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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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ist, ob und^wann sie eintritt. Wie viel richtiger der im Sinne deS Risorgi-
mento ausgesprochene Grundsatz des Königs Karl Albert: "I^'ItcMa, kar-l
äa se": Italien kann nur durch Italien, durch daS italienische Volk regenerirt
werden. Dieses Volk muß aber zuvörderst sich selbst regeneriren. Sodann
verlangt Gioberti eine Abänderung der Gesetze, welche den Uebergang und die
Vertheilung des Eigenthums regeln: er verlangt Befriedigung des "Rechtes
auf Arbeit" durch den Staat. Das ist eine socialistische und revolutionäre
Theorie, welche in das Bereich der Staatsgewalt Gegenstände zieht, die in
dasselbe nicht gehören. Endlich verlangt es, daß in Rom die geistliche und
die weltliche Gewalt getrennt werde, daß der Papst nur die geistliche Gewalt
behalte. Damit würde aber die Existenz des Papstthums und die Einheit der
katholischen Kirche vernichtet werden. Wenn der Papst in Rom neben sich
eine weltliche Gewalt hat, so würde er unter dem Einfluß derselben stehen:
er könnte nicht mehr das Oberhaupt der katholischen Christenheit, sondern nur
noch Bischof von Rom sein und die katholische Christenheit würde in National¬
kirchen zerfallen. Die Einheit und Macht des Katholicismus anderen Kirchen
gegenüber hat zur nothwendigen Bedingung die weltliche Souveränetät des
Papstes. Ohne dieselbe und dem Einfluß irgend einer Regierung unterworfen,
verliert der Papst auch seine geistliche Selbstständigkeit.

Es ist eine schöne Sache um die Freiheit und Einheit Italiens, aber
dieselbe wird weder durch revolutionäre Complote, noch durch die Systeme
und Theorien des Risorgimento und Rinnovamento erzielt. Wollen die Ita¬
liener frei sein, so müssen sie mit vereinten Kräften der Fremdherrschaft sich
entledigen, was ihnen seit tausend Jahren nicht gelungen ist, so müssen sie
sich durch Bürgertugend für eine freie Verfassung fähig erweisen. Wollen
sie einig sein, so muß der Geist des Zwiespalts schwinden, der in Italien die
Fürsten und die Völker, die Völker untereinander, den Klerus und die Laien,
die Bauern und die Städter, die Reichen und die Armen trennt. Mit einem
Worte: die Italiener müssen den Rath befolgen, den ihnen schon Dante ge¬
geben hat, ihre Sitten zu ändern (wutar eogtume).




Luther als Rationalist.

Unter dem Namen des großen Mannes hat sich schon zweimal seit einem
Menschenalter eine Reaction gegen den Fortschritt der Zeiten geltend zu machen
gewußt. Zuerst gegen das wohlgemeinte, von Schleiermacher unmittelbar
gepflegte, von Hegel innerlichst geförderte Bestreben deS verstorbenen Königs
von Preußen, der protestantischen Kirche durch Union der gesonderten Parteien


ist, ob und^wann sie eintritt. Wie viel richtiger der im Sinne deS Risorgi-
mento ausgesprochene Grundsatz des Königs Karl Albert: „I^'ItcMa, kar-l
äa se": Italien kann nur durch Italien, durch daS italienische Volk regenerirt
werden. Dieses Volk muß aber zuvörderst sich selbst regeneriren. Sodann
verlangt Gioberti eine Abänderung der Gesetze, welche den Uebergang und die
Vertheilung des Eigenthums regeln: er verlangt Befriedigung des „Rechtes
auf Arbeit" durch den Staat. Das ist eine socialistische und revolutionäre
Theorie, welche in das Bereich der Staatsgewalt Gegenstände zieht, die in
dasselbe nicht gehören. Endlich verlangt es, daß in Rom die geistliche und
die weltliche Gewalt getrennt werde, daß der Papst nur die geistliche Gewalt
behalte. Damit würde aber die Existenz des Papstthums und die Einheit der
katholischen Kirche vernichtet werden. Wenn der Papst in Rom neben sich
eine weltliche Gewalt hat, so würde er unter dem Einfluß derselben stehen:
er könnte nicht mehr das Oberhaupt der katholischen Christenheit, sondern nur
noch Bischof von Rom sein und die katholische Christenheit würde in National¬
kirchen zerfallen. Die Einheit und Macht des Katholicismus anderen Kirchen
gegenüber hat zur nothwendigen Bedingung die weltliche Souveränetät des
Papstes. Ohne dieselbe und dem Einfluß irgend einer Regierung unterworfen,
verliert der Papst auch seine geistliche Selbstständigkeit.

Es ist eine schöne Sache um die Freiheit und Einheit Italiens, aber
dieselbe wird weder durch revolutionäre Complote, noch durch die Systeme
und Theorien des Risorgimento und Rinnovamento erzielt. Wollen die Ita¬
liener frei sein, so müssen sie mit vereinten Kräften der Fremdherrschaft sich
entledigen, was ihnen seit tausend Jahren nicht gelungen ist, so müssen sie
sich durch Bürgertugend für eine freie Verfassung fähig erweisen. Wollen
sie einig sein, so muß der Geist des Zwiespalts schwinden, der in Italien die
Fürsten und die Völker, die Völker untereinander, den Klerus und die Laien,
die Bauern und die Städter, die Reichen und die Armen trennt. Mit einem
Worte: die Italiener müssen den Rath befolgen, den ihnen schon Dante ge¬
geben hat, ihre Sitten zu ändern (wutar eogtume).




Luther als Rationalist.

Unter dem Namen des großen Mannes hat sich schon zweimal seit einem
Menschenalter eine Reaction gegen den Fortschritt der Zeiten geltend zu machen
gewußt. Zuerst gegen das wohlgemeinte, von Schleiermacher unmittelbar
gepflegte, von Hegel innerlichst geförderte Bestreben deS verstorbenen Königs
von Preußen, der protestantischen Kirche durch Union der gesonderten Parteien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/426>, abgerufen am 27.04.2024.