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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Blumenkränze, die sie an den Totenfesten schmückten, die Wohlgerüche, deren
Dust hier aufstieg, um uns glauben zu machen, daß sie eben erst errichtet
worden seien. Die Sitte der Alten, ihre Gräber vor den Thoren der Städte
längs der Landstraße anzulegen, ist bekannt. Daher rühren "uf den antiken
Grabschriften die stehenden Anreden an den Wandrer; man wünschte, daß d.e
Abgeschiedenen im Gedächtniß der Nachkommen gleichsam eine zweite Enstenz
fortführen sollten; daß der Vorüberziehende an ihrem Grabe verwette", ihr An¬
denken segnen und ihnen den Wunsch hinüberrufen möchte, daß ihnen die Erde
leicht sei. Diese Anrede an den Wandrer ist sonderbarerweise auch in die moder¬
nen Epitaphien übergegangen, obwol über unsre ummauerten und eingehegten
Kirchhöfe doch in der That Wandrer auch beim besten Willen nicht ziehen können.

Schließlich noch ein Wort über die muthmaßliche Anzahl derer die be.
der Verschüttung Pompejis ums Leben gekommen sind. Overbeck sagt: Im
Ganzen zählt man 400, nach andern gegen 600 in Pompeji gefundene Gerippe.
Aber diese Angabe ist völlig unzuverlässig. Eine zuverlässige zu geben ist un¬
möglich, weil die Gerippe bei der Auffindung häufig so morsch sind, daß sie
sogleich in Staub zerfallen, und eine Zählung niemals auch nur versucht .se.
Viele Angaben beruhen ganz auf den Aussagen der Ciceroni, von deren Lügen
unter andern ein Pröbchen ist, daß im Amphitheater die Gerippe von 8 Löwen
gefunden sein sollen. Nun war aber die Löwenjagd ein ausschließlich kaiser¬
liches Vorrecht, also ist an Löwen in dem Amphitheater kleiner Städte nicht
ZU denken. Goro von Agyagfalve glaubt, es seien (bis 1825) keine 150
menschliche Skelette gefunden worden, Mayer spricht von 200, Wackernagel
(1849) von etwa 400 bis jetzt entdeckten. Gell (1837) berechnet nach der
Zahl der aufgefundenen Skelette die Gesammtsumme derer, die in der Stadt
und den muthmaßlichen Vorstädten umgekommen sind auf nicht weniger als
1300. Aus diesen so stark differirenden Angaben geht zweierlei hervor: erstens,daß eine auch nur ungefähre Berechnung sehr zweifelhaft ist, und zweitens,daß die Anzahl der Verschütteten verhältnißmäßig doch sehr groß gewesen ist,da man annehmen muß, daß sie durch den anfangs dünnen und spärlich fal¬
lenden Aschenregen zu rechter Zeit gewarnt worden sind. Zahn sagt, daß sast
in jedem Hause Skelette ausgegraben werden'.-- Es ist gräßlich, sich das Ende
dieser Unglücklichen vorzustellen, besonders solcher, die unvermögend waren, zu
fliehen. So sind z. B. in der Gladiatorenkaserne (früher Soldatenquartier ge¬
nannt) Gerippe mit Schließeisen an den Füßen gesunden worden. Nicht min¬
der furchtbar war der Tod derer, die sich in Keller geflüchtet hatten, und deren
scheinen nicht wenig gewesen zu sein. In dem sogenannten Landhause des
Diomedes fand man 17 in einem Keller. Durchsickernde Feuchtigkeit hat hier
aus der Asche einen Teig gemacht, und in diesem Aschenteige hat sich ein
weiblicher Busen abgeformt, der im Musen zu Neapel aufbewahrt wird.




Blumenkränze, die sie an den Totenfesten schmückten, die Wohlgerüche, deren
Dust hier aufstieg, um uns glauben zu machen, daß sie eben erst errichtet
worden seien. Die Sitte der Alten, ihre Gräber vor den Thoren der Städte
längs der Landstraße anzulegen, ist bekannt. Daher rühren «uf den antiken
Grabschriften die stehenden Anreden an den Wandrer; man wünschte, daß d.e
Abgeschiedenen im Gedächtniß der Nachkommen gleichsam eine zweite Enstenz
fortführen sollten; daß der Vorüberziehende an ihrem Grabe verwette«, ihr An¬
denken segnen und ihnen den Wunsch hinüberrufen möchte, daß ihnen die Erde
leicht sei. Diese Anrede an den Wandrer ist sonderbarerweise auch in die moder¬
nen Epitaphien übergegangen, obwol über unsre ummauerten und eingehegten
Kirchhöfe doch in der That Wandrer auch beim besten Willen nicht ziehen können.

Schließlich noch ein Wort über die muthmaßliche Anzahl derer die be.
der Verschüttung Pompejis ums Leben gekommen sind. Overbeck sagt: Im
Ganzen zählt man 400, nach andern gegen 600 in Pompeji gefundene Gerippe.
Aber diese Angabe ist völlig unzuverlässig. Eine zuverlässige zu geben ist un¬
möglich, weil die Gerippe bei der Auffindung häufig so morsch sind, daß sie
sogleich in Staub zerfallen, und eine Zählung niemals auch nur versucht .se.
Viele Angaben beruhen ganz auf den Aussagen der Ciceroni, von deren Lügen
unter andern ein Pröbchen ist, daß im Amphitheater die Gerippe von 8 Löwen
gefunden sein sollen. Nun war aber die Löwenjagd ein ausschließlich kaiser¬
liches Vorrecht, also ist an Löwen in dem Amphitheater kleiner Städte nicht
ZU denken. Goro von Agyagfalve glaubt, es seien (bis 1825) keine 150
menschliche Skelette gefunden worden, Mayer spricht von 200, Wackernagel
(1849) von etwa 400 bis jetzt entdeckten. Gell (1837) berechnet nach der
Zahl der aufgefundenen Skelette die Gesammtsumme derer, die in der Stadt
und den muthmaßlichen Vorstädten umgekommen sind auf nicht weniger als
1300. Aus diesen so stark differirenden Angaben geht zweierlei hervor: erstens,daß eine auch nur ungefähre Berechnung sehr zweifelhaft ist, und zweitens,daß die Anzahl der Verschütteten verhältnißmäßig doch sehr groß gewesen ist,da man annehmen muß, daß sie durch den anfangs dünnen und spärlich fal¬
lenden Aschenregen zu rechter Zeit gewarnt worden sind. Zahn sagt, daß sast
in jedem Hause Skelette ausgegraben werden'.— Es ist gräßlich, sich das Ende
dieser Unglücklichen vorzustellen, besonders solcher, die unvermögend waren, zu
fliehen. So sind z. B. in der Gladiatorenkaserne (früher Soldatenquartier ge¬
nannt) Gerippe mit Schließeisen an den Füßen gesunden worden. Nicht min¬
der furchtbar war der Tod derer, die sich in Keller geflüchtet hatten, und deren
scheinen nicht wenig gewesen zu sein. In dem sogenannten Landhause des
Diomedes fand man 17 in einem Keller. Durchsickernde Feuchtigkeit hat hier
aus der Asche einen Teig gemacht, und in diesem Aschenteige hat sich ein
weiblicher Busen abgeformt, der im Musen zu Neapel aufbewahrt wird.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/39>, abgerufen am 21.05.2024.