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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Geschichte Galliens während der Renaissance erscheinen, beides mit haupt¬
sächlicher Beziehung auf das südliche Frankreich, obgleich sich Fauriel keines¬
wegs ängstlich in diesen Grenzen hielt; wenigstens in dem Theil, der erschienen
ist, wird nicht blos auf ganz Frankreich Bezug genommen, sondern es werden
auch sehr starke Ercurse über den Rhein gemacht. -- Was die Bearbeitung
betrifft, so fällt es auf, daß Fauriel, der als Kritiker das feinste Gefühl für
die Kunst des Stils zeigt, und auch in dieser Beziehung von sämmtlichen
Schriftstellern als Kenner ersten .Ranges gefeiert wird, in seiner eignen Arbeit
den Stoff frei gewähren läßt und sich um die Form gar nicht kümmert. Das
Werk macht allgemein den Eindruck, daß es von einem Gelehrten, nicht von
einem Künstler herrührt. Was den Inhalt betrifft, so gibt es in der gelehrten
Bearbeitung des Materials einen vollständigen Abschluß; aber trotz der ängst¬
lichen Gewissenhaftigkeit in seinen Vorarbeiten bleibt doch die Frage, ob
seine Schlüsse überall haltbar sein werden. Fauriel beginnt mit der Schil¬
derung des blühenden Zustandes Südfrankreichs unter der römischen Herrschaft
unb sieht in dem Einbruch der deutschen Barbaren nichts als eine rohe Unter¬
brechung dieser Cultur, die sich erst dann allmälig wieder erhob, als die deut¬
schen Einflüsse bis auf die letzte Spur absorbirt waren. Ganz anders urtheilt
er über den Einfall der Araber, eines Culturvolks, dessen höchst bedeutende
Einwirkungen aus die Bildung des Abendlandes im Allgemeinen er mit über¬
zeugender Klarheit festgestellt hat. So bedeutend nun aber die Massenwirkung
der gelehrten Gründe ist, die er in Reihe und Glied führt, so läßt sich doch
der Einfluß nationaler und politischer Idiosynkrasien nicht ganz verleugnen,
und das wenn nicht harte, doch wenigstens sehr zurückhaltende Urtheil über
Karl den Großen verräth den überwiegend provinziellen Standpunkt. Was
den Einfluß der provenealischen Literatur aus die Nachbarländer betrifft, geht
er fast durchweg mit Raynouard Hand in Hand. Die Südfranzosen sind bei
ihm die Erfinder, sie haben nur gegeben und nicht empfangen.

Das Werk erschöpft nicht ganz die Bedeutung deS Schriftstellers; seine
Theilnahme an allen größern literaturgeschichtlichen Unternehmungen der Zeit
ist ebenso hoch anzuschlagen. Zu erwähnen ist noch die Ausgabe der pro-
per^ausehen Reimchronik Uistoirv als la oroisaälZ contre iss N(zr<zi,itju,<zö aldj^eois
(1837), so wie seine Betheiligung an der Fortsetzung der von den Benedictinern
begonnenen Literaturgeschichte. Ueber seine Bedeutung als Lehrer hat sein
Schüler und Nachfolger Ozanan willkommene Aufschlüsse gegeben. Ep starb
184i, bevor er seine umfassenden literarischen Entwürfe vollenden konnte.


3. Bignon.

Bignon wurde 1771 in der Nähe von Rouen geboren und auf Veran¬
lassung seines Pfarrers auf einem pariser Gymnasium vorgebildet, welches er


Geschichte Galliens während der Renaissance erscheinen, beides mit haupt¬
sächlicher Beziehung auf das südliche Frankreich, obgleich sich Fauriel keines¬
wegs ängstlich in diesen Grenzen hielt; wenigstens in dem Theil, der erschienen
ist, wird nicht blos auf ganz Frankreich Bezug genommen, sondern es werden
auch sehr starke Ercurse über den Rhein gemacht. — Was die Bearbeitung
betrifft, so fällt es auf, daß Fauriel, der als Kritiker das feinste Gefühl für
die Kunst des Stils zeigt, und auch in dieser Beziehung von sämmtlichen
Schriftstellern als Kenner ersten .Ranges gefeiert wird, in seiner eignen Arbeit
den Stoff frei gewähren läßt und sich um die Form gar nicht kümmert. Das
Werk macht allgemein den Eindruck, daß es von einem Gelehrten, nicht von
einem Künstler herrührt. Was den Inhalt betrifft, so gibt es in der gelehrten
Bearbeitung des Materials einen vollständigen Abschluß; aber trotz der ängst¬
lichen Gewissenhaftigkeit in seinen Vorarbeiten bleibt doch die Frage, ob
seine Schlüsse überall haltbar sein werden. Fauriel beginnt mit der Schil¬
derung des blühenden Zustandes Südfrankreichs unter der römischen Herrschaft
unb sieht in dem Einbruch der deutschen Barbaren nichts als eine rohe Unter¬
brechung dieser Cultur, die sich erst dann allmälig wieder erhob, als die deut¬
schen Einflüsse bis auf die letzte Spur absorbirt waren. Ganz anders urtheilt
er über den Einfall der Araber, eines Culturvolks, dessen höchst bedeutende
Einwirkungen aus die Bildung des Abendlandes im Allgemeinen er mit über¬
zeugender Klarheit festgestellt hat. So bedeutend nun aber die Massenwirkung
der gelehrten Gründe ist, die er in Reihe und Glied führt, so läßt sich doch
der Einfluß nationaler und politischer Idiosynkrasien nicht ganz verleugnen,
und das wenn nicht harte, doch wenigstens sehr zurückhaltende Urtheil über
Karl den Großen verräth den überwiegend provinziellen Standpunkt. Was
den Einfluß der provenealischen Literatur aus die Nachbarländer betrifft, geht
er fast durchweg mit Raynouard Hand in Hand. Die Südfranzosen sind bei
ihm die Erfinder, sie haben nur gegeben und nicht empfangen.

Das Werk erschöpft nicht ganz die Bedeutung deS Schriftstellers; seine
Theilnahme an allen größern literaturgeschichtlichen Unternehmungen der Zeit
ist ebenso hoch anzuschlagen. Zu erwähnen ist noch die Ausgabe der pro-
per^ausehen Reimchronik Uistoirv als la oroisaälZ contre iss N(zr<zi,itju,<zö aldj^eois
(1837), so wie seine Betheiligung an der Fortsetzung der von den Benedictinern
begonnenen Literaturgeschichte. Ueber seine Bedeutung als Lehrer hat sein
Schüler und Nachfolger Ozanan willkommene Aufschlüsse gegeben. Ep starb
184i, bevor er seine umfassenden literarischen Entwürfe vollenden konnte.


3. Bignon.

Bignon wurde 1771 in der Nähe von Rouen geboren und auf Veran¬
lassung seines Pfarrers auf einem pariser Gymnasium vorgebildet, welches er


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[0436] Geschichte Galliens während der Renaissance erscheinen, beides mit haupt¬ sächlicher Beziehung auf das südliche Frankreich, obgleich sich Fauriel keines¬ wegs ängstlich in diesen Grenzen hielt; wenigstens in dem Theil, der erschienen ist, wird nicht blos auf ganz Frankreich Bezug genommen, sondern es werden auch sehr starke Ercurse über den Rhein gemacht. — Was die Bearbeitung betrifft, so fällt es auf, daß Fauriel, der als Kritiker das feinste Gefühl für die Kunst des Stils zeigt, und auch in dieser Beziehung von sämmtlichen Schriftstellern als Kenner ersten .Ranges gefeiert wird, in seiner eignen Arbeit den Stoff frei gewähren läßt und sich um die Form gar nicht kümmert. Das Werk macht allgemein den Eindruck, daß es von einem Gelehrten, nicht von einem Künstler herrührt. Was den Inhalt betrifft, so gibt es in der gelehrten Bearbeitung des Materials einen vollständigen Abschluß; aber trotz der ängst¬ lichen Gewissenhaftigkeit in seinen Vorarbeiten bleibt doch die Frage, ob seine Schlüsse überall haltbar sein werden. Fauriel beginnt mit der Schil¬ derung des blühenden Zustandes Südfrankreichs unter der römischen Herrschaft unb sieht in dem Einbruch der deutschen Barbaren nichts als eine rohe Unter¬ brechung dieser Cultur, die sich erst dann allmälig wieder erhob, als die deut¬ schen Einflüsse bis auf die letzte Spur absorbirt waren. Ganz anders urtheilt er über den Einfall der Araber, eines Culturvolks, dessen höchst bedeutende Einwirkungen aus die Bildung des Abendlandes im Allgemeinen er mit über¬ zeugender Klarheit festgestellt hat. So bedeutend nun aber die Massenwirkung der gelehrten Gründe ist, die er in Reihe und Glied führt, so läßt sich doch der Einfluß nationaler und politischer Idiosynkrasien nicht ganz verleugnen, und das wenn nicht harte, doch wenigstens sehr zurückhaltende Urtheil über Karl den Großen verräth den überwiegend provinziellen Standpunkt. Was den Einfluß der provenealischen Literatur aus die Nachbarländer betrifft, geht er fast durchweg mit Raynouard Hand in Hand. Die Südfranzosen sind bei ihm die Erfinder, sie haben nur gegeben und nicht empfangen. Das Werk erschöpft nicht ganz die Bedeutung deS Schriftstellers; seine Theilnahme an allen größern literaturgeschichtlichen Unternehmungen der Zeit ist ebenso hoch anzuschlagen. Zu erwähnen ist noch die Ausgabe der pro- per^ausehen Reimchronik Uistoirv als la oroisaälZ contre iss N(zr<zi,itju,<zö aldj^eois (1837), so wie seine Betheiligung an der Fortsetzung der von den Benedictinern begonnenen Literaturgeschichte. Ueber seine Bedeutung als Lehrer hat sein Schüler und Nachfolger Ozanan willkommene Aufschlüsse gegeben. Ep starb 184i, bevor er seine umfassenden literarischen Entwürfe vollenden konnte. 3. Bignon. Bignon wurde 1771 in der Nähe von Rouen geboren und auf Veran¬ lassung seines Pfarrers auf einem pariser Gymnasium vorgebildet, welches er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/436>, abgerufen am 27.04.2024.