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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Regierung und Volk in Neapel.
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Um die Mittagsstunde des 29. Januar 18i8 öffneten sich die Eisengitter des
königlichen Palastes, und der konstitutionelle König Ferdinand, gefolgt von
seinen Generalen, durch Musik begrüßt und mit unbeschreiblichem Jubel em¬
pfangen, durchritt den Toledo und die übrigen Hauptstraßen Neapels. Sein
sonst so rosiges, volles Gesicht war blaß und er schien unter allen der Einzige,
dem das Lächeln Mühe kostete.

Die neue Verfassung sollte der französischen Charte in freisinniger Weise
nachgebildet werden; das Decret versprach Freiheit der Presse, Volksvertretung
durch 2 Kammern, Verantwortlichkeit der Minister, Erweiterung der National¬
garde.

Am 30. Januar gab Carlo Canciulli, der Minister des Innern, seine
Entlassung; ein Altliberaler, den aber die Zeit schon überholt hatte, F. S. Boz-
zelli trat an seine Stelle. Der Polizeipräfect Galloti wurde durch den Advo-
caten Tofanv ersetzt. Carlo Poerio erhielt die Direction des Ministeriums
der. innern Angelegenheiten. Nach Verlauf von 11 Tagen brachte Bozzelli
den Verfassungsentwurf zum Vorschein. Am 11. Februar wurde er veröffent¬
licht und abermals der bedeutungsvolle Tag zu einem Feiertage umgewandelt.
Der König zeigte sich dem versammelten Volk, so oft die Rufe nicht anders
zu beruhigen waren. Er grüßte vom Balcon herab, legte die Hand alle Mal
aufs Herz und schwenkte den Hut. Michele Viöcusi, eine Art Cicerovacchio,
welcher dem Volke aus offner Straße politischen Unterricht zu geben angefangen
hatte und die Lazzaroni durch populäre Vorträge über den Sinn der neuge¬
wonnenen Freiheit aufklärte, Michele Viöcusi kam, als Lazzaroni gekleidet, in
der Mitte von zwölf echten Lazzaroni auf einem großen Triumphwagen vor
das Schloß gefahren. Jeder der Zwölf hielt eine Standarte, woraus die
Heilige des betreffenden Districts und ein Motto zu sehen. So waren alle
Stadttheile Neapels in das Interesse dieses Actes gezogen worden und hatten
sich öffentlich der Bewegung angeschlossen. Sobald es dunkelte, verwandelte
sich das Toledo in ein Strahlenmeer, das es mit dem Glänze der Moccoli-
stunde Roms, am Schlüsse des Carnevals, aufnehmen konnte. Während drei
Abenden wiederholten sich diese Festlichkeiten; am letzten Abend wurde von
einer Menge edler Damen und Herren dem König eine Serenade dargebracht,


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Regierung und Volk in Neapel.
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Um die Mittagsstunde des 29. Januar 18i8 öffneten sich die Eisengitter des
königlichen Palastes, und der konstitutionelle König Ferdinand, gefolgt von
seinen Generalen, durch Musik begrüßt und mit unbeschreiblichem Jubel em¬
pfangen, durchritt den Toledo und die übrigen Hauptstraßen Neapels. Sein
sonst so rosiges, volles Gesicht war blaß und er schien unter allen der Einzige,
dem das Lächeln Mühe kostete.

Die neue Verfassung sollte der französischen Charte in freisinniger Weise
nachgebildet werden; das Decret versprach Freiheit der Presse, Volksvertretung
durch 2 Kammern, Verantwortlichkeit der Minister, Erweiterung der National¬
garde.

Am 30. Januar gab Carlo Canciulli, der Minister des Innern, seine
Entlassung; ein Altliberaler, den aber die Zeit schon überholt hatte, F. S. Boz-
zelli trat an seine Stelle. Der Polizeipräfect Galloti wurde durch den Advo-
caten Tofanv ersetzt. Carlo Poerio erhielt die Direction des Ministeriums
der. innern Angelegenheiten. Nach Verlauf von 11 Tagen brachte Bozzelli
den Verfassungsentwurf zum Vorschein. Am 11. Februar wurde er veröffent¬
licht und abermals der bedeutungsvolle Tag zu einem Feiertage umgewandelt.
Der König zeigte sich dem versammelten Volk, so oft die Rufe nicht anders
zu beruhigen waren. Er grüßte vom Balcon herab, legte die Hand alle Mal
aufs Herz und schwenkte den Hut. Michele Viöcusi, eine Art Cicerovacchio,
welcher dem Volke aus offner Straße politischen Unterricht zu geben angefangen
hatte und die Lazzaroni durch populäre Vorträge über den Sinn der neuge¬
wonnenen Freiheit aufklärte, Michele Viöcusi kam, als Lazzaroni gekleidet, in
der Mitte von zwölf echten Lazzaroni auf einem großen Triumphwagen vor
das Schloß gefahren. Jeder der Zwölf hielt eine Standarte, woraus die
Heilige des betreffenden Districts und ein Motto zu sehen. So waren alle
Stadttheile Neapels in das Interesse dieses Actes gezogen worden und hatten
sich öffentlich der Bewegung angeschlossen. Sobald es dunkelte, verwandelte
sich das Toledo in ein Strahlenmeer, das es mit dem Glänze der Moccoli-
stunde Roms, am Schlüsse des Carnevals, aufnehmen konnte. Während drei
Abenden wiederholten sich diese Festlichkeiten; am letzten Abend wurde von
einer Menge edler Damen und Herren dem König eine Serenade dargebracht,


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[0289] Regierung und Volk in Neapel. /)I jZ> , ! Um die Mittagsstunde des 29. Januar 18i8 öffneten sich die Eisengitter des königlichen Palastes, und der konstitutionelle König Ferdinand, gefolgt von seinen Generalen, durch Musik begrüßt und mit unbeschreiblichem Jubel em¬ pfangen, durchritt den Toledo und die übrigen Hauptstraßen Neapels. Sein sonst so rosiges, volles Gesicht war blaß und er schien unter allen der Einzige, dem das Lächeln Mühe kostete. Die neue Verfassung sollte der französischen Charte in freisinniger Weise nachgebildet werden; das Decret versprach Freiheit der Presse, Volksvertretung durch 2 Kammern, Verantwortlichkeit der Minister, Erweiterung der National¬ garde. Am 30. Januar gab Carlo Canciulli, der Minister des Innern, seine Entlassung; ein Altliberaler, den aber die Zeit schon überholt hatte, F. S. Boz- zelli trat an seine Stelle. Der Polizeipräfect Galloti wurde durch den Advo- caten Tofanv ersetzt. Carlo Poerio erhielt die Direction des Ministeriums der. innern Angelegenheiten. Nach Verlauf von 11 Tagen brachte Bozzelli den Verfassungsentwurf zum Vorschein. Am 11. Februar wurde er veröffent¬ licht und abermals der bedeutungsvolle Tag zu einem Feiertage umgewandelt. Der König zeigte sich dem versammelten Volk, so oft die Rufe nicht anders zu beruhigen waren. Er grüßte vom Balcon herab, legte die Hand alle Mal aufs Herz und schwenkte den Hut. Michele Viöcusi, eine Art Cicerovacchio, welcher dem Volke aus offner Straße politischen Unterricht zu geben angefangen hatte und die Lazzaroni durch populäre Vorträge über den Sinn der neuge¬ wonnenen Freiheit aufklärte, Michele Viöcusi kam, als Lazzaroni gekleidet, in der Mitte von zwölf echten Lazzaroni auf einem großen Triumphwagen vor das Schloß gefahren. Jeder der Zwölf hielt eine Standarte, woraus die Heilige des betreffenden Districts und ein Motto zu sehen. So waren alle Stadttheile Neapels in das Interesse dieses Actes gezogen worden und hatten sich öffentlich der Bewegung angeschlossen. Sobald es dunkelte, verwandelte sich das Toledo in ein Strahlenmeer, das es mit dem Glänze der Moccoli- stunde Roms, am Schlüsse des Carnevals, aufnehmen konnte. Während drei Abenden wiederholten sich diese Festlichkeiten; am letzten Abend wurde von einer Menge edler Damen und Herren dem König eine Serenade dargebracht, Grenzboten IV. -I8S6. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/289>, abgerufen am 04.05.2024.