Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

können, so oft ein Bildwerk auf uns wirkt, schließen nicht die Möglichkeit
aus, einen Doppelplan dieser Art zu der harmonischsten Wirkung zu ver¬
schmelzen, wohl aber wird es schwer halten, den einen Theil nicht vor dem
andern auszuzeichnen, Gerechtigkeit gegen beide zu üben, wie das hier ohne
Zweifel dem Künstler angelegen gewesen sein muß.

Zu den Beeinträchtigungen, welche eben in dieser Richtung daS Costüm
mit sich bringt, gesellt sich noch der Umstand, daß die Jupitergestalt Goethes
längst in den Augen aller auf so hohem Untergestelle steht, daß wir sie auf
ebner Erde nicht wiedererkennen. Goethe Hai nun einmal durch unzählige
Eigenschaften, von denen gar manche ihm nicht besser stehen, als die Mensch¬
lichkeiten des Vaters der Götter, eine Verwandtschaft mit dem olympischen
Donnerer erlangt, die wir nicht ohne Widerstreben opfern. Aber so wenig die
Alten in großen Sculpturen den Apoll an die Seite des Zeus stellten, ebenso¬
wenig ist eS uns geläufig, uns Goethe gleicher Höhe und auf gleicher Erde
neben einem andern zu denken, und wenn er uns alö Theil eines Ganzen
im Bildwerk entgegentritt, so werden wir auch deshalb daS Gefühl haben, daß
er nicht zu seinem Rechte kommt.




Das Christenthum und die freie Gemeinde.
Königsberger Sonntagspost für Religion, öffentliches Leben, Wissenschaft
und Kunst. Herausgegeben von Julius Rupp.

Schon mehrmals haben wir uns in Bezug auf die freien Gemeinden
dahin ausgesprochen, daß wir die Hoffnungen der Stifter derselben nicht
theilen, daß wir nicht glauben, aus diesem Wege könne eine Reform deS
Christenthums und eine Ausgleichung der christlichen Lehren mit der aus
anderer Quelle hergeleiteten Ueberzeugung hervorgehen. Das vorliegende
Blatt gibt uns Veranlassung, auf eine freie Gemeinde einzugehen, die sich
von den Gesellschaften ähnlicher Art sehr wesentlich unterscheidet, und der
Unterzeichnete benutzt dieselbe um so lieber, weil er dabei zugleich seine Pietät
gegen einen ehemaligen verehrten Lehrer aussprechen darf, an dessen geistvolle
Anregungen sich wol seine sämmtlichen Schüler mit lebhafter Theilnahme er¬
innern werden. Bei dem Princip, das er auch in dieser Zeitschrift vertritt,
dem Princip der freienvoraussetzungslosen Forschung, wird Julius Rupp
ein polemisches Auftreten gegen die Resultate seines Nachdenkens nicht nur
begreiflich, sondern auch erfreulich finden.

Die ernsten politischen Ereignisse, die wir seit den letzten Jahren erlebt,


Grenzboten. I. -I8S7. 9

können, so oft ein Bildwerk auf uns wirkt, schließen nicht die Möglichkeit
aus, einen Doppelplan dieser Art zu der harmonischsten Wirkung zu ver¬
schmelzen, wohl aber wird es schwer halten, den einen Theil nicht vor dem
andern auszuzeichnen, Gerechtigkeit gegen beide zu üben, wie das hier ohne
Zweifel dem Künstler angelegen gewesen sein muß.

Zu den Beeinträchtigungen, welche eben in dieser Richtung daS Costüm
mit sich bringt, gesellt sich noch der Umstand, daß die Jupitergestalt Goethes
längst in den Augen aller auf so hohem Untergestelle steht, daß wir sie auf
ebner Erde nicht wiedererkennen. Goethe Hai nun einmal durch unzählige
Eigenschaften, von denen gar manche ihm nicht besser stehen, als die Mensch¬
lichkeiten des Vaters der Götter, eine Verwandtschaft mit dem olympischen
Donnerer erlangt, die wir nicht ohne Widerstreben opfern. Aber so wenig die
Alten in großen Sculpturen den Apoll an die Seite des Zeus stellten, ebenso¬
wenig ist eS uns geläufig, uns Goethe gleicher Höhe und auf gleicher Erde
neben einem andern zu denken, und wenn er uns alö Theil eines Ganzen
im Bildwerk entgegentritt, so werden wir auch deshalb daS Gefühl haben, daß
er nicht zu seinem Rechte kommt.




Das Christenthum und die freie Gemeinde.
Königsberger Sonntagspost für Religion, öffentliches Leben, Wissenschaft
und Kunst. Herausgegeben von Julius Rupp.

Schon mehrmals haben wir uns in Bezug auf die freien Gemeinden
dahin ausgesprochen, daß wir die Hoffnungen der Stifter derselben nicht
theilen, daß wir nicht glauben, aus diesem Wege könne eine Reform deS
Christenthums und eine Ausgleichung der christlichen Lehren mit der aus
anderer Quelle hergeleiteten Ueberzeugung hervorgehen. Das vorliegende
Blatt gibt uns Veranlassung, auf eine freie Gemeinde einzugehen, die sich
von den Gesellschaften ähnlicher Art sehr wesentlich unterscheidet, und der
Unterzeichnete benutzt dieselbe um so lieber, weil er dabei zugleich seine Pietät
gegen einen ehemaligen verehrten Lehrer aussprechen darf, an dessen geistvolle
Anregungen sich wol seine sämmtlichen Schüler mit lebhafter Theilnahme er¬
innern werden. Bei dem Princip, das er auch in dieser Zeitschrift vertritt,
dem Princip der freienvoraussetzungslosen Forschung, wird Julius Rupp
ein polemisches Auftreten gegen die Resultate seines Nachdenkens nicht nur
begreiflich, sondern auch erfreulich finden.

Die ernsten politischen Ereignisse, die wir seit den letzten Jahren erlebt,


Grenzboten. I. -I8S7. 9
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0073" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103206"/>
          <p xml:id="ID_218" prev="#ID_217"> können, so oft ein Bildwerk auf uns wirkt, schließen nicht die Möglichkeit<lb/>
aus, einen Doppelplan dieser Art zu der harmonischsten Wirkung zu ver¬<lb/>
schmelzen, wohl aber wird es schwer halten, den einen Theil nicht vor dem<lb/>
andern auszuzeichnen, Gerechtigkeit gegen beide zu üben, wie das hier ohne<lb/>
Zweifel dem Künstler angelegen gewesen sein muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_219"> Zu den Beeinträchtigungen, welche eben in dieser Richtung daS Costüm<lb/>
mit sich bringt, gesellt sich noch der Umstand, daß die Jupitergestalt Goethes<lb/>
längst in den Augen aller auf so hohem Untergestelle steht, daß wir sie auf<lb/>
ebner Erde nicht wiedererkennen. Goethe Hai nun einmal durch unzählige<lb/>
Eigenschaften, von denen gar manche ihm nicht besser stehen, als die Mensch¬<lb/>
lichkeiten des Vaters der Götter, eine Verwandtschaft mit dem olympischen<lb/>
Donnerer erlangt, die wir nicht ohne Widerstreben opfern. Aber so wenig die<lb/>
Alten in großen Sculpturen den Apoll an die Seite des Zeus stellten, ebenso¬<lb/>
wenig ist eS uns geläufig, uns Goethe gleicher Höhe und auf gleicher Erde<lb/>
neben einem andern zu denken, und wenn er uns alö Theil eines Ganzen<lb/>
im Bildwerk entgegentritt, so werden wir auch deshalb daS Gefühl haben, daß<lb/>
er nicht zu seinem Rechte kommt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das Christenthum und die freie Gemeinde.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Königsberger Sonntagspost für Religion, öffentliches Leben, Wissenschaft<lb/>
und Kunst.  Herausgegeben von Julius Rupp.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_220"> Schon mehrmals haben wir uns in Bezug auf die freien Gemeinden<lb/>
dahin ausgesprochen, daß wir die Hoffnungen der Stifter derselben nicht<lb/>
theilen, daß wir nicht glauben, aus diesem Wege könne eine Reform deS<lb/>
Christenthums und eine Ausgleichung der christlichen Lehren mit der aus<lb/>
anderer Quelle hergeleiteten Ueberzeugung hervorgehen. Das vorliegende<lb/>
Blatt gibt uns Veranlassung, auf eine freie Gemeinde einzugehen, die sich<lb/>
von den Gesellschaften ähnlicher Art sehr wesentlich unterscheidet, und der<lb/>
Unterzeichnete benutzt dieselbe um so lieber, weil er dabei zugleich seine Pietät<lb/>
gegen einen ehemaligen verehrten Lehrer aussprechen darf, an dessen geistvolle<lb/>
Anregungen sich wol seine sämmtlichen Schüler mit lebhafter Theilnahme er¬<lb/>
innern werden. Bei dem Princip, das er auch in dieser Zeitschrift vertritt,<lb/>
dem Princip der freienvoraussetzungslosen Forschung, wird Julius Rupp<lb/>
ein polemisches Auftreten gegen die Resultate seines Nachdenkens nicht nur<lb/>
begreiflich, sondern auch erfreulich finden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_221" next="#ID_222"> Die ernsten politischen Ereignisse, die wir seit den letzten Jahren erlebt,</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. I. -I8S7. 9</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0073] können, so oft ein Bildwerk auf uns wirkt, schließen nicht die Möglichkeit aus, einen Doppelplan dieser Art zu der harmonischsten Wirkung zu ver¬ schmelzen, wohl aber wird es schwer halten, den einen Theil nicht vor dem andern auszuzeichnen, Gerechtigkeit gegen beide zu üben, wie das hier ohne Zweifel dem Künstler angelegen gewesen sein muß. Zu den Beeinträchtigungen, welche eben in dieser Richtung daS Costüm mit sich bringt, gesellt sich noch der Umstand, daß die Jupitergestalt Goethes längst in den Augen aller auf so hohem Untergestelle steht, daß wir sie auf ebner Erde nicht wiedererkennen. Goethe Hai nun einmal durch unzählige Eigenschaften, von denen gar manche ihm nicht besser stehen, als die Mensch¬ lichkeiten des Vaters der Götter, eine Verwandtschaft mit dem olympischen Donnerer erlangt, die wir nicht ohne Widerstreben opfern. Aber so wenig die Alten in großen Sculpturen den Apoll an die Seite des Zeus stellten, ebenso¬ wenig ist eS uns geläufig, uns Goethe gleicher Höhe und auf gleicher Erde neben einem andern zu denken, und wenn er uns alö Theil eines Ganzen im Bildwerk entgegentritt, so werden wir auch deshalb daS Gefühl haben, daß er nicht zu seinem Rechte kommt. Das Christenthum und die freie Gemeinde. Königsberger Sonntagspost für Religion, öffentliches Leben, Wissenschaft und Kunst. Herausgegeben von Julius Rupp. Schon mehrmals haben wir uns in Bezug auf die freien Gemeinden dahin ausgesprochen, daß wir die Hoffnungen der Stifter derselben nicht theilen, daß wir nicht glauben, aus diesem Wege könne eine Reform deS Christenthums und eine Ausgleichung der christlichen Lehren mit der aus anderer Quelle hergeleiteten Ueberzeugung hervorgehen. Das vorliegende Blatt gibt uns Veranlassung, auf eine freie Gemeinde einzugehen, die sich von den Gesellschaften ähnlicher Art sehr wesentlich unterscheidet, und der Unterzeichnete benutzt dieselbe um so lieber, weil er dabei zugleich seine Pietät gegen einen ehemaligen verehrten Lehrer aussprechen darf, an dessen geistvolle Anregungen sich wol seine sämmtlichen Schüler mit lebhafter Theilnahme er¬ innern werden. Bei dem Princip, das er auch in dieser Zeitschrift vertritt, dem Princip der freienvoraussetzungslosen Forschung, wird Julius Rupp ein polemisches Auftreten gegen die Resultate seines Nachdenkens nicht nur begreiflich, sondern auch erfreulich finden. Die ernsten politischen Ereignisse, die wir seit den letzten Jahren erlebt, Grenzboten. I. -I8S7. 9

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/73
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/73>, abgerufen am 27.04.2024.