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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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und zu lösen? Welche neue Lehren tragen sie vor in Stelle der alten? Un¬
fruchtbar bis zur Ohnmacht an Ideen und Erfindungen, zwei oder drei Gemein¬
plätze ewig wiederholend, wollen sie die Welt neugestalten nicht mit Hilfe des
Gedankens, sondern durch Geschrei und Complote!" Nur in zwei Parteien
findet Gioberti die wahren Arbeiter an dem Werk des Ninnovamento: in der
demokratischen und in der conservativen Partei, vorausgesetzt, daß sie sich ver¬
einigen und ohne Hintergedanken und Groll an der gemeinsamen Befreiung
arbeiten.

Als Angelpunkte (carclini) der Umgestaltung Italiens betrachtet Gio¬
berti Rom und Piemont; aber nicht das gegenwärtige, sondern ein neues
Rom, und nicht das jetzige Piemont, sondern ein wesentlich verändertes. In
Rom sollen geistliche und weltliche Gewalt getrennt werden. Die geistliche
Gewalt soll nicht mehr eine Mischung von Heiligem und Profanen, von
friedlichen Ceremonien und blutigen Verfolgungen, von Kreuzzügen und Jndul-
genzen, von Segen und Flüchen, von evangelischer Moral und profaner
Politik, von exemplarischer Piestern und übermüthigen, zügellosen und intri-
guanten Patäken sein. Die Kardinäle, Namen und Lebensweise von Fürsten
aufgebend , sollen wieder Geistliche der heiligen Stadt werden und in der Ma¬
jestät deS Papstes soll wieder die Bescheidenheit deS Fischerapostels erglänzen.
Die italienische Landesvertretung, aus Laien gebildet, soll neben der geistlichen
Vertretung sitzen: Rom zugleich Forum und Heiligthum, Staat und Orakel,
Ort deS Friedens, Muster der Gerechtigkeit, Quelle der Tugend und Civili¬
sation sein. Piemont ist zwar besser, als das dermalige Rom für daS Werk
des Ninnovamento geeignet; seine freie Verfassung, die Trennung zwischen
den Rechten des Staates und der Kirche, die es vollzogen, das Asylrecht,
das es allen Verbannten Italiens gegeben, der militärische Ruhm, den es
sich erworben, machen es zu einem vorzüglichen Werkzeug der Umgestaltung
Italiens , aber die Piemontesen müssen den engherzigen municipalen Geist
aufgeben, der von ihrem Adel und ihrem Advocatenstande unterhalten wird.
Gioberti beklagt die specifisch piemontesische Politik, die darauf ausgeht, das
Land von dem großen italienischen Verbände zu trennen (all ritivarlo etait'
iwliarüta). Diese Politik war die Ursach^seines freiwilligen Erils. "Ich liebe
Piemont, sagt er, aber nur, weil es ein Theil Italiens ist. Trennt es sich
von der Nation, so sage ich mit Dante: ich bin Subalpiner durch Geburt,
nicht durch Charakter (natione non auribus) und ich ziehe die Verbannung
allen Rechten und Gütern vor, die ich in dem Leben meiner Provinz finden
könnte."

So treffliche und patriotische Gedanken aber auch das neue System Gio-
bertis enthält, so ist es doch eraltirt und unpraktisch. Zunächst hat es zur
Voraussetzung eine allgemeine Umwälzung Europas, von der es sehr fraglich


Grenzboten. I. -I8S7. 53

und zu lösen? Welche neue Lehren tragen sie vor in Stelle der alten? Un¬
fruchtbar bis zur Ohnmacht an Ideen und Erfindungen, zwei oder drei Gemein¬
plätze ewig wiederholend, wollen sie die Welt neugestalten nicht mit Hilfe des
Gedankens, sondern durch Geschrei und Complote!" Nur in zwei Parteien
findet Gioberti die wahren Arbeiter an dem Werk des Ninnovamento: in der
demokratischen und in der conservativen Partei, vorausgesetzt, daß sie sich ver¬
einigen und ohne Hintergedanken und Groll an der gemeinsamen Befreiung
arbeiten.

Als Angelpunkte (carclini) der Umgestaltung Italiens betrachtet Gio¬
berti Rom und Piemont; aber nicht das gegenwärtige, sondern ein neues
Rom, und nicht das jetzige Piemont, sondern ein wesentlich verändertes. In
Rom sollen geistliche und weltliche Gewalt getrennt werden. Die geistliche
Gewalt soll nicht mehr eine Mischung von Heiligem und Profanen, von
friedlichen Ceremonien und blutigen Verfolgungen, von Kreuzzügen und Jndul-
genzen, von Segen und Flüchen, von evangelischer Moral und profaner
Politik, von exemplarischer Piestern und übermüthigen, zügellosen und intri-
guanten Patäken sein. Die Kardinäle, Namen und Lebensweise von Fürsten
aufgebend , sollen wieder Geistliche der heiligen Stadt werden und in der Ma¬
jestät deS Papstes soll wieder die Bescheidenheit deS Fischerapostels erglänzen.
Die italienische Landesvertretung, aus Laien gebildet, soll neben der geistlichen
Vertretung sitzen: Rom zugleich Forum und Heiligthum, Staat und Orakel,
Ort deS Friedens, Muster der Gerechtigkeit, Quelle der Tugend und Civili¬
sation sein. Piemont ist zwar besser, als das dermalige Rom für daS Werk
des Ninnovamento geeignet; seine freie Verfassung, die Trennung zwischen
den Rechten des Staates und der Kirche, die es vollzogen, das Asylrecht,
das es allen Verbannten Italiens gegeben, der militärische Ruhm, den es
sich erworben, machen es zu einem vorzüglichen Werkzeug der Umgestaltung
Italiens , aber die Piemontesen müssen den engherzigen municipalen Geist
aufgeben, der von ihrem Adel und ihrem Advocatenstande unterhalten wird.
Gioberti beklagt die specifisch piemontesische Politik, die darauf ausgeht, das
Land von dem großen italienischen Verbände zu trennen (all ritivarlo etait'
iwliarüta). Diese Politik war die Ursach^seines freiwilligen Erils. „Ich liebe
Piemont, sagt er, aber nur, weil es ein Theil Italiens ist. Trennt es sich
von der Nation, so sage ich mit Dante: ich bin Subalpiner durch Geburt,
nicht durch Charakter (natione non auribus) und ich ziehe die Verbannung
allen Rechten und Gütern vor, die ich in dem Leben meiner Provinz finden
könnte."

So treffliche und patriotische Gedanken aber auch das neue System Gio-
bertis enthält, so ist es doch eraltirt und unpraktisch. Zunächst hat es zur
Voraussetzung eine allgemeine Umwälzung Europas, von der es sehr fraglich


Grenzboten. I. -I8S7. 53
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[0425] und zu lösen? Welche neue Lehren tragen sie vor in Stelle der alten? Un¬ fruchtbar bis zur Ohnmacht an Ideen und Erfindungen, zwei oder drei Gemein¬ plätze ewig wiederholend, wollen sie die Welt neugestalten nicht mit Hilfe des Gedankens, sondern durch Geschrei und Complote!" Nur in zwei Parteien findet Gioberti die wahren Arbeiter an dem Werk des Ninnovamento: in der demokratischen und in der conservativen Partei, vorausgesetzt, daß sie sich ver¬ einigen und ohne Hintergedanken und Groll an der gemeinsamen Befreiung arbeiten. Als Angelpunkte (carclini) der Umgestaltung Italiens betrachtet Gio¬ berti Rom und Piemont; aber nicht das gegenwärtige, sondern ein neues Rom, und nicht das jetzige Piemont, sondern ein wesentlich verändertes. In Rom sollen geistliche und weltliche Gewalt getrennt werden. Die geistliche Gewalt soll nicht mehr eine Mischung von Heiligem und Profanen, von friedlichen Ceremonien und blutigen Verfolgungen, von Kreuzzügen und Jndul- genzen, von Segen und Flüchen, von evangelischer Moral und profaner Politik, von exemplarischer Piestern und übermüthigen, zügellosen und intri- guanten Patäken sein. Die Kardinäle, Namen und Lebensweise von Fürsten aufgebend , sollen wieder Geistliche der heiligen Stadt werden und in der Ma¬ jestät deS Papstes soll wieder die Bescheidenheit deS Fischerapostels erglänzen. Die italienische Landesvertretung, aus Laien gebildet, soll neben der geistlichen Vertretung sitzen: Rom zugleich Forum und Heiligthum, Staat und Orakel, Ort deS Friedens, Muster der Gerechtigkeit, Quelle der Tugend und Civili¬ sation sein. Piemont ist zwar besser, als das dermalige Rom für daS Werk des Ninnovamento geeignet; seine freie Verfassung, die Trennung zwischen den Rechten des Staates und der Kirche, die es vollzogen, das Asylrecht, das es allen Verbannten Italiens gegeben, der militärische Ruhm, den es sich erworben, machen es zu einem vorzüglichen Werkzeug der Umgestaltung Italiens , aber die Piemontesen müssen den engherzigen municipalen Geist aufgeben, der von ihrem Adel und ihrem Advocatenstande unterhalten wird. Gioberti beklagt die specifisch piemontesische Politik, die darauf ausgeht, das Land von dem großen italienischen Verbände zu trennen (all ritivarlo etait' iwliarüta). Diese Politik war die Ursach^seines freiwilligen Erils. „Ich liebe Piemont, sagt er, aber nur, weil es ein Theil Italiens ist. Trennt es sich von der Nation, so sage ich mit Dante: ich bin Subalpiner durch Geburt, nicht durch Charakter (natione non auribus) und ich ziehe die Verbannung allen Rechten und Gütern vor, die ich in dem Leben meiner Provinz finden könnte." So treffliche und patriotische Gedanken aber auch das neue System Gio- bertis enthält, so ist es doch eraltirt und unpraktisch. Zunächst hat es zur Voraussetzung eine allgemeine Umwälzung Europas, von der es sehr fraglich Grenzboten. I. -I8S7. 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/425>, abgerufen am 09.05.2024.