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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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zu welcher Pistilli im verdischen Geschmack die Musik geschrieben hatte. So
sah die günstige Seite der Medaille aus; die Kehrseite zeigte andere Gestalten.
In der That, welcher Fürst hätte nicht ein Volk, wie das dieser fröhlichen,
harmlosen Abende gern regiert, statt eines geknechteten, rachedürstenden, mi߬
vergnügten, wenn das einzige Geschenk der Verfassung genügen konnte, diese
Neugeburt hervorzubringen. Aber wer da wußte, wie in Neapel regiert, wie
die Rechtsbegriffe des Volks und sein gesetzlicher Sinn seit langer Zeit der
Verwilderung Preis gegeben waren, der konnte sich nicht darüber täuschen,
daß die politische Erziehung dieses Volks erst beginnen sollte, und daß' man
erst verlernen mußte, was gelernt worden war.

In den Provinzen zeigten sich zuerst die Schwierigkeiten. Die Beamten
und Geistlichen, auch einige der Mönche, waren die einzigen, welche lesen konn¬
ten. Durch diesen widerwilligen Kanal gelangten die Elementarbegriffe der
neuen Verfassung zu dem Volke, man kann denken in welcher Auslegung.
Contrerevolutionen Seitens des Gendarmeriecapitäns Melazzo in Aquila und
des Erintendanten Aiossa wurden versucht, aber vereitelt und die Beseitigung
beider ermuthigte ihre Feinde, ihr Müthchen an ihnen zu kühlen. Man sang
Tedeums, illuminirte, verhöhnte die verhaßten Schergen des gefallenen Systems,
ohne natürlich zu wissen, was mit den neuen Rechten beginnen und wie sich
ihrer würdig zeigen. In Reggio verschwand, sobald der erste Dampfer mit
italienischer Tricolore in Sicht kam, derselbe Inspector Ciossi, welcher Romeos
Kopf kurze Zeit vorher aufgespießt hatte. Dem Erintendanten von Cosenza
wurde durch einige entschlossene Bürger die Möglichkeit verschafft, zu fliehen.
In Teramo erlag der Kanzler deS königlichen Procuratö den Dolchen seiner
vielen Feinde. Der Generalprocurator floh, ebenso der Erintendant.

Während der plötzlich nachlassende Polizeibruck in den Provinzen die
früheren Machthaber in alle Winde verscheuchte und einen Umschlag ins
entgegengesetzte Ertrem befürchten ließ, zeigten sich in Neapels Gassen
zum ersten Male die bleichen Gefängnißgesichter der politischen Verbrecher,
denen die Freiheit geschenkt war, ohne daß man das Roth der Gesundheit
und der Freude ihren Wangen zurückzugeben vermochte. Mehr Gespenster als
Lebende, standen sie befragt und bemitleidet in den theilnehmenden Gruppen
der Spaziergänger, erzählten, wie es ihnen ergangen war, schüttelten ungläu¬
big den Kopf zu den Hoffnungstränmen der jungen Leute und brachten durch
ihre bloße Gegenwart einen Mißton in den lauten Freudentaumel, der alle noch
gefangen hielt.

Viele hatten ihre Aemter um derselben Sache willen eingebüßt, welche
jetzt triumphirte; andere hatte der Staat geplündert; nicht wenige unter ihnen
waren körperlich und geistig zu jeder amtlichen Stellung unfähig geworden;
selbst die Liberalen konnten sie, denen.noch der Gedanke an die Gefängnißzelle


zu welcher Pistilli im verdischen Geschmack die Musik geschrieben hatte. So
sah die günstige Seite der Medaille aus; die Kehrseite zeigte andere Gestalten.
In der That, welcher Fürst hätte nicht ein Volk, wie das dieser fröhlichen,
harmlosen Abende gern regiert, statt eines geknechteten, rachedürstenden, mi߬
vergnügten, wenn das einzige Geschenk der Verfassung genügen konnte, diese
Neugeburt hervorzubringen. Aber wer da wußte, wie in Neapel regiert, wie
die Rechtsbegriffe des Volks und sein gesetzlicher Sinn seit langer Zeit der
Verwilderung Preis gegeben waren, der konnte sich nicht darüber täuschen,
daß die politische Erziehung dieses Volks erst beginnen sollte, und daß' man
erst verlernen mußte, was gelernt worden war.

In den Provinzen zeigten sich zuerst die Schwierigkeiten. Die Beamten
und Geistlichen, auch einige der Mönche, waren die einzigen, welche lesen konn¬
ten. Durch diesen widerwilligen Kanal gelangten die Elementarbegriffe der
neuen Verfassung zu dem Volke, man kann denken in welcher Auslegung.
Contrerevolutionen Seitens des Gendarmeriecapitäns Melazzo in Aquila und
des Erintendanten Aiossa wurden versucht, aber vereitelt und die Beseitigung
beider ermuthigte ihre Feinde, ihr Müthchen an ihnen zu kühlen. Man sang
Tedeums, illuminirte, verhöhnte die verhaßten Schergen des gefallenen Systems,
ohne natürlich zu wissen, was mit den neuen Rechten beginnen und wie sich
ihrer würdig zeigen. In Reggio verschwand, sobald der erste Dampfer mit
italienischer Tricolore in Sicht kam, derselbe Inspector Ciossi, welcher Romeos
Kopf kurze Zeit vorher aufgespießt hatte. Dem Erintendanten von Cosenza
wurde durch einige entschlossene Bürger die Möglichkeit verschafft, zu fliehen.
In Teramo erlag der Kanzler deS königlichen Procuratö den Dolchen seiner
vielen Feinde. Der Generalprocurator floh, ebenso der Erintendant.

Während der plötzlich nachlassende Polizeibruck in den Provinzen die
früheren Machthaber in alle Winde verscheuchte und einen Umschlag ins
entgegengesetzte Ertrem befürchten ließ, zeigten sich in Neapels Gassen
zum ersten Male die bleichen Gefängnißgesichter der politischen Verbrecher,
denen die Freiheit geschenkt war, ohne daß man das Roth der Gesundheit
und der Freude ihren Wangen zurückzugeben vermochte. Mehr Gespenster als
Lebende, standen sie befragt und bemitleidet in den theilnehmenden Gruppen
der Spaziergänger, erzählten, wie es ihnen ergangen war, schüttelten ungläu¬
big den Kopf zu den Hoffnungstränmen der jungen Leute und brachten durch
ihre bloße Gegenwart einen Mißton in den lauten Freudentaumel, der alle noch
gefangen hielt.

Viele hatten ihre Aemter um derselben Sache willen eingebüßt, welche
jetzt triumphirte; andere hatte der Staat geplündert; nicht wenige unter ihnen
waren körperlich und geistig zu jeder amtlichen Stellung unfähig geworden;
selbst die Liberalen konnten sie, denen.noch der Gedanke an die Gefängnißzelle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/290>, abgerufen am 26.05.2024.