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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Pariser Brief.

Der pariser Congreß ist nahe am Ende seiner Laufbahn angekommen und
es stellt sich schon jetzt heraus, was wir in unsrem jüngsten Schreiben gesagt,
daß der Friede, dem wir entgegensehen, die größte Wahlverwandtschaft mit dem
Kriege haben werde, der ihm vorausgegangen war. Dies wird dem Leser
noch deutlicher werden, wenn wir den Stand der Verhandlungen betrachten,
insofern sich dieselben auf Fragen beziehen, die nicht unmittelbar Gegenstand des
Friedensvertrages sind. Dies gibt uns zugleich Gelegenheit, unsrem Versprechen
nachzukommen und unsern Lesern auseinanderzusetzen, so gut dies jetzt schon
thunlich ist, was im Interesse Sardiniens und Italiens versucht wurde.

Sowob- Frankreich als England haben den Wunsch, ihren tapfern Bundes¬
genossen zu belohnen und Italien ihre Sympathien zu bezeigen, und sie würden
ihren Willen auch sofort bethätigt haben, wenn nicht selbst in dem beschränk¬
ten Kreise, den man sich im vorhineinausgesteckt hatte, Oestreich und der
Papst als ebenso begreifliche wie natürliche Hindernisse aufgetreten wären. Eng¬
land, wie sich das erwarten ließ, zeigte sich bereitwillig, über die Rücksichten
hinauszugehen, welche die päpstliche Herrschaft Frankreich empfiehlt. Es
wollte dem Papst die Legationen einfach weggenommen und dem Königreich
Sardinien hinzugefügt wissen. Die Gründe, welche für diese Veränderung
geltend gemacht wurden, sind plausibel genug. Der Papst, so sagte England,
sei nicht im Stande, dies hat die Erfahrung gelehrt, die Legationen gehörig zu
regieren und die östreichsche Besetzung derselben, welche beiden Westmächten
gleich unangenehm ist, könnte sofort aufhören. Die fortwährenden Bestrebungen
der Bevölkerung in, den Legationen nach freiheitlichen Institutionen würden in
dem constitutionellen Regime Sardiniens Genugthuung finden und Mazzini,
überhaupt die Revolution, eine große Anzahl von Anhängern verlieren. Es
wäre genau zu erwägen, meinte Lord Clarendon, daß, wenn Sardinien ohne
Vortheil aus diesem Kampfe hervorginge, dies genügen würde, die revolutionäre
Partei in Italien, welche gegen den Anschluß Piemonts an die Westmächte
gearbeitet hatte, in den Augen des Landes zu heben.

In dieser factischen Auseinandersetzung fortfahrend fügen wir hinzu, daß
Graf Walewski Frankreichs Sympathien für Italien in sehr warmen Worten
ausdrückte, so wie auch die Bereitwilligkeit, dieselben zu bethätigen. Die von
England vorgeschlagene Veränderung wurde jedoch kurzweg zurückgewiesen. Die
Ursache liegt nahe. Der Kaiser hatte seit Monaten am päpstlichen Hofe arbei¬
ten lassen, um den heiligen Vater zur Uebernahme der Taufpathenstelle beim
Kinde des Kaisers zu bewegen. Dieser hatte kurz vor dem Zusammentritt
des Congresses oder gleichzeitig mit demselben eingewilligt, obgleich auf eine für
Frankreich demüthigende Weise, indem der Papst nicht selbst' nach Paris zu


Pariser Brief.

Der pariser Congreß ist nahe am Ende seiner Laufbahn angekommen und
es stellt sich schon jetzt heraus, was wir in unsrem jüngsten Schreiben gesagt,
daß der Friede, dem wir entgegensehen, die größte Wahlverwandtschaft mit dem
Kriege haben werde, der ihm vorausgegangen war. Dies wird dem Leser
noch deutlicher werden, wenn wir den Stand der Verhandlungen betrachten,
insofern sich dieselben auf Fragen beziehen, die nicht unmittelbar Gegenstand des
Friedensvertrages sind. Dies gibt uns zugleich Gelegenheit, unsrem Versprechen
nachzukommen und unsern Lesern auseinanderzusetzen, so gut dies jetzt schon
thunlich ist, was im Interesse Sardiniens und Italiens versucht wurde.

Sowob- Frankreich als England haben den Wunsch, ihren tapfern Bundes¬
genossen zu belohnen und Italien ihre Sympathien zu bezeigen, und sie würden
ihren Willen auch sofort bethätigt haben, wenn nicht selbst in dem beschränk¬
ten Kreise, den man sich im vorhineinausgesteckt hatte, Oestreich und der
Papst als ebenso begreifliche wie natürliche Hindernisse aufgetreten wären. Eng¬
land, wie sich das erwarten ließ, zeigte sich bereitwillig, über die Rücksichten
hinauszugehen, welche die päpstliche Herrschaft Frankreich empfiehlt. Es
wollte dem Papst die Legationen einfach weggenommen und dem Königreich
Sardinien hinzugefügt wissen. Die Gründe, welche für diese Veränderung
geltend gemacht wurden, sind plausibel genug. Der Papst, so sagte England,
sei nicht im Stande, dies hat die Erfahrung gelehrt, die Legationen gehörig zu
regieren und die östreichsche Besetzung derselben, welche beiden Westmächten
gleich unangenehm ist, könnte sofort aufhören. Die fortwährenden Bestrebungen
der Bevölkerung in, den Legationen nach freiheitlichen Institutionen würden in
dem constitutionellen Regime Sardiniens Genugthuung finden und Mazzini,
überhaupt die Revolution, eine große Anzahl von Anhängern verlieren. Es
wäre genau zu erwägen, meinte Lord Clarendon, daß, wenn Sardinien ohne
Vortheil aus diesem Kampfe hervorginge, dies genügen würde, die revolutionäre
Partei in Italien, welche gegen den Anschluß Piemonts an die Westmächte
gearbeitet hatte, in den Augen des Landes zu heben.

In dieser factischen Auseinandersetzung fortfahrend fügen wir hinzu, daß
Graf Walewski Frankreichs Sympathien für Italien in sehr warmen Worten
ausdrückte, so wie auch die Bereitwilligkeit, dieselben zu bethätigen. Die von
England vorgeschlagene Veränderung wurde jedoch kurzweg zurückgewiesen. Die
Ursache liegt nahe. Der Kaiser hatte seit Monaten am päpstlichen Hofe arbei¬
ten lassen, um den heiligen Vater zur Uebernahme der Taufpathenstelle beim
Kinde des Kaisers zu bewegen. Dieser hatte kurz vor dem Zusammentritt
des Congresses oder gleichzeitig mit demselben eingewilligt, obgleich auf eine für
Frankreich demüthigende Weise, indem der Papst nicht selbst' nach Paris zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/40>, abgerufen am 03.05.2024.