Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

auf die geistvolle und durchgreifende Kritik der blittersdorfschen Ideen auf¬
merksam.

Zum Schluß möchten wir die Frage stellen, ob der Widerspruch zwischen
unsern Ansichten und denen eines Mannes, dessen Wort für uns Autorität
sein sollte, nicht blos ein scheinbarer sein sollte. Geht es nicht mit dem speci¬
fischen Preußenthum wie mit jedem Nationalgefühl, welches in seinen Ueber¬
treibungen lächerlich und verwerflich, in seinem Innern dennoch den Keim seiner
Zukunft enthält? Ist- das specifische Preußenthum wirklich dem deutschen
Nationalgefühl feindselig? Man lese in Goethes Wahrheit und Dichtung, wie
sein Vater, der wackere Reichstädter, wie er selbst von Preußen dachte. Män¬
ner wie Herrn von Ploto können wir noch immer gebrauchen; was schadet
es, daß sie zugleich Junker sind? Die Schlacht bei Roßbach gehört doch zu
unserm Nationalschatz, ja so seltsam es klingt, die Schlacht bei Leuthen ge¬
hört auch dazu. Was den specifischen Berliner betrifft, so denkt über ihn
jeder nichtberlinische Preuße grade ebenso, wie der Sachse, der Schwabe u. s. w.,
und die gerlachsche Partei ist, wie wir gezeigt, nichts weniger als preußisch.
Im gegenwärtigen Augenblick an eine Bundesreform zu denken, wäre eine
Thorheit, und der Zeitpunkt mag noch sehr fern liegen, wo überhaupt daran
gedacht werden kann. Ebendarum ist es wichtig, uns während dieser Muße,
wo die Entwürfe feiern, über unsre Vorstellungen zu verständigen. Die
schwarzweiße Fahne hat stets zur Ehre Deutschlands geweht, und alle Achtung
vor der burschenschaftlichen Tricolore, eine Geschichte hat sie noch nicht.




Bilder ans der deutschen Vergangenheit.
Seelenkämpfe eines Jünglings und sein Eintritt ins Kloster,
-1510.

Die ungeheure Bewegung, welche am Anfange des 16. Jahrhunderts in
die Seele des deutschen Volks kam und durch die Thätigkeit der Reformatoren
geregelt und beherrscht wurde, übt noch jetzt, nach vierthalb Jahrhunderten,
unen unwiderstehlichen Zauber auf jeden aus, der diese Vergangenheit näher
betrachtet. Niemals, so lange das deutsche Volk lebt, hat sein innerstes Wesen
steh so rein, so großartig und so rührend offenbart, als in dem Kampfe gegen
gemüthlosen Despotismus, welchen die römische Kirche damals ausübte.
Alle schönen Eigenschaften unsres Gemüthes und Charakters treten in dieser
Zeit in Blüthe: Begeisterung, Hingebung, Opferfreudigkeit, ein tiefer sittlicher
Zorn und die ernste Freude an systematischem, consequenten Denken. Es war
das erste Mal, daß durch die Macht des Gedankens das Volk in allen seinen


auf die geistvolle und durchgreifende Kritik der blittersdorfschen Ideen auf¬
merksam.

Zum Schluß möchten wir die Frage stellen, ob der Widerspruch zwischen
unsern Ansichten und denen eines Mannes, dessen Wort für uns Autorität
sein sollte, nicht blos ein scheinbarer sein sollte. Geht es nicht mit dem speci¬
fischen Preußenthum wie mit jedem Nationalgefühl, welches in seinen Ueber¬
treibungen lächerlich und verwerflich, in seinem Innern dennoch den Keim seiner
Zukunft enthält? Ist- das specifische Preußenthum wirklich dem deutschen
Nationalgefühl feindselig? Man lese in Goethes Wahrheit und Dichtung, wie
sein Vater, der wackere Reichstädter, wie er selbst von Preußen dachte. Män¬
ner wie Herrn von Ploto können wir noch immer gebrauchen; was schadet
es, daß sie zugleich Junker sind? Die Schlacht bei Roßbach gehört doch zu
unserm Nationalschatz, ja so seltsam es klingt, die Schlacht bei Leuthen ge¬
hört auch dazu. Was den specifischen Berliner betrifft, so denkt über ihn
jeder nichtberlinische Preuße grade ebenso, wie der Sachse, der Schwabe u. s. w.,
und die gerlachsche Partei ist, wie wir gezeigt, nichts weniger als preußisch.
Im gegenwärtigen Augenblick an eine Bundesreform zu denken, wäre eine
Thorheit, und der Zeitpunkt mag noch sehr fern liegen, wo überhaupt daran
gedacht werden kann. Ebendarum ist es wichtig, uns während dieser Muße,
wo die Entwürfe feiern, über unsre Vorstellungen zu verständigen. Die
schwarzweiße Fahne hat stets zur Ehre Deutschlands geweht, und alle Achtung
vor der burschenschaftlichen Tricolore, eine Geschichte hat sie noch nicht.




Bilder ans der deutschen Vergangenheit.
Seelenkämpfe eines Jünglings und sein Eintritt ins Kloster,
-1510.

Die ungeheure Bewegung, welche am Anfange des 16. Jahrhunderts in
die Seele des deutschen Volks kam und durch die Thätigkeit der Reformatoren
geregelt und beherrscht wurde, übt noch jetzt, nach vierthalb Jahrhunderten,
unen unwiderstehlichen Zauber auf jeden aus, der diese Vergangenheit näher
betrachtet. Niemals, so lange das deutsche Volk lebt, hat sein innerstes Wesen
steh so rein, so großartig und so rührend offenbart, als in dem Kampfe gegen
gemüthlosen Despotismus, welchen die römische Kirche damals ausübte.
Alle schönen Eigenschaften unsres Gemüthes und Charakters treten in dieser
Zeit in Blüthe: Begeisterung, Hingebung, Opferfreudigkeit, ein tiefer sittlicher
Zorn und die ernste Freude an systematischem, consequenten Denken. Es war
das erste Mal, daß durch die Macht des Gedankens das Volk in allen seinen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0301" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101828"/>
          <p xml:id="ID_770" prev="#ID_769"> auf die geistvolle und durchgreifende Kritik der blittersdorfschen Ideen auf¬<lb/>
merksam.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_771"> Zum Schluß möchten wir die Frage stellen, ob der Widerspruch zwischen<lb/>
unsern Ansichten und denen eines Mannes, dessen Wort für uns Autorität<lb/>
sein sollte, nicht blos ein scheinbarer sein sollte. Geht es nicht mit dem speci¬<lb/>
fischen Preußenthum wie mit jedem Nationalgefühl, welches in seinen Ueber¬<lb/>
treibungen lächerlich und verwerflich, in seinem Innern dennoch den Keim seiner<lb/>
Zukunft enthält? Ist- das specifische Preußenthum wirklich dem deutschen<lb/>
Nationalgefühl feindselig? Man lese in Goethes Wahrheit und Dichtung, wie<lb/>
sein Vater, der wackere Reichstädter, wie er selbst von Preußen dachte. Män¬<lb/>
ner wie Herrn von Ploto können wir noch immer gebrauchen; was schadet<lb/>
es, daß sie zugleich Junker sind? Die Schlacht bei Roßbach gehört doch zu<lb/>
unserm Nationalschatz, ja so seltsam es klingt, die Schlacht bei Leuthen ge¬<lb/>
hört auch dazu. Was den specifischen Berliner betrifft, so denkt über ihn<lb/>
jeder nichtberlinische Preuße grade ebenso, wie der Sachse, der Schwabe u. s. w.,<lb/>
und die gerlachsche Partei ist, wie wir gezeigt, nichts weniger als preußisch.<lb/>
Im gegenwärtigen Augenblick an eine Bundesreform zu denken, wäre eine<lb/>
Thorheit, und der Zeitpunkt mag noch sehr fern liegen, wo überhaupt daran<lb/>
gedacht werden kann. Ebendarum ist es wichtig, uns während dieser Muße,<lb/>
wo die Entwürfe feiern, über unsre Vorstellungen zu verständigen. Die<lb/>
schwarzweiße Fahne hat stets zur Ehre Deutschlands geweht, und alle Achtung<lb/>
vor der burschenschaftlichen Tricolore, eine Geschichte hat sie noch nicht.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Bilder ans der deutschen Vergangenheit.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Seelenkämpfe eines Jünglings und sein Eintritt ins Kloster,<lb/>
-1510.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_772" next="#ID_773"> Die ungeheure Bewegung, welche am Anfange des 16. Jahrhunderts in<lb/>
die Seele des deutschen Volks kam und durch die Thätigkeit der Reformatoren<lb/>
geregelt und beherrscht wurde, übt noch jetzt, nach vierthalb Jahrhunderten,<lb/>
unen unwiderstehlichen Zauber auf jeden aus, der diese Vergangenheit näher<lb/>
betrachtet. Niemals, so lange das deutsche Volk lebt, hat sein innerstes Wesen<lb/>
steh so rein, so großartig und so rührend offenbart, als in dem Kampfe gegen<lb/>
gemüthlosen Despotismus, welchen die römische Kirche damals ausübte.<lb/>
Alle schönen Eigenschaften unsres Gemüthes und Charakters treten in dieser<lb/>
Zeit in Blüthe: Begeisterung, Hingebung, Opferfreudigkeit, ein tiefer sittlicher<lb/>
Zorn und die ernste Freude an systematischem, consequenten Denken. Es war<lb/>
das erste Mal, daß durch die Macht des Gedankens das Volk in allen seinen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0301] auf die geistvolle und durchgreifende Kritik der blittersdorfschen Ideen auf¬ merksam. Zum Schluß möchten wir die Frage stellen, ob der Widerspruch zwischen unsern Ansichten und denen eines Mannes, dessen Wort für uns Autorität sein sollte, nicht blos ein scheinbarer sein sollte. Geht es nicht mit dem speci¬ fischen Preußenthum wie mit jedem Nationalgefühl, welches in seinen Ueber¬ treibungen lächerlich und verwerflich, in seinem Innern dennoch den Keim seiner Zukunft enthält? Ist- das specifische Preußenthum wirklich dem deutschen Nationalgefühl feindselig? Man lese in Goethes Wahrheit und Dichtung, wie sein Vater, der wackere Reichstädter, wie er selbst von Preußen dachte. Män¬ ner wie Herrn von Ploto können wir noch immer gebrauchen; was schadet es, daß sie zugleich Junker sind? Die Schlacht bei Roßbach gehört doch zu unserm Nationalschatz, ja so seltsam es klingt, die Schlacht bei Leuthen ge¬ hört auch dazu. Was den specifischen Berliner betrifft, so denkt über ihn jeder nichtberlinische Preuße grade ebenso, wie der Sachse, der Schwabe u. s. w., und die gerlachsche Partei ist, wie wir gezeigt, nichts weniger als preußisch. Im gegenwärtigen Augenblick an eine Bundesreform zu denken, wäre eine Thorheit, und der Zeitpunkt mag noch sehr fern liegen, wo überhaupt daran gedacht werden kann. Ebendarum ist es wichtig, uns während dieser Muße, wo die Entwürfe feiern, über unsre Vorstellungen zu verständigen. Die schwarzweiße Fahne hat stets zur Ehre Deutschlands geweht, und alle Achtung vor der burschenschaftlichen Tricolore, eine Geschichte hat sie noch nicht. Bilder ans der deutschen Vergangenheit. Seelenkämpfe eines Jünglings und sein Eintritt ins Kloster, -1510. Die ungeheure Bewegung, welche am Anfange des 16. Jahrhunderts in die Seele des deutschen Volks kam und durch die Thätigkeit der Reformatoren geregelt und beherrscht wurde, übt noch jetzt, nach vierthalb Jahrhunderten, unen unwiderstehlichen Zauber auf jeden aus, der diese Vergangenheit näher betrachtet. Niemals, so lange das deutsche Volk lebt, hat sein innerstes Wesen steh so rein, so großartig und so rührend offenbart, als in dem Kampfe gegen gemüthlosen Despotismus, welchen die römische Kirche damals ausübte. Alle schönen Eigenschaften unsres Gemüthes und Charakters treten in dieser Zeit in Blüthe: Begeisterung, Hingebung, Opferfreudigkeit, ein tiefer sittlicher Zorn und die ernste Freude an systematischem, consequenten Denken. Es war das erste Mal, daß durch die Macht des Gedankens das Volk in allen seinen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/301
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/301>, abgerufen am 03.05.2024.