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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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er dachte, lebte und empfand wie sie. Er konnte sich ganz unbefangen seiner
Inspiration überlassen, ohne je eine unrichtige Schilderung zu befürchten. Bei
Auerbach ist das anders. Er steht auf dem Standpunkt unserer modernen
Bildung, und der Naturwu,ass der Bauern ist ihm nur ein Gegenstand, der
ihm früher in frischer, lebendiger Kraft entgegentrat, den er aber jetzt bereits
durch das Medium seiner eignen Dichtung ansteht. Wenn er auch von Zeit
zu Zeit seine Anschauung durch schwarzwälder Reisen auffrischt, er hat ihnen
gegenüber nicht mehr das freie Auge, und wir fürchten sehr, seine Bauern
haben ihm gegenüber auch nicht mehr die alte Unbefangenheit. Es müßte
doch wunderbar zugehen, wenn sie noch nichts von den Dorfgeschichten und
ihrem Dichter gehört haben sollten, und der einfachste Mensch, wenn er weiß,
daß er einem Maler sitzt, spielt vor sich selbst ein wenig Komödie. Auerbach
wird nur dann sein Talent auffrischen können, wenn er sich einem Stoff hin¬
gibt, der ihn zwingt, ganz aus sich herauszugehen und neue, ernste und
zusammenhängende Studien zu machen. Dieser Stoff kann die moderne Zer-
fahrenheit nicht sein, die er im neuen Leben zu schildern versucht hat, denn
abgesehen davon, daß diese Misere keiner Darstellung werth ist, hat Auerbach
auch keine Gelegenheit, die Zerfahrenen in ihrem innern Wesen kennen zu
lernen, denn diese sind noch gewitzigter, als der Wadeleswirth und seine Lands¬
leute, und haben einen so großen Vorrat!) von Bonmots bei der Hand, daß
sie dem Dichter nichts Anderes zeigen werden, und die Bonmots können wir
aus einer andern Quelle erfahren. Wir haben das Feld schon früher be¬
zeichnet, auf dem wir den Dichter zu sehen wünschten, es ist eine Periode der
Geschichte, in der die Quellen reichhaltig, anschaulich und unbefangen genug
sind, um einen unmittelbaren und zwingenden Eindruck auf ihn zu machen.--


Günther von Schwarzburg> Historischer Roman.in zwei Bänden. Von Levin
Schücking. Prag und Leipzig, Epxcdit. des Albums. --

Auch dieser neue Roman zeichnet sich durch die Lebhaftigkeit der Erzählung
aus, die wir bei Schücking fast überall antreffen; aber durch ein sorgfältigeres
Studium der Quellen und durch ein größeres Maß in der Erfindung melo¬
dramatischer Motive würde der Roman bedeutend gewonnen haben. --


Ein Strauß aus Norwegens Wäldern. Von Bernhard Herre. Aus dem
Norwegischen übersetzt vou B. Th. Leipzig, H. Schnitze. --

Hübsche kleine Bilder, anschaulich mit guter Laune erzählt. ---


Cordelia. Historischer Roman von Aline von Schlichtkrull. 3. Bände.
, Görlitz, Heynsche Buchhandlung. --

Wir hatten bei den frühern Romanen der jungen Verfasserin daS unge¬
wöhnliche Talent und die ungewöhnliche Bildung rühmend hervorgehoben; wir


er dachte, lebte und empfand wie sie. Er konnte sich ganz unbefangen seiner
Inspiration überlassen, ohne je eine unrichtige Schilderung zu befürchten. Bei
Auerbach ist das anders. Er steht auf dem Standpunkt unserer modernen
Bildung, und der Naturwu,ass der Bauern ist ihm nur ein Gegenstand, der
ihm früher in frischer, lebendiger Kraft entgegentrat, den er aber jetzt bereits
durch das Medium seiner eignen Dichtung ansteht. Wenn er auch von Zeit
zu Zeit seine Anschauung durch schwarzwälder Reisen auffrischt, er hat ihnen
gegenüber nicht mehr das freie Auge, und wir fürchten sehr, seine Bauern
haben ihm gegenüber auch nicht mehr die alte Unbefangenheit. Es müßte
doch wunderbar zugehen, wenn sie noch nichts von den Dorfgeschichten und
ihrem Dichter gehört haben sollten, und der einfachste Mensch, wenn er weiß,
daß er einem Maler sitzt, spielt vor sich selbst ein wenig Komödie. Auerbach
wird nur dann sein Talent auffrischen können, wenn er sich einem Stoff hin¬
gibt, der ihn zwingt, ganz aus sich herauszugehen und neue, ernste und
zusammenhängende Studien zu machen. Dieser Stoff kann die moderne Zer-
fahrenheit nicht sein, die er im neuen Leben zu schildern versucht hat, denn
abgesehen davon, daß diese Misere keiner Darstellung werth ist, hat Auerbach
auch keine Gelegenheit, die Zerfahrenen in ihrem innern Wesen kennen zu
lernen, denn diese sind noch gewitzigter, als der Wadeleswirth und seine Lands¬
leute, und haben einen so großen Vorrat!) von Bonmots bei der Hand, daß
sie dem Dichter nichts Anderes zeigen werden, und die Bonmots können wir
aus einer andern Quelle erfahren. Wir haben das Feld schon früher be¬
zeichnet, auf dem wir den Dichter zu sehen wünschten, es ist eine Periode der
Geschichte, in der die Quellen reichhaltig, anschaulich und unbefangen genug
sind, um einen unmittelbaren und zwingenden Eindruck auf ihn zu machen.—


Günther von Schwarzburg> Historischer Roman.in zwei Bänden. Von Levin
Schücking. Prag und Leipzig, Epxcdit. des Albums. —

Auch dieser neue Roman zeichnet sich durch die Lebhaftigkeit der Erzählung
aus, die wir bei Schücking fast überall antreffen; aber durch ein sorgfältigeres
Studium der Quellen und durch ein größeres Maß in der Erfindung melo¬
dramatischer Motive würde der Roman bedeutend gewonnen haben. —


Ein Strauß aus Norwegens Wäldern. Von Bernhard Herre. Aus dem
Norwegischen übersetzt vou B. Th. Leipzig, H. Schnitze. —

Hübsche kleine Bilder, anschaulich mit guter Laune erzählt. —-


Cordelia. Historischer Roman von Aline von Schlichtkrull. 3. Bände.
, Görlitz, Heynsche Buchhandlung. —

Wir hatten bei den frühern Romanen der jungen Verfasserin daS unge¬
wöhnliche Talent und die ungewöhnliche Bildung rühmend hervorgehoben; wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/140>, abgerufen am 27.04.2024.