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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Zur Literatur der Dämonologie.

Unter den moralischen Epidemien, welche das Menschengeschlecht zu ver¬
schiedenen Zeiten heimgesucht haben, ist der Glaube an Hererei gewiß eine der
seltsamsten, wie er durch die aus ihm hervorgehenden Herenversolgungen, zu den
traurigsten Resultaten führte. Nachdem er sich gleich einem finstern Schalten
durch das ganze Mittelalter durchgezogen, zeigte er sich kurz vor dem Augenblick,
wo er der wachsenden Intelligenz erlag oder, von ihrem Lichte verscheucht, in die
untersten Schichten deS Pöbels sich zurückzog, mit verdoppelter Jntenstvität.
Bis gegen das Ende des siebzehnten Jahrhunderts war keine alte Frau, wenn
sie nur recht häßlich war, ihres Lebens sicher, da man annahm, daß der böse
Feind, aus einem angebornen Mangel an ästhetischem Sinn sich vorzugsweise die
mißgestaltetsten Werkzeuge aussuche; der Herenvroceß bildete einen der wich¬
tigsten Theile der Criminalpraris, und in England, wo die Krankheit mit be¬
sonderer Wuth grassirte, war sogar ein eigner Generalhcrenfinder angestellt,
der sich von Amtswegen mit der Untersuchung aller Fälle beschäftigen mußte,
in welchen man diabolische Einflüsse witterte. Auf die Entdeckung eiger "Ver¬
bündeten des Satan" wurde ein Preis von zwanzig Schilling gesetzt, und es
fehlte natürlich von nun an nicht an Leuten, die sich mit aller Energie einem
so lucrativen Handwerk widmeten. Ein einziger Denunciant, der später in
Schottland wegen Meineides gehangen ward, bekannte, daß er zweihundertund¬
zwanzig Frauen auf solche Weise ums Leben gebracht habe; in Esser wurden
auf das Zeugniß eines gewissen Hopkins in einem einzigen Jahr mehr als
^chzig vermeintliche Hexen hingerichtet, und die Gesammtzahl der armen alten
Weiber, die auf Grund dieser abgeschmackten^ Anklagen einen oft von grau¬
samen Qualen begleiteten Tod erlitten, wird von einem gleichzeitigen Autor
auf 3---zooo angegeben.

Von England aus siedelte die Herenriecherei nach der neuen Welt über,
wo manche Umstände sich vereinigten, ihr Umsichgreifen zu begünstigen. Von
ihrem Vaterlande getrennt, aus allen ihren heimathlichen Verhältnissen heraus¬
gerissen und auf eine fremde Küste geworfen, wo sie unter einem rauhen Himmel
und ohne die Hilfsmittel der modernen Cultur mit den Mühseligkeiten und
Entbehrungen des Colonistenlebens zu kämpfen hatten; von wilden Jndianer-


GreKzbvten. II- 21
Zur Literatur der Dämonologie.

Unter den moralischen Epidemien, welche das Menschengeschlecht zu ver¬
schiedenen Zeiten heimgesucht haben, ist der Glaube an Hererei gewiß eine der
seltsamsten, wie er durch die aus ihm hervorgehenden Herenversolgungen, zu den
traurigsten Resultaten führte. Nachdem er sich gleich einem finstern Schalten
durch das ganze Mittelalter durchgezogen, zeigte er sich kurz vor dem Augenblick,
wo er der wachsenden Intelligenz erlag oder, von ihrem Lichte verscheucht, in die
untersten Schichten deS Pöbels sich zurückzog, mit verdoppelter Jntenstvität.
Bis gegen das Ende des siebzehnten Jahrhunderts war keine alte Frau, wenn
sie nur recht häßlich war, ihres Lebens sicher, da man annahm, daß der böse
Feind, aus einem angebornen Mangel an ästhetischem Sinn sich vorzugsweise die
mißgestaltetsten Werkzeuge aussuche; der Herenvroceß bildete einen der wich¬
tigsten Theile der Criminalpraris, und in England, wo die Krankheit mit be¬
sonderer Wuth grassirte, war sogar ein eigner Generalhcrenfinder angestellt,
der sich von Amtswegen mit der Untersuchung aller Fälle beschäftigen mußte,
in welchen man diabolische Einflüsse witterte. Auf die Entdeckung eiger „Ver¬
bündeten des Satan" wurde ein Preis von zwanzig Schilling gesetzt, und es
fehlte natürlich von nun an nicht an Leuten, die sich mit aller Energie einem
so lucrativen Handwerk widmeten. Ein einziger Denunciant, der später in
Schottland wegen Meineides gehangen ward, bekannte, daß er zweihundertund¬
zwanzig Frauen auf solche Weise ums Leben gebracht habe; in Esser wurden
auf das Zeugniß eines gewissen Hopkins in einem einzigen Jahr mehr als
^chzig vermeintliche Hexen hingerichtet, und die Gesammtzahl der armen alten
Weiber, die auf Grund dieser abgeschmackten^ Anklagen einen oft von grau¬
samen Qualen begleiteten Tod erlitten, wird von einem gleichzeitigen Autor
auf 3-—zooo angegeben.

Von England aus siedelte die Herenriecherei nach der neuen Welt über,
wo manche Umstände sich vereinigten, ihr Umsichgreifen zu begünstigen. Von
ihrem Vaterlande getrennt, aus allen ihren heimathlichen Verhältnissen heraus¬
gerissen und auf eine fremde Küste geworfen, wo sie unter einem rauhen Himmel
und ohne die Hilfsmittel der modernen Cultur mit den Mühseligkeiten und
Entbehrungen des Colonistenlebens zu kämpfen hatten; von wilden Jndianer-


GreKzbvten. II- 21
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[0169] Zur Literatur der Dämonologie. Unter den moralischen Epidemien, welche das Menschengeschlecht zu ver¬ schiedenen Zeiten heimgesucht haben, ist der Glaube an Hererei gewiß eine der seltsamsten, wie er durch die aus ihm hervorgehenden Herenversolgungen, zu den traurigsten Resultaten führte. Nachdem er sich gleich einem finstern Schalten durch das ganze Mittelalter durchgezogen, zeigte er sich kurz vor dem Augenblick, wo er der wachsenden Intelligenz erlag oder, von ihrem Lichte verscheucht, in die untersten Schichten deS Pöbels sich zurückzog, mit verdoppelter Jntenstvität. Bis gegen das Ende des siebzehnten Jahrhunderts war keine alte Frau, wenn sie nur recht häßlich war, ihres Lebens sicher, da man annahm, daß der böse Feind, aus einem angebornen Mangel an ästhetischem Sinn sich vorzugsweise die mißgestaltetsten Werkzeuge aussuche; der Herenvroceß bildete einen der wich¬ tigsten Theile der Criminalpraris, und in England, wo die Krankheit mit be¬ sonderer Wuth grassirte, war sogar ein eigner Generalhcrenfinder angestellt, der sich von Amtswegen mit der Untersuchung aller Fälle beschäftigen mußte, in welchen man diabolische Einflüsse witterte. Auf die Entdeckung eiger „Ver¬ bündeten des Satan" wurde ein Preis von zwanzig Schilling gesetzt, und es fehlte natürlich von nun an nicht an Leuten, die sich mit aller Energie einem so lucrativen Handwerk widmeten. Ein einziger Denunciant, der später in Schottland wegen Meineides gehangen ward, bekannte, daß er zweihundertund¬ zwanzig Frauen auf solche Weise ums Leben gebracht habe; in Esser wurden auf das Zeugniß eines gewissen Hopkins in einem einzigen Jahr mehr als ^chzig vermeintliche Hexen hingerichtet, und die Gesammtzahl der armen alten Weiber, die auf Grund dieser abgeschmackten^ Anklagen einen oft von grau¬ samen Qualen begleiteten Tod erlitten, wird von einem gleichzeitigen Autor auf 3-—zooo angegeben. Von England aus siedelte die Herenriecherei nach der neuen Welt über, wo manche Umstände sich vereinigten, ihr Umsichgreifen zu begünstigen. Von ihrem Vaterlande getrennt, aus allen ihren heimathlichen Verhältnissen heraus¬ gerissen und auf eine fremde Küste geworfen, wo sie unter einem rauhen Himmel und ohne die Hilfsmittel der modernen Cultur mit den Mühseligkeiten und Entbehrungen des Colonistenlebens zu kämpfen hatten; von wilden Jndianer- GreKzbvten. II- 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/169>, abgerufen am 04.05.2024.