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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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nicht mit einem Ernst; denn es ist straks widereinander, Glaube macht
gerecht und Glaube macht nicht gerecht. Wer die zusammenreimen kann, dem
will ich mein Barett aufsetzen und will mich einen Narren schelten lassen.

XIV, Vorr. p. 3 1322): In diesem Buch der Offenbarung Johannis
laß ich auch jedermann seines Sinnes walten: will niemanden an meinen
Dünkel oder Urtheil verbunden haben: ich sage was ich fühle. Mir mangelt
an diesem Buch nicht einerlei, daß ichs weder apostolisch noch prophe¬
tisch halte.

XI, 1339: Es sind solche Wundergeschichten in den Epp. noch eitel
geringe und fast kindische Wunderzeichen gegen den rechten hohen Wun¬
dern, so Christus ohn Unterlaß in der Christenheit wirket. Die
zuvor nichts von Gott gewußt haben, die hat er müssen mit äußerlichen Wun¬
dern herzuführen und als den Kindern solche Aepfel und Birnen fürwerfen.

Das mag vorerst genügen, um zu zeigen, mit welch vollem Recht Luther
der Vorgänger des wahren Nationalismus, vor allem der biblischen
Kritik, auch der äußersten ist.




Französische Geschichtschreiber.
t. Fauriel.

Eine Classe von Gelehrten, die man in Deutschland ziemlich häufig findet,
ist in Frankreich sehr selten, diejenigen, die von reinem Wissensdrang getrieben
sich einen Stoff nach dem andern aneignen und die gründlichsten Studien an¬
stellen, ohne daran zu denken, sie schriftstellerisch zu verwerthen. Der bedeutendste
unter diesen Gelehrten ist Fauriel. Erst in hohem Alter trat er als Schrift¬
steller auf, und sein Name war dem Volk unbekannt, aber jene berühmten
Gelehrten, die in den 20er Jahren eine Wiedergeburt der französischen Litera¬
tur herbeiführten, Thierry, Villemain, Guizot u. s. w., betrachteten ihn durch¬
weg als ihren Lehrer und Rathgeber. Er war der erste, den sie bei ihren
Studien im Auge hatten, und der mit warmer Theilnahme auf all ihre Ent¬
würfe einging, sie mit seinem Wissen freigebig unterstützte und sie durch jenen
Beifall anfeuerte, der einem Gebildeten nur von Seiten des wirklichen Kenners
werth ist.

Ausgegangen von der Bildung des vorigen Jahrhunderts und sein gan¬
zes Leben hindurch der Sache der Aufklärung treu ergeben, war er in allen
wissenschaftlichen Dingen von einer Unparteilichkeit, die nicht aus Blasirtheit,
sondern aus einer innigen Verehrung der Wahrheit hervorging. Er war durch¬
aus eine Gelehrtennatur; von dem Sinn fürs praktische Leben, der seine ub-


nicht mit einem Ernst; denn es ist straks widereinander, Glaube macht
gerecht und Glaube macht nicht gerecht. Wer die zusammenreimen kann, dem
will ich mein Barett aufsetzen und will mich einen Narren schelten lassen.

XIV, Vorr. p. 3 1322): In diesem Buch der Offenbarung Johannis
laß ich auch jedermann seines Sinnes walten: will niemanden an meinen
Dünkel oder Urtheil verbunden haben: ich sage was ich fühle. Mir mangelt
an diesem Buch nicht einerlei, daß ichs weder apostolisch noch prophe¬
tisch halte.

XI, 1339: Es sind solche Wundergeschichten in den Epp. noch eitel
geringe und fast kindische Wunderzeichen gegen den rechten hohen Wun¬
dern, so Christus ohn Unterlaß in der Christenheit wirket. Die
zuvor nichts von Gott gewußt haben, die hat er müssen mit äußerlichen Wun¬
dern herzuführen und als den Kindern solche Aepfel und Birnen fürwerfen.

Das mag vorerst genügen, um zu zeigen, mit welch vollem Recht Luther
der Vorgänger des wahren Nationalismus, vor allem der biblischen
Kritik, auch der äußersten ist.




Französische Geschichtschreiber.
t. Fauriel.

Eine Classe von Gelehrten, die man in Deutschland ziemlich häufig findet,
ist in Frankreich sehr selten, diejenigen, die von reinem Wissensdrang getrieben
sich einen Stoff nach dem andern aneignen und die gründlichsten Studien an¬
stellen, ohne daran zu denken, sie schriftstellerisch zu verwerthen. Der bedeutendste
unter diesen Gelehrten ist Fauriel. Erst in hohem Alter trat er als Schrift¬
steller auf, und sein Name war dem Volk unbekannt, aber jene berühmten
Gelehrten, die in den 20er Jahren eine Wiedergeburt der französischen Litera¬
tur herbeiführten, Thierry, Villemain, Guizot u. s. w., betrachteten ihn durch¬
weg als ihren Lehrer und Rathgeber. Er war der erste, den sie bei ihren
Studien im Auge hatten, und der mit warmer Theilnahme auf all ihre Ent¬
würfe einging, sie mit seinem Wissen freigebig unterstützte und sie durch jenen
Beifall anfeuerte, der einem Gebildeten nur von Seiten des wirklichen Kenners
werth ist.

Ausgegangen von der Bildung des vorigen Jahrhunderts und sein gan¬
zes Leben hindurch der Sache der Aufklärung treu ergeben, war er in allen
wissenschaftlichen Dingen von einer Unparteilichkeit, die nicht aus Blasirtheit,
sondern aus einer innigen Verehrung der Wahrheit hervorging. Er war durch¬
aus eine Gelehrtennatur; von dem Sinn fürs praktische Leben, der seine ub-


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[0432] nicht mit einem Ernst; denn es ist straks widereinander, Glaube macht gerecht und Glaube macht nicht gerecht. Wer die zusammenreimen kann, dem will ich mein Barett aufsetzen und will mich einen Narren schelten lassen. XIV, Vorr. p. 3 1322): In diesem Buch der Offenbarung Johannis laß ich auch jedermann seines Sinnes walten: will niemanden an meinen Dünkel oder Urtheil verbunden haben: ich sage was ich fühle. Mir mangelt an diesem Buch nicht einerlei, daß ichs weder apostolisch noch prophe¬ tisch halte. XI, 1339: Es sind solche Wundergeschichten in den Epp. noch eitel geringe und fast kindische Wunderzeichen gegen den rechten hohen Wun¬ dern, so Christus ohn Unterlaß in der Christenheit wirket. Die zuvor nichts von Gott gewußt haben, die hat er müssen mit äußerlichen Wun¬ dern herzuführen und als den Kindern solche Aepfel und Birnen fürwerfen. Das mag vorerst genügen, um zu zeigen, mit welch vollem Recht Luther der Vorgänger des wahren Nationalismus, vor allem der biblischen Kritik, auch der äußersten ist. Französische Geschichtschreiber. t. Fauriel. Eine Classe von Gelehrten, die man in Deutschland ziemlich häufig findet, ist in Frankreich sehr selten, diejenigen, die von reinem Wissensdrang getrieben sich einen Stoff nach dem andern aneignen und die gründlichsten Studien an¬ stellen, ohne daran zu denken, sie schriftstellerisch zu verwerthen. Der bedeutendste unter diesen Gelehrten ist Fauriel. Erst in hohem Alter trat er als Schrift¬ steller auf, und sein Name war dem Volk unbekannt, aber jene berühmten Gelehrten, die in den 20er Jahren eine Wiedergeburt der französischen Litera¬ tur herbeiführten, Thierry, Villemain, Guizot u. s. w., betrachteten ihn durch¬ weg als ihren Lehrer und Rathgeber. Er war der erste, den sie bei ihren Studien im Auge hatten, und der mit warmer Theilnahme auf all ihre Ent¬ würfe einging, sie mit seinem Wissen freigebig unterstützte und sie durch jenen Beifall anfeuerte, der einem Gebildeten nur von Seiten des wirklichen Kenners werth ist. Ausgegangen von der Bildung des vorigen Jahrhunderts und sein gan¬ zes Leben hindurch der Sache der Aufklärung treu ergeben, war er in allen wissenschaftlichen Dingen von einer Unparteilichkeit, die nicht aus Blasirtheit, sondern aus einer innigen Verehrung der Wahrheit hervorging. Er war durch¬ aus eine Gelehrtennatur; von dem Sinn fürs praktische Leben, der seine ub-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/432>, abgerufen am 27.04.2024.