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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Mit dieser Schilderung wird zwar zunächst die gerlachsche Partei gemeint;
aber einmal entbehren mehre dieser Vorwürfe der Begründung, z, B. die Ab¬
neigung gegen Oestreich ist gewiß nicht das charakteristische Kennzeichen der
neupreußischen Partei; sodann passen mehre von jenen Ideen nicht blos auf
die Neupreußen: den Gedanken z. B., daß ein Staat nur diejenigen Elemente
aufnehmen soll, die er, um das naturhistorische Bild beizubehalten, verdauen
kann, adoptiren auch wir, auch wir halten es sür ein Unglück, daß Preußen
die Rheinprovinz erhielt und nicht etwa Hannover, und hier möchten wir an
Gagern eine best-laute Frage stellen. Gesetzt, im Jahr I8tü hätten es die
Umstände dahin gebracht, daß Hannover, Oldenburg und Mecklenburg preußisch
wurden, anstatt Rheinland, Westphalen u, s. w,, ständen wir dann dem ge¬
meinsamen Ziele näher oder ferner? -- Diejenigen Männer, die damals die
Geschicke der Völker entschieden, haben darüber grade so gedacht, wie wir. Sie
wußten sehr wohl, warum sie den preußischen Staat so und nicht anders con-
struirten. -- Wir lassen diese Deduction, die sich jeder selbst ergänzen kann,
bei Seite und wiederholen statt dessen unsre alte These: die Basis der Ein¬
heitsidee ist der Wunsch, einem souveränen, mächtigen und einheitlichen Staat
anzugehören, und die Herstellung dieses Staats wird nur dadurch möglich, daß
eine Kraft eintritt, auf die man sicher rechnen kann.

Noch einen Punkt müssen wir hervorheben: das Verhältniß zu Oestreich.
Heinrich von Gagern setzt auseinander, daß durch die projectirte Reichsverfassung
(Herstellung eines außeröstreichisch-deutschen Kaiserstaats mit Fortbestehen pes
allgemeinen Bundes) Oestreich nicht wäre geschwächt, sondern gekräftigt wor¬
den, denn sein eigentlicher Feind, das specifische Preußenthum wäre dadurch
unterdrückt worden, und in der auswärtigen Politik des Staatenbundes hätte
Oestreich das entscheidende Wort gesprochen, während bei dem Fortbestehen der
bisherigen Verfassung das specifische Preußenthum immer mehr verstärkt und
das preußische Interesse für Deutschland maßgebend werden muß. -- Heinrich
von Gagern ist eine zu offene, gerade und souveräne Natur, als daß wir nicht
glauben sollten, diese Ansichten, auf denen er noch heute beharrt, seien seine
volle begründete Ueberzeugung. Aber die östreichischen Staatsmänner haben
diese Ueberzeugung nicht getheilt, und wir vermögen es auch nicht. Daß in
dem neu zu bildenden Bundesstaat das specifische Preußenthum nickt unter¬
drückt, daß er nicht in das Schlepptau der östreichischen Politik genommen
werden sollte, dafür wäre schon gesorgt worden. -- Aber der Gedanke eines
Einverständnisses mit Oestreich ist ein fruchtbarer, ein nicht zu umgehender,
und wir sind noch heute der Ansicht, daß es Mittel und Wege gibt, in Bezug
auf eine Reform der Bundesverfassung ein Einverständnis; zwischen Oestreich
und Preußen herbeizuführen. -- Wir haben unsern Raum bereits überschritten,
wir verzichten daher auf eine weitere Ausführung und machen nur "och


Mit dieser Schilderung wird zwar zunächst die gerlachsche Partei gemeint;
aber einmal entbehren mehre dieser Vorwürfe der Begründung, z, B. die Ab¬
neigung gegen Oestreich ist gewiß nicht das charakteristische Kennzeichen der
neupreußischen Partei; sodann passen mehre von jenen Ideen nicht blos auf
die Neupreußen: den Gedanken z. B., daß ein Staat nur diejenigen Elemente
aufnehmen soll, die er, um das naturhistorische Bild beizubehalten, verdauen
kann, adoptiren auch wir, auch wir halten es sür ein Unglück, daß Preußen
die Rheinprovinz erhielt und nicht etwa Hannover, und hier möchten wir an
Gagern eine best-laute Frage stellen. Gesetzt, im Jahr I8tü hätten es die
Umstände dahin gebracht, daß Hannover, Oldenburg und Mecklenburg preußisch
wurden, anstatt Rheinland, Westphalen u, s. w,, ständen wir dann dem ge¬
meinsamen Ziele näher oder ferner? — Diejenigen Männer, die damals die
Geschicke der Völker entschieden, haben darüber grade so gedacht, wie wir. Sie
wußten sehr wohl, warum sie den preußischen Staat so und nicht anders con-
struirten. — Wir lassen diese Deduction, die sich jeder selbst ergänzen kann,
bei Seite und wiederholen statt dessen unsre alte These: die Basis der Ein¬
heitsidee ist der Wunsch, einem souveränen, mächtigen und einheitlichen Staat
anzugehören, und die Herstellung dieses Staats wird nur dadurch möglich, daß
eine Kraft eintritt, auf die man sicher rechnen kann.

Noch einen Punkt müssen wir hervorheben: das Verhältniß zu Oestreich.
Heinrich von Gagern setzt auseinander, daß durch die projectirte Reichsverfassung
(Herstellung eines außeröstreichisch-deutschen Kaiserstaats mit Fortbestehen pes
allgemeinen Bundes) Oestreich nicht wäre geschwächt, sondern gekräftigt wor¬
den, denn sein eigentlicher Feind, das specifische Preußenthum wäre dadurch
unterdrückt worden, und in der auswärtigen Politik des Staatenbundes hätte
Oestreich das entscheidende Wort gesprochen, während bei dem Fortbestehen der
bisherigen Verfassung das specifische Preußenthum immer mehr verstärkt und
das preußische Interesse für Deutschland maßgebend werden muß. — Heinrich
von Gagern ist eine zu offene, gerade und souveräne Natur, als daß wir nicht
glauben sollten, diese Ansichten, auf denen er noch heute beharrt, seien seine
volle begründete Ueberzeugung. Aber die östreichischen Staatsmänner haben
diese Ueberzeugung nicht getheilt, und wir vermögen es auch nicht. Daß in
dem neu zu bildenden Bundesstaat das specifische Preußenthum nickt unter¬
drückt, daß er nicht in das Schlepptau der östreichischen Politik genommen
werden sollte, dafür wäre schon gesorgt worden. — Aber der Gedanke eines
Einverständnisses mit Oestreich ist ein fruchtbarer, ein nicht zu umgehender,
und wir sind noch heute der Ansicht, daß es Mittel und Wege gibt, in Bezug
auf eine Reform der Bundesverfassung ein Einverständnis; zwischen Oestreich
und Preußen herbeizuführen. — Wir haben unsern Raum bereits überschritten,
wir verzichten daher auf eine weitere Ausführung und machen nur »och


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/300>, abgerufen am 21.05.2024.