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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Alle diese Bedenken verdanken ihren Ursprung in nicht geringem Maße
dem Zwange, welchen das Material des Modells auf den Beschauer übt.
Wir haben Gips, also scheinbar Marmor, vor uns, und sollen danach
ein Metallbild beurtheilen. Wäre es thunlich gewesen, den Gips zu bron-
ziren, so war der Künstler in vielen Dingen im Recht, wo ihm jetzt der Gips
Unrecht gibt. Der Marmor hat durchweg andere Bedingungen als die Bronze,
wie die Poesie nach Schillers Ausspruch bei der Rhythmistrung des Wallen¬
stein andere Motivirungen verlangt, als die Prosa.

Es ist nicht nur gestattet, es ist sogar durch den Stoff geboten, im Metall
dem Realismus näher zu bleiben, als in der alles vergeistigenden Masse aus
Carrara. Ein endgiltiges Urtheil über Hiese mächtige Arbeit schon jetzt zu
fällen, würde deshalb über die Grenzen der Ahnungöfähigkeit hinausführen.
Ist ver Guß gelungen, so kommen noch die Bedingungen in Betracht, welche
der künftige Standpunkt des Monuments dem Künstler aufnöthigte. Aber zu
keiner Zeit ist die Ausgabe eine müßige, ,steh Rechenschaft zu geben über daS,
was ein bedeutender Meister zu unserer Beurtheilung hinstellt, zumal der
Unterschied in den Voraussetzungen des Materials den wenigsten Beschauern,
vertraut ist, und die Verwirrung der Kunstbegriffe leichter zu- als abnimmt.

Sollen wir mit einer heitern Stimmung von dem erdrückenden Genuß
dieses Kolossalbildes im Rahmen des viel zu engen Ateliers Abschied nehmen
so mögen Goethes köstliche Worte hier noch Platz finden, die er zwar nicht
plastisch verstanden hat, die indessen andeuten, wie er daS Zusammenstreben
mit dem gleichgesinnten Freunde in ebenbürtigem, nicht durch Alter oder Rang-
unterschied beeinträchtigten Wetteifer auffaßte.

"Daß man uns in unsern Arbeiten verwechselt," schreibt Goethe an
Schiller, "ist mir sehr angenehm; es zeigt, daß wir immer mehr die Manier
los werden und ins allgemeine Gute übergehen. Und dann ist zu bedenken,
daß wir eine schöne Breite einnehmen können, wenn wir mit einer Hand zu¬
sammenhalten, und mit der andern so weit ausreichen, als die Natur uns er¬
laubt hat."

Und hier tritt die Frage wieder in den Vordergrund, ob die realistische
Auffassung nicht nothwendig den Aeltern beeinträchtigen, verkleinern mußte?
Das Ausruhen, die Sammlung ist ein würdiger Vorwurf für die Sculptur,
aber wo Ruhe und Bewegung zusammenkommen, wird die letztere immer unser
Interesse gefangen nehmen. DaS Sichere, Feftsußende übt nicht geringe Be¬
ruhigung auf uns; aber dem Streben, dem Ringen gegenüber läßt es uns
theilnahmlos. Der gerechtfertigte Besitz, der gesicherte Erfolg sind uns Er¬
scheinungen wohlthuender Art; aber erst die Reflexion vermittelt ihre Recht¬
fertigung, während uns das Kämpfen um den Preis mit Gewalt zur lebendigen
Parteinahme auffordert. Diese Einwirkungen, denen wir uns nie verschließen


Alle diese Bedenken verdanken ihren Ursprung in nicht geringem Maße
dem Zwange, welchen das Material des Modells auf den Beschauer übt.
Wir haben Gips, also scheinbar Marmor, vor uns, und sollen danach
ein Metallbild beurtheilen. Wäre es thunlich gewesen, den Gips zu bron-
ziren, so war der Künstler in vielen Dingen im Recht, wo ihm jetzt der Gips
Unrecht gibt. Der Marmor hat durchweg andere Bedingungen als die Bronze,
wie die Poesie nach Schillers Ausspruch bei der Rhythmistrung des Wallen¬
stein andere Motivirungen verlangt, als die Prosa.

Es ist nicht nur gestattet, es ist sogar durch den Stoff geboten, im Metall
dem Realismus näher zu bleiben, als in der alles vergeistigenden Masse aus
Carrara. Ein endgiltiges Urtheil über Hiese mächtige Arbeit schon jetzt zu
fällen, würde deshalb über die Grenzen der Ahnungöfähigkeit hinausführen.
Ist ver Guß gelungen, so kommen noch die Bedingungen in Betracht, welche
der künftige Standpunkt des Monuments dem Künstler aufnöthigte. Aber zu
keiner Zeit ist die Ausgabe eine müßige, ,steh Rechenschaft zu geben über daS,
was ein bedeutender Meister zu unserer Beurtheilung hinstellt, zumal der
Unterschied in den Voraussetzungen des Materials den wenigsten Beschauern,
vertraut ist, und die Verwirrung der Kunstbegriffe leichter zu- als abnimmt.

Sollen wir mit einer heitern Stimmung von dem erdrückenden Genuß
dieses Kolossalbildes im Rahmen des viel zu engen Ateliers Abschied nehmen
so mögen Goethes köstliche Worte hier noch Platz finden, die er zwar nicht
plastisch verstanden hat, die indessen andeuten, wie er daS Zusammenstreben
mit dem gleichgesinnten Freunde in ebenbürtigem, nicht durch Alter oder Rang-
unterschied beeinträchtigten Wetteifer auffaßte.

„Daß man uns in unsern Arbeiten verwechselt," schreibt Goethe an
Schiller, „ist mir sehr angenehm; es zeigt, daß wir immer mehr die Manier
los werden und ins allgemeine Gute übergehen. Und dann ist zu bedenken,
daß wir eine schöne Breite einnehmen können, wenn wir mit einer Hand zu¬
sammenhalten, und mit der andern so weit ausreichen, als die Natur uns er¬
laubt hat."

Und hier tritt die Frage wieder in den Vordergrund, ob die realistische
Auffassung nicht nothwendig den Aeltern beeinträchtigen, verkleinern mußte?
Das Ausruhen, die Sammlung ist ein würdiger Vorwurf für die Sculptur,
aber wo Ruhe und Bewegung zusammenkommen, wird die letztere immer unser
Interesse gefangen nehmen. DaS Sichere, Feftsußende übt nicht geringe Be¬
ruhigung auf uns; aber dem Streben, dem Ringen gegenüber läßt es uns
theilnahmlos. Der gerechtfertigte Besitz, der gesicherte Erfolg sind uns Er¬
scheinungen wohlthuender Art; aber erst die Reflexion vermittelt ihre Recht¬
fertigung, während uns das Kämpfen um den Preis mit Gewalt zur lebendigen
Parteinahme auffordert. Diese Einwirkungen, denen wir uns nie verschließen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/72>, abgerufen am 09.05.2024.