterruhe lebhaft besprochen wurde und sich in der jetzigen quss neue und mit mehr Grund als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/69>, abgerufen am 07.05.2024.