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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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feudalen Institutionen aber waren trotz ihrer Kraftlosigkeit so tief mit dem
ganzen socialen Zustande Frankreichs verknüpft, daß es einer furchtbaren
Erschütterung bedürfte, um dieselben mit einem Schlage zu beseitigen. "Das
ließ die Revolution noch gewaltiger erscheinen als sie war, sie schien alles zu
zerstören, weil das, was sie zerstörte, mit fast allen Verhältnissen des Lebens
zusammenhing." Nichtsdestoweniger hat die Revolution viel weniger geneuert,
als man gewöhnlich glaubt, sie hat allem, was an aristokratisches Regiment
erinnert, die Wurzel abgeftbnitten, und die Egalität der Staatsbürger und
Macht der Centralgewalt an die Stelle gesetzt, aber sie hat darin nur das
Werk der letzten französischen Könige fortgesetzt, Richelieu und Mirabeau würden
sich sehr wohl verständigt haben. "Die Franzosen haben", sagt Tocqueville in
der Vorrede, "die größte Anstrengung gemacht, mit ihrer Geschichte zu brechen
und sich sozusagen in zwei Theile zu schneiden, sie haben nichts unversucht
gelassen, sich unkenntlich zu machen und doch haben sie unwissentlich Gefühle,
Gewohnheiten, Ideen des alten Regiments behalten und ihr neues sociales
Gebäude aus den Trümmern des alten gebaut." Der Franzose ist noch der¬
selbe in seinen Neigungen, Schwächen und Talenten, die feinen Sittenschil¬
derungen von Montaigne und Labruysre passen noch vorzugsweise auf den
französischen Menschen und auf politischem Gebiet finden wir eine Institution,
die das ganze neuere Staatsleben Frankreichs beherrscht, schon sehr mächtig
unter den bourbonischen Königen, die Centralisation. Es ist wahr, daß erst
Napoleon I. sie zu dem gleichmäßigen System ausgebildet, das wir heute sehen,
daß die folgenden Regierungen sie nur vervollkommnet, so daß Napoleon lit. mit
sehr viel mehr Wahrheit als Ludwig XIV. sagen kann: l'peat v'ost moi, aber
es ist falsch zu glauben, daß die Centralisation eine Errungenschaft der Revo¬
lution und des Kaiserreiches sei, sie ist auf dem Boden des alten Frankreich
erwachsen, sie hat sehr viel beigetragen, die Revolution herbeizuführen und sie
hat 1789 wie 181S, -,830 und I8i>8 überlebt, weil sie trefflich zu dem neuen
Frankreich paßt. Wenn man die geistvolle Datstellung Tocquevilles liest, so
begreift man kaum, wie dies so lange hat verkannt werden können, jedermann
gibt zu, daß Ludwig XI., Richelieu, Ludwig XlV. dahin gearbeitet haben, das
Königthum absolut zu machen, was aber ist die unumschränkte Monarchie
andres als die Unterdrückung aller korporativen, örtlichen, provinziellen und
nationalen Freiheiten und die Concentration aller Kräfte des Staates in einer
Hand, welche dieselben wieder durch viele ihr untergebne Hände arbeiten läßt?
Zwar auf den ersten Blick erscheint das Frankreich der drei Ludwige dem des
19. Jahrhunderts sehr unähnlich, wir sehen überall mittelalterliche Formen
noch zu Recht bestehen, Parlamente und Prvvinzialstaaten, Burgflecken.
Stadtrechte, Innungen, Corporationen aller Art, aber aus allen diesen Formen
war das Leben gewichen, die wahre Macht ruhte im Rath des Königs und


feudalen Institutionen aber waren trotz ihrer Kraftlosigkeit so tief mit dem
ganzen socialen Zustande Frankreichs verknüpft, daß es einer furchtbaren
Erschütterung bedürfte, um dieselben mit einem Schlage zu beseitigen. „Das
ließ die Revolution noch gewaltiger erscheinen als sie war, sie schien alles zu
zerstören, weil das, was sie zerstörte, mit fast allen Verhältnissen des Lebens
zusammenhing." Nichtsdestoweniger hat die Revolution viel weniger geneuert,
als man gewöhnlich glaubt, sie hat allem, was an aristokratisches Regiment
erinnert, die Wurzel abgeftbnitten, und die Egalität der Staatsbürger und
Macht der Centralgewalt an die Stelle gesetzt, aber sie hat darin nur das
Werk der letzten französischen Könige fortgesetzt, Richelieu und Mirabeau würden
sich sehr wohl verständigt haben. „Die Franzosen haben", sagt Tocqueville in
der Vorrede, „die größte Anstrengung gemacht, mit ihrer Geschichte zu brechen
und sich sozusagen in zwei Theile zu schneiden, sie haben nichts unversucht
gelassen, sich unkenntlich zu machen und doch haben sie unwissentlich Gefühle,
Gewohnheiten, Ideen des alten Regiments behalten und ihr neues sociales
Gebäude aus den Trümmern des alten gebaut." Der Franzose ist noch der¬
selbe in seinen Neigungen, Schwächen und Talenten, die feinen Sittenschil¬
derungen von Montaigne und Labruysre passen noch vorzugsweise auf den
französischen Menschen und auf politischem Gebiet finden wir eine Institution,
die das ganze neuere Staatsleben Frankreichs beherrscht, schon sehr mächtig
unter den bourbonischen Königen, die Centralisation. Es ist wahr, daß erst
Napoleon I. sie zu dem gleichmäßigen System ausgebildet, das wir heute sehen,
daß die folgenden Regierungen sie nur vervollkommnet, so daß Napoleon lit. mit
sehr viel mehr Wahrheit als Ludwig XIV. sagen kann: l'peat v'ost moi, aber
es ist falsch zu glauben, daß die Centralisation eine Errungenschaft der Revo¬
lution und des Kaiserreiches sei, sie ist auf dem Boden des alten Frankreich
erwachsen, sie hat sehr viel beigetragen, die Revolution herbeizuführen und sie
hat 1789 wie 181S, -,830 und I8i>8 überlebt, weil sie trefflich zu dem neuen
Frankreich paßt. Wenn man die geistvolle Datstellung Tocquevilles liest, so
begreift man kaum, wie dies so lange hat verkannt werden können, jedermann
gibt zu, daß Ludwig XI., Richelieu, Ludwig XlV. dahin gearbeitet haben, das
Königthum absolut zu machen, was aber ist die unumschränkte Monarchie
andres als die Unterdrückung aller korporativen, örtlichen, provinziellen und
nationalen Freiheiten und die Concentration aller Kräfte des Staates in einer
Hand, welche dieselben wieder durch viele ihr untergebne Hände arbeiten läßt?
Zwar auf den ersten Blick erscheint das Frankreich der drei Ludwige dem des
19. Jahrhunderts sehr unähnlich, wir sehen überall mittelalterliche Formen
noch zu Recht bestehen, Parlamente und Prvvinzialstaaten, Burgflecken.
Stadtrechte, Innungen, Corporationen aller Art, aber aus allen diesen Formen
war das Leben gewichen, die wahre Macht ruhte im Rath des Königs und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/263>, abgerufen am 22.05.2024.