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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Die Franzosen und ihre Revolution
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Dies ist ohne Zweifel das bedeutendste historische Werk, das die französische
Literatur seit Jahren hervorgebracht hat, es ist neben der nur als Manuscript
gedruckten Schrift von Röderer: 'I'Rsprit eis I" Jnvolution auch die l edeutendste
Studie für das Verständniß der französischen Staatsumwälzung und nur als
solche will der Verfasser sein Werk angesehen wissen, er schreibt keine Geschichte
der Revolution. Der vorliegende Band schildert das xmown i-L^ime im Hin¬
blick auf die Revolution, ein zweiter wird diese selbst und ihre Folgen behan¬
deln. -- Jedes bedeutende geschichtliche Ereignis) hat weitreichende Wurzeln
in der Vergangenheit, ohne diesen nachzugraben wird man es nicht verstehen;
die meisten Geschichtswerke über die französische Revolution enthalten eine Ein¬
leitung zu der Begebenheit, die sie darstellen, aber wenige zeigen den Boden,
auf dem dieselbe erwachsen ist, so, daß uns vollkommen klar ist: die Revo¬
lution mußte kommen und zwar so wie sie kam. Die meisten nämlich halten
sich nur an die verschiedenen Ereignisse, welche die politische Organisation des
alten Frankreichs hauptsächlich erschüttert zu haben scheinen, wenige nur be¬
schäftigen sich mit den socialen Ursachen der Revolution und schildern die alte
französische Gesellschaft, und doch ist der Grund jeder bedeutenden politischen
Revolution ein socialer. Wir kennen nur zwei Werke, die hier eine Ausnahme
machen, das Louis Blancs, der in seiner Einleitung sogar bis zur Reformation
zurückgreift; er verdreht von seinein Standpunkt aus die Ereignisse und Zustände
nicht wenig, aber er begreift ihre ganze Wichtigkeit; in Deutschland hat Sybel
in seiner Einleitung zur Geschichte der Revolutionszeit eine sehr schöne Studie
zum Verständniß der Revolution im socialen Sinne entworfen. Aber ihm
war nicht alles Material zugänglich, das Tocqueville zu Gebote stand und er
konnte seiner Sftldie eben nur den Platz einer Einleitung anweisen, Tocque-
ville gibt uns eine vollständige Schilderung der französischen Gesellschaft vor
1789 vom ergreifendsten Interesse, in philosophischem Geiste geschrieben, er
erzählt nicht, sondern beobachtet, betrachtet und vergleicht die Ereignisse, die
er als bekannt voraussetzt und nur in das rechte Licht stellt.

Er beginnt damit, seinen Standpunkt zu bezeichnen und einige hauptsächliche
Vorurtheile über die Revolution zu beseitigen, er zeigt, daß ihr Zweck nicht
war, die Macht des religiösen Glaubens zu erschüttern, nicht die Macht der
Negierung zu brechen, die sie im Gegentheil sehr vermehrt hat, nicht unsre
Civilisation auszurotten, wie man nach ihrem anarchischen Gange vermuthet
hat, sondern daß sie wesentlich gerichtet war gegen die feudalen Institutionen,
die in Frankreich in tieferem Verfalle waren als im übrigen Europa, diese


Die Franzosen und ihre Revolution
'l'ncsiiKZvillo: I'auel^n liöximv et I« üävoluUnn.
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Dies ist ohne Zweifel das bedeutendste historische Werk, das die französische
Literatur seit Jahren hervorgebracht hat, es ist neben der nur als Manuscript
gedruckten Schrift von Röderer: 'I'Rsprit eis I» Jnvolution auch die l edeutendste
Studie für das Verständniß der französischen Staatsumwälzung und nur als
solche will der Verfasser sein Werk angesehen wissen, er schreibt keine Geschichte
der Revolution. Der vorliegende Band schildert das xmown i-L^ime im Hin¬
blick auf die Revolution, ein zweiter wird diese selbst und ihre Folgen behan¬
deln. — Jedes bedeutende geschichtliche Ereignis) hat weitreichende Wurzeln
in der Vergangenheit, ohne diesen nachzugraben wird man es nicht verstehen;
die meisten Geschichtswerke über die französische Revolution enthalten eine Ein¬
leitung zu der Begebenheit, die sie darstellen, aber wenige zeigen den Boden,
auf dem dieselbe erwachsen ist, so, daß uns vollkommen klar ist: die Revo¬
lution mußte kommen und zwar so wie sie kam. Die meisten nämlich halten
sich nur an die verschiedenen Ereignisse, welche die politische Organisation des
alten Frankreichs hauptsächlich erschüttert zu haben scheinen, wenige nur be¬
schäftigen sich mit den socialen Ursachen der Revolution und schildern die alte
französische Gesellschaft, und doch ist der Grund jeder bedeutenden politischen
Revolution ein socialer. Wir kennen nur zwei Werke, die hier eine Ausnahme
machen, das Louis Blancs, der in seiner Einleitung sogar bis zur Reformation
zurückgreift; er verdreht von seinein Standpunkt aus die Ereignisse und Zustände
nicht wenig, aber er begreift ihre ganze Wichtigkeit; in Deutschland hat Sybel
in seiner Einleitung zur Geschichte der Revolutionszeit eine sehr schöne Studie
zum Verständniß der Revolution im socialen Sinne entworfen. Aber ihm
war nicht alles Material zugänglich, das Tocqueville zu Gebote stand und er
konnte seiner Sftldie eben nur den Platz einer Einleitung anweisen, Tocque-
ville gibt uns eine vollständige Schilderung der französischen Gesellschaft vor
1789 vom ergreifendsten Interesse, in philosophischem Geiste geschrieben, er
erzählt nicht, sondern beobachtet, betrachtet und vergleicht die Ereignisse, die
er als bekannt voraussetzt und nur in das rechte Licht stellt.

Er beginnt damit, seinen Standpunkt zu bezeichnen und einige hauptsächliche
Vorurtheile über die Revolution zu beseitigen, er zeigt, daß ihr Zweck nicht
war, die Macht des religiösen Glaubens zu erschüttern, nicht die Macht der
Negierung zu brechen, die sie im Gegentheil sehr vermehrt hat, nicht unsre
Civilisation auszurotten, wie man nach ihrem anarchischen Gange vermuthet
hat, sondern daß sie wesentlich gerichtet war gegen die feudalen Institutionen,
die in Frankreich in tieferem Verfalle waren als im übrigen Europa, diese


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[0262] Die Franzosen und ihre Revolution 'l'ncsiiKZvillo: I'auel^n liöximv et I« üävoluUnn. >l!'! i >!l.-iW iMUiöDiü<le?>'t'/<un>ttUm»V . Dies ist ohne Zweifel das bedeutendste historische Werk, das die französische Literatur seit Jahren hervorgebracht hat, es ist neben der nur als Manuscript gedruckten Schrift von Röderer: 'I'Rsprit eis I» Jnvolution auch die l edeutendste Studie für das Verständniß der französischen Staatsumwälzung und nur als solche will der Verfasser sein Werk angesehen wissen, er schreibt keine Geschichte der Revolution. Der vorliegende Band schildert das xmown i-L^ime im Hin¬ blick auf die Revolution, ein zweiter wird diese selbst und ihre Folgen behan¬ deln. — Jedes bedeutende geschichtliche Ereignis) hat weitreichende Wurzeln in der Vergangenheit, ohne diesen nachzugraben wird man es nicht verstehen; die meisten Geschichtswerke über die französische Revolution enthalten eine Ein¬ leitung zu der Begebenheit, die sie darstellen, aber wenige zeigen den Boden, auf dem dieselbe erwachsen ist, so, daß uns vollkommen klar ist: die Revo¬ lution mußte kommen und zwar so wie sie kam. Die meisten nämlich halten sich nur an die verschiedenen Ereignisse, welche die politische Organisation des alten Frankreichs hauptsächlich erschüttert zu haben scheinen, wenige nur be¬ schäftigen sich mit den socialen Ursachen der Revolution und schildern die alte französische Gesellschaft, und doch ist der Grund jeder bedeutenden politischen Revolution ein socialer. Wir kennen nur zwei Werke, die hier eine Ausnahme machen, das Louis Blancs, der in seiner Einleitung sogar bis zur Reformation zurückgreift; er verdreht von seinein Standpunkt aus die Ereignisse und Zustände nicht wenig, aber er begreift ihre ganze Wichtigkeit; in Deutschland hat Sybel in seiner Einleitung zur Geschichte der Revolutionszeit eine sehr schöne Studie zum Verständniß der Revolution im socialen Sinne entworfen. Aber ihm war nicht alles Material zugänglich, das Tocqueville zu Gebote stand und er konnte seiner Sftldie eben nur den Platz einer Einleitung anweisen, Tocque- ville gibt uns eine vollständige Schilderung der französischen Gesellschaft vor 1789 vom ergreifendsten Interesse, in philosophischem Geiste geschrieben, er erzählt nicht, sondern beobachtet, betrachtet und vergleicht die Ereignisse, die er als bekannt voraussetzt und nur in das rechte Licht stellt. Er beginnt damit, seinen Standpunkt zu bezeichnen und einige hauptsächliche Vorurtheile über die Revolution zu beseitigen, er zeigt, daß ihr Zweck nicht war, die Macht des religiösen Glaubens zu erschüttern, nicht die Macht der Negierung zu brechen, die sie im Gegentheil sehr vermehrt hat, nicht unsre Civilisation auszurotten, wie man nach ihrem anarchischen Gange vermuthet hat, sondern daß sie wesentlich gerichtet war gegen die feudalen Institutionen, die in Frankreich in tieferem Verfalle waren als im übrigen Europa, diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/262>, abgerufen am 04.05.2024.